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Anna Mayumi Kerber Nairobi

Reportagen und Geschichten aus Ostafrika.

11. 4. 2010 - 15:37

Wie geschmiert

Afrikanische Exekutivbeamte haben keinen guten Ruf. Nicht unbedingt zu Recht. Auf "Geschenke" stehen jedoch die meisten. Einzelne bestehen darauf.

"It's a criminal offence for anyone to bribe a customs officer, and it is a criminal offence for every customs officer to accept a bribe." Das Schild hängt neben dem Schalter für Zollangelegenheiten am Grenzübergang zwischen Ghana und Togo. Während die Gedanken, die noch bei der unmissverständlichen Aussage weilen, tippt einem der Agent auf die Schulter. "Ich war gerade beim big boss." Um das Prozedere beginnen zu können, brauche er Geld (ca. 20 Euro).

Autofähre

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Einen Agenten (noch mal 15 Euro) braucht man an diesem Grenzübergang, wenn man mit dem eigenen Auto ein paar Wochen durch Ghana fahren will und entgegen zahlloser Vorwarnungen (aber aus gutem Grund) auf die Beschaffung eines entsprechenden internationalen Dokument verzichtet hat. Damit wird man zum Ausnahmefall, den Beamten von Natur aus nicht schätzen, nirgendwo.

Schildkröte neben Auto

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Das "Carnet de Passage" wird vom deutschen Automobilclub (ADAC) ausgestellt. Es handelt sich dabei um eine temporäre Zollbefreiung. Der ADAC bürgt gegen einen Pfand (ab 1.500 Euro, je nach Fahrzeug) dafür, dass das entsprechende Fahrzeug auch wieder ausgeführt wird. Im Falle von Diebstahl des Autos, kann ein Land dennoch Zollforderungen erheben, die ein Vielfaches vom Fahrzeugwert betragen können.

Am Grenzposten Aflao wird das deutlich. Sehr deutlich. Spätestens, wenn man sieben Stunden später ca. 40 Dokumente mit 110 Stempeln und Unterschriften in den Händen hält. Erleichtert. Um ein paar Scheine – und weil man nun endlich nach Ghana darf.

In Westafrika zahlen Besucher regelmäßig ein bisschen extra. Weil man die Preise nicht kennt, weil man Distanzen nur schwer abschätzen kann. Weil man aus dem reichen Europa kommt, weiß ist. Die "Horrorszenarien", zu welchen Reisende diverse Begegnungen ausschmücken, sind jedoch nicht die Regel. Zumeist lassen sich diese Vorkommnisse in die Kategorie "lästig & mühsam" einordnen, es läuft nicht immer wie geschmiert.

Für die Ghanaer ist zumindest ein bisschen Korruption Alltag. Das geht auch aus einer Studie hervor, die von Gallup International durchgeführt wurde. Demnach glauben nahezu alle Ghanaer, dass Korruption in ihrem Land nicht nur existiert (was sich jeder halbwegs realistische Weltbürger eingestehen muss) – sondern sieht sich eine Mehrheit auch regelmäßig damit konfrontiert.

Sonnenbrille, in der sich Fotografin und Auto spiegeln

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"Voice of the people" ist eine Studie, die Gallup International regelmäßig durchführt. Die hier genannten Daten stammen aus einer Studie aus dem Jahr 2005, an der ein repräsentativer Querschnitt von 900 Ghanaern über ihre Wahrnehmung von Korruption in Ghana befragt wurden.

Mehr als Dreiviertel der Ghanaer hält die Polizei für korrupt. Die Exekutive verteidigt diesen unangefochtenen Spitzenplatz mit allen Mitteln – auch Besucher kommen in den Genuss: Bei einer typischen Straßenkontrolle kontrollieren Polizisten Fahrzeugpapiere und Führerschein auf Mängel, für die sie eine Geldstrafe – in scheinbar willkürlicher Höhe – verhängen können. Feuerlöscher, Pannendreieck und andere Utensilien, die je nach Land obligatorisch mitgeführt werden müssen, sind ebenso Klassiker. Warum Exekutivbeamte, die verzweifelt nach einem Bemängelungspunkten suchen, ein geschmolzenes Rücklicht nicht als Geldquelle orten – bleibt ein Mysterium.

