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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

10. 4. 2010 - 14:24

Du Rütli!

Zwischen Stressjugendlichen und neuen Szene-Hotspots macht die Doku "Neukölln Unlimited" für ein nochmal anderes Neukölln Platz.

In Berlin ruft man ja alle paar Monate einen neuen Stadtteil als Trend- oder Szenebezirk aus, und zur Zeit ist es der Norden Neuköllns, der an Kreuzberg grenzt und deswegen von den Zugezogenen den dummen Namen "Kreuzkölln" bekommen hat.

Während man früher Menschen, die in Neukölln leben mussten, eher bemitleidet hat, gilt Neukölln jetzt als cool, nur weil es dort ein paar neue Cafés, Bars und Galerien gibt. Das andere Neuköllnklischee besagt: Dort, wo die Unterschicht das Kindergeld versäuft, sich die Kampfhundbesitzer in Jogginghose am Kiosk zum Trinken treffen, wo sich libanesische Großfamilien Schießereien liefern, wo in der Rütlischule Lehrer um ihr Leben fürchten, dort ist Neukölln. In Berlin beschimpfen sich übrigens die Stressjugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund jetzt nicht nicht mehr mit "Du Opfer!", sondern mit "Du Rütli!".

Am Donnerstag feierte nun der Dokumentarfilm "Neukölln Unlimited" von Agostino Imondi und Dietmar Ratsch in der Berliner Volksbühne Premiere, und er zeigte nochmal ein anderes Neukölln.

Der Film porträtiert die libanesische Familie Akkouch, die seit sechzehn Jahren in Deutschland lebt, aber ständig von der Abschiebung in den Libanon bedroht ist. Die Geschwister Hassan, Lial und Maradona sind in Neukölln aufgewachsen und alles andere als integrationsunwillig. Sie sprechen gut deutsch, arbeiten neben Schule und Ausbildung unglaublich diszipliniert an ihrer Breakdance- und Musikkarriere und versuchen, die Familie mit ihren Auftritten über Wasser zu halten. So ist der Film nicht nur ein Migrationsdrama, in dem die Willkür der deutschen Abschiebepraxis deutlich wird, es ist auch ein Breakdance-Film. Schießlich ist Hassan deutscher Breakdance-Meister und der 15-jährige Maradona Vizemeister, man sieht die Brüder bei Wettkämpfen und Castings, Maradona schafft es bis zur RTL Castingshow "Das Supertalent".

Breakdance

INDI Film GmbH

Breakdance gegen Abschiebung

Die Volksbühne war überfüllt am Premierenabend, auf den Treppenstufen quetschte man sich, und es herrschte eine ausgelassene Schulparty-Stimmung unter den jungen Besuchern und zahlreichen Mitwirkenden. Szenenapplaus gab es, wenn die Geschwister im Film über die Tücken der deutschen Behörden und ihren schwierigen Alltag als Migranten in Neukölln sprachen.
Aber auch als Deutsche ohne Migrationshintergrund konnte man Neues über sich erfahren. So schmeißt man zum Beispiel eine "Kartoffelparty", wenn man das unbefristete Bleiberecht für Deutschland bekommt.

Denn "Kartoffeln" nennen türkische und arabische Jugendliche die Deutschen. Was sich doch schon mal netter als das altmodische "Krauts" oder das diskriminierende "Piefkes" anhört!