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Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

16. 4. 2010 - 13:11

Vergangenheit und Zukunft des Betriebssystems

Von der Lochkarte zum Streichelcomputer. Außerdem: Die Wolke, 3D und deine Mutter

Das iPad, so lese und höre ich seit Wochen, sei so einfach zu verstehen, dass es "sogar meine Mutter" bedienen könne. Ich wundere mich. Haben iPad-Designer und ihre Fans wirklich so wenig Vertrauen in ihre Mütter? Die virale Verbreitung der Aussage, die sich konstant durch Blogs, Foren und letztlich auch persönliche Gespräche zieht, lässt mich fast an Guerilla-Marketing glauben, aber nein, das wär dann doch etwas zu weit hergeholt.

Check The System

FM4 unterwegs im Betriebssystem.

Mit seiner restriktiven, aber einfach zu bedienenden Betriebssystem-Software zeigt das iPad eine kuriose Entwicklung: Betriebssysteme wurden seit den Sechziger und Siebziger Jahren eigentlich gebaut, um Computer möglichst kompatibel und Software möglichst plattformübergreifend zu machen. Derzeit passiert das Gegenteil. Wir werden wieder mehr Walled Gardens sehen.

iPad

Apple

Zurück in die Vergangenheit

Was mich zu einem Sprung in die Vergangenheit veranlässt. Das Jahr ist 1983. Ich bin 13 Jahre alt. Ich schleiche mich ins gut bewachte Österreichische Schulrechenzentrum im 5. Wiener Gemeindebezirk. Rein dürfte ich eigentlich erst mit 15 aber ich schwindle mich am Portier vorbei, hinauf zu - dem Computer. Der Computer ist über zwei Stockwerke verteilt. Bildschirme gibt es nicht. Programmiert wird mit Lochkarten. Die Lochkarten stanzen wir mit riesigen, schreibmaschinenähnlichen Geräten, die sehr laut sind. Wenn man sich beim Stanzen einer Programmzeile vertippt, muss man die Karte wegschmeissen. Ein fertiges Programm besteht aus hunderten oder tausenden Lochkarten. Sie werden in einen Schacht gesteckt, und am nächsten Tag gibt es einen Ausdruck mit dem Ergebnis – oft eine lapidare Fehlermeldung wie 'error in line 420'.

Commodore 64 mit Peripherie

cbm museum

Die drei populären Betriebssysteme für Großrechner dieser Art: OS/360, CP/M und UNIX. Zuvor hatten Computerhersteller ihre Geräte jedesmal mit unterschiedlicher Betriebssystem-Software ausgeliefert, oft sogar innerhalb der selben Modellreihe. Dank OS/360, CP/M oder UNIX wurden Rechner verschiedener Modellreihen oder sogar verschiedener Hersteller kompatibel. Das Rechenzentrum mit dem garagengroßen Computer verdränge ich 1984 vorübergehend aus dem Gedächtnis, denn Großmutter schenkt mir einen Mikrocomputer. Einen Commodore 64 mit damals gigantischen 64 Kilobyte RAM. Der Computer verfügt über ein rudimentäres BIOS (8 Kilobyte groß), und einen (ebenfalls 8 Kilobyte großen) BASIC-Interpreter. Nach dem Einschalten des Commodore 64 meldet das Kommandointerface "READY" und wartet auf Tastatureingaben. Das Commodore-BASIC stammt eigentlich von Microsoft, und es findet sich auch auf frühen PCs von Apple, IBM oder Atari. Danach folgt die Partnerschaft Microsofts mit IBM für die Entwicklung von OS/2, dem Nachfolger von OS/360. Bald aber gehen die beiden Konzerne wieder getrennte Wege und Microsoft entwickelt allein ein Derivat von OS/2 - es heißt MS-DOS, und somit ist OS/2 sozusagen auch der Urahn heutiger Windows-Systeme.

Fenster und grafische Benutzeroberfläche werden der Welt allerdings nicht von Microsoft, sondern von Apple vorgestellt: Steve Jobs besucht Anfang der achtziger Jahre ein Labor der Firma Xerox. Dort sieht er das Demo eines Betriebssystems mit Grafik und Maussteuerung. Inspiriert davon entwickelt Apple MacOS, seine Variante eines grafischen Betriebssystems. Der aktuellen Reinkarnation des Betriebssystems, MacOS X, dient (wie auch dem iPhone OS) UNIX als Basis.
UNIX ist es auch, das den Finnen Linus Torvalds inspiriert, ein eigenes Betriebssystem zu schreiben. Torvalds, aufgewachsen mit ungewöhnlichen Homecomputern, für die es wenig Software gibt, bringt sich als Teenager selbt das Programmieren bei. An der Uni kommt er auf den Geschmack von UNIX, kann es in Finnland aber nicht kaufen. An die Eigenentwicklung von Software gewöhnt entwickelt er den Linux-Kernel.