Straßenleben in einer Stadt

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Manches Mal lehnen Uniformierte sich einfach nur dreist durchs Autofenster hinein und suchen das Innere nach potenziellen Objekten der Begierde ab. "Warum könnt ihr nach Ghana kommen, wann ihr wollt. Und wenn wir nach Europa wollen, lässt ihr uns nicht hinein?" Tja, warum? Begegnungen wie diese lassen sich auf verschiedene Weisen fortsetzen:

a) Konfrontation

Etwa in Form einer sachlichen Aufklärung über den Unterschied zwischen einem Touristenvisum und einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung mit Arbeitsgenehmigung. Mit dem Zusatz, dass "wir reichen Europäer" auf einer ghanaischen Botschaft im Ausland ein Visum beantragen müssen, das Geld kostet und Wartezeit verlangt. Dass dieses Prozedere im umgekehrten Fall, in dem ein Ghanaer auf Urlaub in ein EU-Land kommen will, mit Sicherheit um ein Vielfaches schwieriger ist (schuldig, in diesem Punkt der Anklage), aber dennoch machbar wäre. Selten, aber doch, stößt man auf Einsicht.

b) Geduldiges Aussitzen

Beamte brauchen manchmal reichlich Zeit, um Fahrzeugpapiere und Führerscheine durchzusehen. Sie wissen, dass man weiß, dass, wenn man ein paar Scheinchen unter die auszuhändigen Dokumente mengt, sich niemand um die Papiere schert. Sie wissen auch, dass sie mehr Zeit haben als man selbst. Sie scheinen auch die Erfahrung gemacht zu haben, dass europäische Besucher in der Regel den kürzeren Geduldsfaden haben. Es gilt zu lächeln und warten.

Selbst wenn man eben erst sieben Stunden Grenzbürokratie über sich ergehen lassen hat. Die Beamten (zu Recht!) beanstanden, dass das Auto, mit dem man unterwegs ist, aus "Sicherheitsgründen" nach 18 Uhr nicht in Verwendung sein darf, es bereits 19.00 ist, sie deswegen das Auto bis zum nächsten Morgen beschlagnahmen werden. Wer vorschlägt, die Nacht neben dem Kontrollposten im Campingzelt zu verbringen, wird nach absehbarer Zeit (was ist schon eine Stunde?) vielleicht sogar zum Essen eingeladen. Dankend ablehnend muss man möglicherweise noch eine Schmerztablette für den mit Kopfweh geplagten Polizisten aus der Packung drücken – aber dann darf man weiter.

c) Das Ablenkungsmanöver

Nicht immer bekommt man die Gelegenheit dazu. Aber wenn, dann sollte man davon Gebrauch machen. Etwa, wenn auf dem Namensschild eines Polizisten bei einer solchen Straßenkontrolle steht: "Charles Yeboah." Er sei doch nicht etwa zufällig verwandt mit dem berühmten Fußballer Anthony Yeboah? Die Miene des Uniformierten erhellt sich augenblicklich. "Tony ist mein Onkel", meint er sichtlich dahin schmelzend. Er nimmt die Mütze ab. "Schau, wir haben das gleiche Gesicht", fügt er mit sanftem Lächeln hinzu. Der ausbleibende Aha-Effekt lässt sich leicht überspielen, man tauscht noch schnell Nummern aus, lacht, schüttelt sich die Hände und darf weiter.

d) Abhauen

Nichts für Ortsunkundige oder Fahrer auffälliger Autos (z.B. mit ausländischem Kennzeichen). Taxifahrer in Accra setzen beim Anblick einer Kontrolle auf den U-Turn. Nicht vorhandene Führerscheine und abgelaufene Lizenzen sind eine Goldgrube für Beamte, die auf persönliche Bereicherung stehen. Auch eine miese Masche: Bei der Einfahrt zum Uni-Campus müssen Taxler ihren Führerschein abgeben, damit sie hinein dürfen. Den Wisch bekommen sie nur gegen Bezahlung wieder zurück.

