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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

20. 4. 2010 - 10:35

Digitale Gutenachtgeschichten

Jason Rohrer schenkt uns mit "Sleep is Death" die Freude am gemeinsamen Geschichtenerzählen.

"Und was ist dann passiert?" Diese Frage ist es: das Herz des Geschichtenerzählens. Man sitzt vor jemandem, hört zu, fiebert mit, fragt nach. Bis man selbst zu lesen lernt, oder das Fernsehen, Musik oder auch das Spielen interessanter wird. Als Allererstes lernt man aber Zuhören, wenn jemand eine Geschichte vorliest, oder noch besser: sie erzählt. Man muss kein Kleinkind sein, um zu wissen, dass mehr oder weniger freies Erzählen eine unglaublich große Kunst ist, umso mehr, wenn man selber, als Zuhörer, mitgestalten kann. Eine gute Geschichte wird immer von zweien erzählt.

Jason Rohrer

Jason Rohrer schenkt uns diesen Zauber wieder, auch wenn schon lange niemand mehr extra nur für uns - und mit uns - eine Geschichte erzählt hat. "Sleep is Death" lautet der enigmatische Titel seines neuen Projekts, das eigentlich kein Spiel ist, sondern ein Story-Baukasten für zwei.

Rohrer ist ein kleiner Star der Indieszene, der mit seinem Balancieren zwischen Kunst und Computerspiel maßgeblich die Diskussion um "Arthouse-Games" mitbestimmt hat - können Spiele Kunst sein? "Passage", Rohrers bekanntestes Spiel, hat ihn zum intellektuellen Darling auch renommierter Medien gemacht - 2009 durfte er sich sogar für den Sender ARTE mit Spielepionier Chris Crawford "durch die Nacht" philosophieren.

"Sleep is Death" ist etwas ganz anderes, ein eigensinniger Fremdkörper auch im Indiebereich. Es ist kein Spiel, sondern eine Plattform für offenes Spielen geworden, ein Baukasten, mit dem man experimentieren kann. Was ist das Schwierige an einem "normalen" Spiel? Dem Gegenüber des Spielers, dem Computer, beizubringen, wie ein Mensch zu denken und zu reagieren. Rohrers ebenso schlichte wie geniale Lösung ist es, diese Arbeit von einem Menschen erledigen zu lassen.

Jason Rohrer

Turingtest für Spieler

Inzwischen hat Jason Rohrer selbst einige Tutorial-Videos auf YouTube zur Verfügung gestellt, die den Einstieg in das Spiel erheblich erleichtern

Es braucht zwei, um Spaß zu haben: einen, der spielt und sich auf die Geschichte und die gebotene Welt einlässt, und einen, der die Fäden zieht. Während der "Spieler" wie in einem klassischen 8-bit-Adventure seine Figur bewegt und per einfachen Klicks und Tastatureingaben die Umgebung erforscht und manipuliert, liegt es am "Games-Master", in einem einfachen Editor die Aktionen des Spielers auszuwerten, ihm zu antworten und die auftauchenden Figuren zu spielen. Der Spieler tippt dabei sowohl die Aktionen als auch die Aussagen seiner Figur ein; der Spielleiter kontrolliert Setting, Nichtspielerfiguren und die Resultate der Handlungen - ganz einfach per Drag&Drop, Sprechblasen und Textnachrichten.

Jason Rohrer

Der zusätzliche Clou: Abwechselnd kommen Spieler und Spielleiter an die Reihe, ein Zeitlimit von 30 Sekunden sorgt dafür, dass spontanes Improvisieren gefragt ist. Im besten Fall hat der Games-Master zuvor Hintergründe, Story und Figuren im extrem einfachen Editor vorbereitet, aber auch plötzliche Wendungen müssen bewältigt werden. Immerhin kann man sich ja nie sicher sein, was dem Spieler tatsächlich einfällt.

Jason Rohrer

Ist ein Ende der Geschichte erreicht, triggert der Spielleiter "The End" - und die ganze Geschichte wird als "Flipbook", als eine Art Bildchronik beim Spieler gespeichert. Inzwischen sammeln einige Seiten diese einzigartigen Spielerlebnisse, die auch einen guten Eindruck von den Möglichkeiten von "Sleep is Death" geben: Von einfachen, aber berührenden Kindheitsgeschichten über überdrehte Polizei- oder Zombiegeschichten bis hin zu absurden Miniaturen findet sich schon jetzt, wenige Tage nach Verkaufsstart, eine beachtliche Menge an abwechslungsreichen Storys. Das Nachlesen gibt aber nur einen ungefähren Eindruck des Spielerlebnisses wieder: Es ist ein bisschen wie beim "klassischen" Pen&Paper-Rollenspiel, das ebenso alle Freiheiten erlaubt, wobei aber das nostalgische Interface den Spielleiter hinter das Spielerlebnis zurücktreten lässt.

"Sleep is Death" ist direkt von der Homepage um 9€ als Download erhältlich. Mit dabei ist ist auch gleich eine zweite Lizenz, um mit Freunden gleich loslegen zu können.

Improv in 8-bit

Jason Rohrer selbst empfiehlt, das Spiel am besten zuerst mit Freunden auszuprobieren, und tatsächlich braucht es eine gewisse Vertrautheit zwischen Spieler und Spielleiter, um das Beste aus dem Experiment herauszuholen. Eine Plattform bietet aber auch Einsteigern und Skeptikern die Möglichkeit, eine Runde gegen - oder besser: mit - einem "Unbekannten" zu spielen.

"Und was ist dann passiert?" - "Sleep is Death" beantwortet diese Frage jedes Mal aufs Neue, mit überraschenden Ergebnissen, wie sie sich kein Computer, sondern nur ein Mensch ausdenken kann. Und das alle 30 Sekunden. Ein spannendes Experiment für alle, die Spaß am Erzählen und am Mitspielen haben - Improvisationstheater in 8-bit.