UNIX

Amiga

Zurück in die Zukunft

David Gelernter

David Gelernter

Jedes drei drei populären Betriebssysteme zählt mit Millionen von Programmzeilen zur komplexesten Software, die es gibt. Ein Betriebssystem ist ein historisch gewachsenes, kollektives Kunstwerk. Geht es nach dem Computerwissenschafter, Grafiker und Musiker David Gelernter sind Betriebssysteme aber auch verkehrt herum aufgebaut: "Aktuelle Betriebssysteme wurden von unten nach oben gebaut", schreibt Gelernter in einem Artikel aus dem Jahr 2003. "Starte mit der Maschine und verbinde sie dann irgendwie mit dem User."
Gelernter fordert stattdessen eine "top to botton"-Architektur: "Die nächste Generation der Betriebssysteme startet mit dem User. Sie ignoriert die Hardware und wird im Ergebnis weniger effizient sein als heutige, maschinenzentrierte Betriebssysteme. Stattdessen spiegelt sie aber deine Lebensweise wider." Gelernter philosophiert über das Leben als Sequenz von Events, das auch ein "narratives Informationsmanagement" erfordere. Für dieses ist er bereit, liebgewonnene Metaphern wie Schreibtisch, Mistkübel, ja sogar Ordner zu opfern - heilige Kühe, die seit den frühen Achtziger Jahren unsere Bildschrime bevölkern. Doch wenn Gelernter spricht, hören Entwickler zu, denn er war es, der schon in den Anfangstagen des World Wide Web die heute populäre Art von Social Networks vorausgesehen hat, und auch den heute vielleicht wichtigsten Zukunftstrend der Evolution von Betriebssystemen: das Cloud Computing.

Seit 2009 ist es vor allem der Internet-Riese Google, der mit der Ankündigung eines Cloud-Computing-Betriebssystems für Aufsehen sorgt. In Chromium OS steckt der Linux-Kernel, es soll noch im zweiten Halbjahr 2010 erscheinen, den noch unfertigen Source Code kann man allerdings schon seit der Ankündigung von der Website downloaden, kompilieren und installieren. Am auffälligsten: Das Betriebssystem startet in 7-14 Sekunden, statt eines Desktops gibt es dann nur einen Webbrowser. Gearbeitet wird vorwiegend online in Webapplikationen wie Gmail, Google Docs oder Google Calender. Schon während der Erstellung eines Textdokumentes ist es in Echtzeit, Buchstabe für Buchstabe, in Google Docs verfügbar, von überall - alle Daten befinden sich nicht auf einem lokalen Datenspeicher, sondern in der Cloud, sprich auf Google-Servern. Was für die einen praktisch klingt, ist für die anderen eine gefährliche Drohung. Allerdings braucht sich der User von Chromium OS keine Gedanken mehr zu machen, ob der eigene Computer mit einem bestimmten Dateiformat zurecht kommt: Wenn es eine Web-Applikation gibt, die die Datei erkennt, dann wird sie auch geöffnet, versprechen die Chromium-OS-Entwickler. Bemerkenswert ist das Engagement von Google nicht zuletzt auch deshalb, weil Chromium OS nach Android bereits das zweite Betriebssystem des Konzerns ist.

Cloud Computing

math.hws.edu

Cloud Computing spielt nicht nur bei Google eine Rolle. Microsoft hat mit Windows Azure eine Cloud-Computing-Plattform, die sich vor allem an Softwareentwickler richtet. Das spanische OpenSource-Projekt eyeOS ermöglicht Betreibern von Websites, einen Cloud-Computing-Desktop für beliebig viele andere User einzurichten. Apple will im Laufe des Jahres das Prinzip der übers Netz verteilten Ressourcen auch am iPad verstärkt zur Geltung bringen. Dass Apple sich das Recht vorbehält, installierte Applikationen wieder vom iPad zu löschen, wird heftig bekämpft. Überhaupt steht der Konzern gerade vermehrt in der Kritik aufgrund eines neuen Vertrages für Entwickler, die beim Basteln von Applikationen für iPhone und iPad demnächst nur noch eine von Apple vorgegebene Auswahl von Programmiersprachen und Entwicklertools verwenden dürfen. Apple hat die freie Wahl der kreativen Mittel eingetauscht gegen das Versprechen von Sicherheit und Stabilität des iPhone OS, das zunehmend zum geschlossenen Ökosystem wird. Allerdings zeigt das iPad mit seiner großen Multitouch-Benutzeroberfläche wie kaum ein anderes Gerät, dass sich die Art der Interaktion mit unseren Rechnern radikal wandelt. In diesem Zusammenhang sind auch die tischförmigen Surface Computer von Microsoft interessant. Verabschieden wir uns in absehbarer Zukunft von der Maus? Wohl kaum, aber neue Userinterfaces werden unsere Möglichkeiten erweitern: In diesem Zusammenhang ist wohl auch Microsofts Project Natal spannend, das nach der Xbox 360 auch für Windows-Anwendungen zum Einsatz kommen soll. Letztlich hat sich auch die Maus selbst still und heimlich weiterentwickelt, wie die bei Machinima-Künstlern beliebten 3D-Mäuse eindrucksvoll beweisen.

Apropos 3D: Mit steigender Grafikrechenleistung unserer PCs und Gadgets wird auch die Bedeutung der 3D-Visualisierung in Betriebssystemen steigen: Die für Linux verfügbare Erweiterung Looking Glass hat das ja schon 2003 eindrucksvoll gezeigt.

Die wachsende Bedeutung der 3D-Visualisierung lässt sich auch am 2007 gestarteten Croquet Project erahnen - und noch besser an den kürzlich eingeführten Shared Media Fähigkeiten von Second Life, einem der besten Beispiele für das Zusammenwachsen von Cloud Computing, sozialen Netzwerken und 3D. Letztendlich ist das, was hier zu sehen ist, nämlich auch das, was David Gelernter meint, wenn er vom Verschwinden des Schreibtischs spricht.