e) Bezahlen

Wenn sich keine Gelegenheit für ein Ablenkungsmanöver bietet oder dieses nicht fruchtet; wenn die Diskussion entgleist; wenn die Machtdemonstration mit den stets vorhandenen Schusswaffen fortgesetzt zu werden droht; insbesondere wenn es sich dabei um ivorische Rebellen handelt; wenn die Zeit kein Aussitzen erlaubt; oder wenn ganz einfach die Nerven nicht mehr mitmachen.

Dann verkürzt sich die Bearbeitungszeit für ein Visum von 3 Tagen auf 4 Stunden (3 Euro). Dann darf ein Togoer auch ohne Papiere nach Benin (40 Cent). Dann darf man durch den Roadblock von Rebellen (30 Cent) oder von Polizisten (3 bis 30 Euro). Dann bekommt der Taxler seinen Führerschein zurück (50 Cent) oder werden Touristen von einem Militärkommando durch ganz Mauretanien eskortiert (ein paar hundert Euro).

Preise variieren ungemein, lassen sich oftmals auch verhandeln. Geschlecht und Hautfarbe sind Kriterien, die für das Ergebnis ausschlaggebend sind. Wer lacht, darf mehr, wer flirtet sowieso – die üblichen universellen Prinzipien finden auch hier Anwendung. Anstelle von monetären Gaben verkürzen auch Geschenke wie Schmerztabletten, Batterien, T-Shirts, Alkoholika, Fußbälle, Kugelschreiber, Werkzeug usw. usf. Wartezeiten.

Straße in der Westsahara, links und rechts Kamele aus Stein

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Laut dem jüngsten Ranking von Transparency International steht es um Ghana nicht schlecht. Insbesondere im Vergleich mit der Region. Wie Transparency International selbst betont, geht es aber bei dem Corruption Perception Index CPI um die Wahrnehmung von Korruption und nicht um harte Fakten. Wenn die Bevölkerung eines Landes es für normal befindet, hie und da mal ein bisschen zu schmieren, dann wird sie das als weniger tragisch werten, als wenn es beispielsweise einen großen Skandal um Politiker gegeben hat, der von den Medien breitgetreten wurde.

Der CPI (Corruption Perception Index) gibt das Ausmaß an, in welchem Korruption unter Beamten des öffentlichen Diensts und Politiker wahrgenommen wird. Ghana lag 2009 auf Platz vier unter den afrikanischen Ländern (weltweit 69 von 180) des CPI. Umliegende Länder schnitten weitaus schlechter ab: Burkina Faso (79) Togo und Mali (beide 111), Nigeria (130) Côte d'Ivoire (154), Guinea Bissau (162), Guinea (168).

Ghana hat in den vergangenen Jahren viel in Anti-Korruptionskampagnen investiert, Aufsichtsorgane, Ombudsmänner, unabhängige Kommissionen installiert, und eine "Whistleblower"-Aktion ins Leben gerufen, bei der Zivilisten aktiv werden sollen. Doch halten die Ghanaer paradoxerweise mehrheitlich die Polizei für jene Instanz, die sich um solche Angelegenheiten kümmern soll. (Zur Erinnerung: Jene Institution, die die Ghanaer gleichzeitig für die am korrupteste halten).

Die Exekutive betreibt derweil Imagepolitur: "Armed Forces – Good for Ghana and Mankind" oder "Security Forces – to keep the peace," ist auf riesigen Billboards in den Städten zu lesen. Und dann gibt es eben noch Hinweisschilder, wie jenes am Grenzposten von Aflao. Dort, wo die Message zunächst so eindeutig schien, der Zwischentext aber lautete: "Halte ein paar Scheine bereit. Du wirst sie brauchen."