Erstellt am: 8. 4. 2010 - 12:19 Uhr
Verbannt die Schwere
The Hidden Cameras beglücken Österreich und lassen ihr orchestrales Songmeer glasklar glitzern.
Noch ehe die Keyboarderin Laura Barrett so richtig mit ihrem Pagenkopf wippt und lange bevor der Geiger mit seinem Bogen spielend gegen Joel Gibb rittert, ist es um einen geschehen. The Hidden Cameras überschwemmen das Grazer P.P.C. mit ihren Hymnen, egal, was vor einer Stunde noch wichtig war, die Sicht ist auf einmal glasklar wie Gibbs Stimme, die live beachtlich satter klingt als auf Tonträger gebannt.
Bekannt ist die kanadische Queer-Folk-Music-Truppe für ihre Konzerte, bei denen die Interaktion mit dem Publikum nicht konditionierten Papageien-Spielchen gleicht, sondern helle Begeisterung vor und auf der Bühne auslöst. Go-Go-Tänzer, die Geiger neben Gospelchören umschwirren, und Musiker mit verbundenen Augen führt ihr Heimatlabel Arts&Crafts zum Beweis an, ich denke an das Gastspiel in Linz mit dem The Hidden Cameras beglücken Österreich:
8. April, Salzburg, Arge.
9. April, Innsbruck, Weekender.
10. April, St. Pölten, Festspielhaus.
11. April, Wien, WUK.
Am 29. Mai kehren sie zurück, in und auf's Land, zum Seewiesenfest in Kleinreifling.
16. Juli, Feldkirch, Poolbar Festival.
17. Juli, Golling, On the Rocks Festival.

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"Mein größtes Glück, ein tiefes Rot."
Live wird das fünfte und aktuelle Album "Origin:Orphan" mit einer Leichtigkeit erfüllt, der schwer zu widerstehen ist. The Hidden Cameras sind eine Band, in der jeder einmal ans Glockenspiel darf - zumindest hat es den Anschein. Tatsächlich leitet und lenkt Sänger, Songwriter und Gitarrist Gibb die Formation nach dem Prinzip Barbapapa, dem jeweiligen Anlass entsprechend umgeben von mehr oder weniger MusikerInnen. Auf der aktuellen Tour hat er erneut genügend KollegInnen versammelt, sodass einem zu jedem Zeitpunkt ein lächelndes Gesicht entgegen strahlt. Von angeheuerten Leiharbeitern keine Spur. Dass man vor sich hinlächelt, bemerkt man beim Blick in die umstehenden Gesichter, bei den Hidden Cameras lösen sich Eitelkeiten in Kunstnebel auf - weil ohnehin jeder seiner Arbeit nachgeht.
Glücksbringer gut sichtbar zu positionieren, erfreut sich momentan großer Beliebtheit, oder habe ich sie bislang nur übersehen? Dirk von Lowtzow hatte eine große Muschel(?!) am Verstärker liegen, bei den Hidden Cameras winkt eine Maneki Neko.

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Die Frau, die ihre elektronischen Tasteninstrumente um sich auf Holzböcken aufgebaut hat, ist dabei weit mehr als Keyboarderin. Laura Barrett singt und bedient die Gerätschaft mit einer Hand, während die andere euphorisch in die Luft schnellt und der Pagenkopf wie bei Addams Family-Vetterchen das komplette Gesicht verdeckt. Mit Scott Matthew tourte Barrett im vergangenen Jahr solo mit ihrer eigenen Vorstellung von Folk in Europa, die sich mit Stimme und Instrumenten wie Kalimba als One-Woman-Show umsetzen lässt.

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Silence can be a headline
Auf den wenigen Bühnenquadratmetern, die jeder und jedem zur Verfügung stehen, gibt es nur eine Richtung: vertikales Abheben. Der Geiger hüpft wie aufgezogen. "Sind Sie bereit für Spass und tanzen?" So ganz können Joel Gibb und seine gezählten fünf Mitstreiter und ein bis zwei Mitstreiterinnen - je nachdem, ob man die kommende und gehende Frau Glockenspiel mitzählen möchte - nicht vom Schabernack ablassen. In der zweiten Konzerthälfte frönt man dem gehobenen Up-Tempo. Wie ein Froschorchester springen die Musiker gleichzeitig bei "Underage" in die Höhe, minimale Choreografien beenden Songs und das Szenario erinnert an die vergnüglichsten Kindergartentage. Frau Glockenspiel ist als erste der Band im Publikum und tanzt. Eine kindliche Freude greift um sich, jetzt geht auch mitmachen, auch in den hinteren Reihen ist man bereit.
"Fresse", sagt Joel Gibb und gibt zu verstehen, dass man sich als erstes eine Hand auf den Mund legen soll. Ob er das Wort von einem Berliner Nachbar gelernt hat, dem die Awooooos und Naaas zuviel geworden sind? Seit 2005 lebt der gebürtige Kanadier immer wieder regelmäßig für längere Zeit in der deutschen Bundeshauptstadt. "Augen" ist die nächste Anweisung, dann die Hand an die Wange legen und schließlich in die Höhe strecken.

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Angeblich ging's Joel Gibb bei "Ban Marriage" ja um eine grundsätzliche Ablehnung des Konstrukts Ehe, nicht einzig in Bezug auf die heteronormative Institution.
Als die Cameras bei einer ihrer zwei Zugaben "Ban Marriage" neben "Music is my boyfriend" spielen, ruft sich das Label "Gay Church Folk" in Erinnerung. Soll doch jeder und jede lieben, wen, wann und wo er will, wen kümmert's. Doch draußen vor der Tür spielt es nicht mal diese liberale Gleichgültigkeit.