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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

12. 4. 2010 - 16:06

Götterklein

Eine neue Reihe des Filmarchiv Austria zeigt Stummfilme mit Live-Begleitung von Electronica-Musikanten. Erster Akt: die "Ultimate Edition" von Fritz Langs "Metropolis"

Ein Film ist nie fertig. Ja, er kann durchfinanziert und abgedreht sein, als digitale Kopie in Spezialeditionen auf Regalböden stehen, hübsch verpackt und jederzeit griffbereit. Aber jede Generation, jede Gesellschaft entwickelt eigene Fantasien aus dem Laufbildmaterial heraus: Was die NS-Faschisten verbieten, wird nach Kriegsende zum Selbstermächtigungsmanifest; was in Fernost auf Liebe stößt, wird im Westen verhasst. Die Filmgeschichte ist voll von Verdammten, von teuer produzierten, überschwänglich vermarkteten Produktionen, die aus welchen Gründen auch immer keinen Dialog herstellen konnten zu den zeitgenössischen Kritikern und zum Publikum, die nach ihrem Kinoeinsatz weggelegt und nicht mehr angesehen wurden.

Film ist ein Organismus, in sich geschlossen funktionsfähig, ein ewiger Kreislauf, errichtet aus dem Baumaterial der Kinematografie. Er ist formbar, lässt sich biegen und brechen, verstümmeln und neu zusammenkleben. Einige seiner Art kehren immer und immer wieder zurück, sind Generalmythen der Populärkultur geworden. Und es kann keinen Zweifel geben, dass Fritz Langs Metropolis dazu gehören muss.

Uhr, Mann, Zeiger

Filmarchiv Austria

Auch die Rekonstruktion von "Metropolis" war ein Kampf gegen die Zeit.

Der albernste Film überhaupt

Entwickelt in den Mittzwanzigern, verfasst von des Regisseurs Ehefrau Thea von Harbou, aufbauend auf ihrem gleichnamigem Roman, entwirft der Film die Dystopie einer zukünftigen Zweiklassengesellschaft: Unterirdisch sorgt eine Schar von Arbeitern dafür, dass die Maschinen dampfen und die Megalomanie der Oberfläche mit ihren am Himmel kratzenden Häusern und allgegenwärtiger Beschleunigung antreiben. Der Rest ist Geschichte und auch wieder nicht, denn ein Stück vom Glück wurde just nach der Berliner Premiere des Films im Januar 1927 weggeschnitten und um eine gute halbe Stunde gekürzt in Restdeutschland gestartet. Genutzt hat dieses verzweifelte Manöver der Ufa nichts: "Metropolis", einer der aufwändigsten und teuersten Filme der damaligen Zeit, war ein veritabler Flop, eine Katastrophe für Fritz Lang. H.G. Wells nennt ihn "den albernsten Film überhaupt".

Anfang 2010 nennt der deutsche Kulturstaatsminister Bernd Neumann Metropolis "einen Klassiker der Filmgeschichte, der Maßstäbe für die gesamte Filmkunst weltweit gesetzt hat". Anlass war die Welturaufführung der restaurierten Fassung, die bis auf drei immer noch verschollene Sequenzen identisch ist mit der Weltpremierenversion aus dem Jahr 1927. Ermöglicht wurde das Projekt durch einen Kopienfund im Archiv des Filmmuseums Buenos Aires im Jahr 2008, worin ein Großteil der verloren geglaubten Sequenzen enthalten war. "Metropolis" hat (zu) viele Stadien der Wiederentdeckung und Neuverdammung durchlaufen, bis er rundum als ein Zentralstück der Kunst des 20. Jahrhunderts anerkannt worden ist. 2001 nimmt die UNESCO Langs Film Maudit als ersten Film überhaupt in das Weltdokumentenerbe "Memory of the World" auf.

Mann, Schatten, Angst

Filmarchiv Austria

Angst zwischen Licht und Schatten: kontrastreiches Metropolis

Bild und Ton, Version 2.0

Die futuristische Zweiklassenstadt Metropolis mit ihrer in den Himmel schießenden Architektur und dem gotteskomplexgesteuerten Überschwang wurde immer wieder neu in den Kulturkreislauf eingespeist: 1984 etwa fertigte Giorgio Moroder eine heute legendäre Eineinhalbstundenfassung des Films an, in der die Maschinen/Menschen von Musiken von Freddie Mercury, Adam and the Ants und Bonnie Tyler (!) begleitet werden. Das Ergebnis gereicht der gerade mal so aufkeimenden Videoclip-Szene zur Ursuppe, Zitate von oder Riffs auf Langs Original und Moroders "Neukomposition" finden sich in unzähligen Musikvideos.

Thron, Maschine, Hände, Menschen

Filmarchiv Austria

Heil den Maschinen: Die Ikonenschleuder "Metropolis" feiert das neue Fleisch.

Die neu restaurierte Fassung von "Metropolis", heute würde man "Director's Cut" oder "Ultimate Edition" dazu sagen, ist im Rahmen der Cinema Sessions im Metro Kino auch in Wien zu sehen. Die Veranstaltungsreihe des Filmarchiv Austria hat es sich zum Ziel gemacht, weniger bekannte oder randständige Stummfilmklassiker ("Metropolis" ist eine populäre Ausnahme) mit Electronica-Musikbegleitung zur Aufführung zu bringen.

Am Dienstag, den 13. April 2010, um 20:30 Uhr entwerfen Dieb 13 und Burkhard Stangl einen Live-Soundtrack zu Langs Mega-Kulissen, kreieren ein ephemeres Wesen, das im Programmheft "Metropolis 2.0" getauft wurde, und das sich nach 147 Minuten wieder auflösen wird. Alsdann nimmt wieder eine neue Generation die übermächtigen Bilder mit nach Hause, verarbeitet oder verwirft sie. Eben so bleibt Film am Leben. Durch gemeinsames Atmen.