Erstellt am: 9. 4. 2010 - 00:05 Uhr
Malcolm McLaren ist tot
Das Ende traf mich schnell und unvermittelt: Malcolm McLaren ist tot. Ein paar Minuten, bevor ich von der Todesmeldung erfuhr, las ich gerade noch seine gewohnt zynischen Bemerkungen zur Genese der ersten Adam Ant Single im aktuellen Uncut.
Er war eines der meistgehassten und gleichzeitig schillerndsten Popgeschöpfe der letzten 40 Jahre. Seine Karriere führte ihn von England zuerst nach New York, wo er versuchte, die drogenverseuchte Proto-Queer-Punklegende New York Dolls auf Vordermann zu bringen. Seine Boutique ("Let it Rock", dann "Sex", dann "Seditionaries"), die er mit seiner damaligen Ehefrau Vivienne Westwood auf der Londoner Kings Road betrieb, war die Keimzelle, der Brennpunkt des britischen Punks. Die Erzählungen der Zeitzeugen über die Genese der Sex Pistols und die Rolle von Malcom McLaren mögen differieren, dass er dabei eine wichtige, vielleicht sogar zwielichtige, aber jedenfalls eine künstlerisch wesentliche Rolle gespielt hat, ist unbestritten. Mit einer bis dato unbekannten Frechheit definierte er das Zeichensystem Pop komplett neu und buchstabierte S.k.a.n.d.a.l. so elegant, gewitzt und clever, dass einem bis heute die Ohren schlackern. Der frühe Punk wurde nach seinem Zerwürfnis mit den Sex Pistols vielleicht ehrenhafter und ernsthafter (siehe The Clash), dafür aber auch herkömmlich-macho-hafter und rockistischer. Der sich selbst dekonstruierende "Great Rock 'n Roll Swindle" war nur eine glühend heiße Stichflamme, die aber viel in Brand steckte. Malcolm McLaren suchte sich andere Protagonistinnen für seine Weltherrschaftspläne.
apa/epa/BERNARDO RODRIGUEZ
House of Pain-Punkbeauftragter Rainer Springenschmid hat das so formuliert: Jede anständige Rock'n'Roll Band braucht im Hintergrund einen geldgierigen Geschäftemacher, der seine Schützlinge ausbeutet und benutzt und sie nur in höchste Sphären bringt, um selbst den großen Reibach zu machen. Die Geschichte ist so alt wie das Showbiz, sie wird in zig Filmen erzählt, und Malcolm McLaren hat daraus eine Kunstform gemacht.
Ein Hochstapler, Betrüger, Ausbeuter sei er gewesen, berichten die meisten, die in seinen Dunstkreis in der Hochblüte des Postpunk der späten 70er/frühen 80er Jahre gerieten. Adam Ant, Boy George, Bow Wow Wow und viele andere "Schützlinge" können davon ein Lied singen. Die Ideenschleuder McLaren ließ sich davon nicht beeinflussen, sondern machte sich auf Weltreise, um wieder in New York anzukommen, wo er unter eigenem Namen seine beste Platte aufnahm. Die Scratch- und Radiokultur des Hip-Hop verband er mühelos mit Musik aus allen Teilen der Welt, von Soweto bis Texas. Aus der heutigen Sicht postkolonialistischer Kritik hat er sich damit wohl zumindest des Verbrechens der Leichtsinnigkeit schuldig gemacht. Aber Songs wie Buffalo Gals oder Double Dutch hatten einen umwerfenden Charme, dem sich auch die Charts der damaligen Zeit nicht verschließen konnten.
Die späteren Versuche, "Trends" zu kreieren: oder besser, sie zu entdecken, waren meist weniger erfolgreich. Oper und Dancemusic (Madame Butterfly) sollten vielleicht lieber doch nicht gemeinsame Sache machen. Malcolm McLarens Liebe zu Paris (das Album hieß wenig originell "Paris") war nur für Kenner von Camp zu genießen. Sein größter Triumph der späten Phase war auch gleichzeitig Beweis seiner Ohnmacht, die weltumspannende Popmaschine noch zu bedienen. Mit seinem Song "Deep in Vogue" holte er zwar die akrobatische Tanzkultur der New Yorker Dragqueens ans Licht der Mainstreamwelt, erinnern wird sich die Mehrheit aber eher an Madonnas viele Monate später erschienene glattgebügelte Aneignung.
Hier ist noch ein 2008er Talkshow-Auftritt des late-great Entertainers Malcolm McLaren zu sehen. Er war auf dem Weg, der Marcel Prawy des Punk zu werden.
Die Nuller Jahre hat Malcolm McLaren weniger mit Musikproduktion verbracht, als mit der Teilnahme an "Punk-Kongressen", Podiumsdiskussionen, und dem Design von Kindermode (!). Popmusik als globale Leitkultur und damit ideale Angriffsfläche für anarchisch-subversive Ideen hat seiner Meinung nach abgedankt. Für provokante Statements zu Pop, Punk und Politik war er trotzdem noch jederzeit zu haben. Die Pflege der Marke "Malcolm McLaren" war ihm in den letzten Jahren wohl das Wichtigste. Auch dabei war er immer eleganter Dandy und Kindskopf zugleich. So würde ich ihn gerne in Erinnerung behalten.
Programmhinweis
FM4 Im Sumpf (21 bis 23 Uhr) sendet am kommenden Sonntag ein sehr ausführliches Interview, das Thomas Edlinger 2004 am Punk Kongress Kassel mit Malcolm McLaren geführt hat.