Erstellt am: 9. 4. 2010 - 16:08 Uhr
Handynutzung und Gesundheit
Zum ersten Mal hat ein Gericht bestätigt, dass die Nutzung von Handys gesundheitsgefährdend ist. Geklagt hatte ein heute sechzig Jahre alter Italiener, der seit Anfang der neunziger Jahre beruflich gezwungen war, 4 bis 5 Stunden täglich mit Schnurlos- oder Mobiltelefon zu sprechen. Heute ist der Mann aufgrund eines Tumors im Ohr Invalide, denn er leidet unter Gesichtslähmungen, Gleichgewichtsstörungen und starken Schmerzen. Geklagt hat er den Versicherungsverband, der keine Invalidenrente bezahlen wollte - sein Tumor galt nicht als Berufskrankheit.
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Versicherungen haben bereits in den letzten Jahren Mobiltelefonie als "pending risk", also drohendes Risiko für ihre Branche eingestuft. Die Konsequenzen des nun erfolgten Gerichtsurteils reichen noch weiter, erklärt die Juristin Eva Maršálek von der Plattform Mobilfunk-Initiativen: "Jetzt steht es dem Betroffenen auch offen, seinen ehemaligen Arbeitgeber zu verklagen - und hier handelt es sich um eine strafrechtliche Angelegenheit." Auch mit Sammelklagen könnten sich Arbeitgeber, Handyhersteller oder Netzbetreiber konfrontiert sehen. Maršálek zieht Parallelen zur langfristigen Schädlichkeit von Asbest – hinsichtlich der Mobiltelefonie sei die Datenlage sogar noch eindeutiger als früher bei Asbest, trotzdem reagiere die Politik noch nicht.
Ganz anderer Ansicht sind die Vertreter von Handyherstellern und Netzbetreibern. Maximiliam Maier vom Forum Mobilkommunikation: "Es gibt ja sehr, sehr viele Studien. Für dieses Urteil in Italien wurden ein paar herausgefiltert, doch sie geben nicht das Gesamtbild wieder. Der internationale wissenschaftliche Kenntnisstand ist sehr eindeutig: Bei Einhaltung der Grenzwerte gibt es keine gesundheitlichen Schäden durch Mobiltelefone." Grenzwerte, die von der EU im Jahr 1998 erlassen wurden. Kritik des Umweltdachverbandes: Mobiltelefone haben sich seit 1998 völlig verändert. Eine zentrale Forderung der Organisation ist daher die Kennzeichnung von Handy-Verpackungen nach der Sendeleistung, denn derzeit sei diese für den Kunden beim Kauf nicht festzustellen. Michael Proschek-Hauptmann vom Umweltdachverband: "Reichen würde uns, wenn die Absorptionswerte, denen der Körper ausgesetzt ist, auf der Verpackung ersichtlich sind. Hier gibt es große Unterschiede zwischen den Geräten."
Das Mobiltelefon war in den 80er Jahren Statussymbol für wenige - heute verwendet fast jeder, vom Schulkind bis zur Großmutter, ein Handy - und wieder einmal ist eine Technologie massentauglich geworden, bevor ihre Langzeitfolgen untersucht werden konnten. Bemerkenswert am italienischen Urteil: Das Gericht betont, dass jenen Studien zur Schädlichkeit von Handys der Vorzug zu geben sei, die unabhängig von Netzbetreibern und Herstellern finanziert wurden.
Unabhängig von den - sehr unterschiedlichen - Ergebnissen diverser Studien: Das in der EU geltende Vorsorgeprinzip schreibt Maßnahmen gegen Gesundheitsschäden auch dann vor, wenn es bloß einen Verdacht der Schädlichkeit einer Technologie gibt. Michael Proschek-Hauptmann vom Umweltdachverband: "Unsere Forderungen richten sich dezidiert nicht gegen die Telekommunikationstechnologie an sich. Es gibt ein ungeklärtes Risiko – die Einhaltung des Vorsorgeprinzips muss daher wesentlich massiver eingefordert werden, um etwaige Spätfolgen, die derzeit noch nicht absehbar sind, verhindern zu können."
Die Wiener Ärztekammer empfiehlt zehn Regeln zum Umgang mit Mobiltelefonen. Dazu gehört unter anderem: Das Handy möglichst wenig an den Kopf zu halten, sondern stattdessen die Freisprecheinrichtung zu verwenden. Kinder sollten Handys nur im Notfall benützen. Und vom Telefonieren im Auto oder in der Bahn wird abgeraten, weil dort die elektromagnetische Strahlung multipliziert wird.