Erstellt am: 6. 4. 2010 - 18:30 Uhr
Retrospektive eines Unbekannten
Thomas Dybdahl
Messer, Gabel, Gläser, Löffel. Um für die passende Grundstimmung für seine Songs zu sorgen, greift Thomas Dybdahl gern auch einmal in die Küchenschublade. In seiner Heimat gilt er als klassischer Songwriter, hierzulande kennt man ihn nur als Gastsänger von Morcheeba. Die Presseinfo beschwört sogar Vergleiche mit Nick Drake oder Tim Buckley herauf. Aber es gibt eben die kleinen Feinheiten im Brei der Singer-Songwriter, die das genaue Zuhören erst wertvoll und die Unterscheidungen sinnvoll machen.
Erinnern wir uns an den Einsatz der Kücheninstrumente: Man stellt sich Dybdahl als einen vor, der vor sich am Küchentisch alle Gläser aufstellt, die er auftreiben kann, sie unterschiedlich befüllt und dann mit dem Finger über die Ränder fährt, um sie zum Singen zu bringen. Und daraus entsteht dann eine grandiose Hintergrundkulisse für seine wohlig-flauschigen Melodien. Wahlweise klappt das auch mit Besteck.
Die Retrospektive eines Unbekannten
Thomas Dybdahl
Jetzt hat Thomas Dybdahl eine selbstbetitelte Retrospektive veröffentlicht, deren Inhalt seine vier Soloalben widerspiegelt. Für Einsteiger ideal, sind doch Stücke wie "From Grace", "A Lovestory" und "Dice" wunderschöne kleine Juwelen, die durchaus für sich selbst stehen können.
Wahre Liebhaber versuchen aber seine Alben in den hinteren Ecken unserer Platten-Ramschläden zu finden, um das Konzept der "Oktober-Trilogie" erleben zu können. Dybdahls erste drei Alben ("That Great October Sound", "Stray Dogs" und "One Day You´ll Dance For Me, New York City") sind nämlich eine Einheit. Ein Gesamtkunstwerk, das die vielfältige Topographie der norwegischen Landschaft, nicht zuletzt des dort herrschenden Klimas, einfangen möchte. Regen, Kälte, Wind, Herbst, Oktober: Das alles ist die "Oktober-Trilogie". Und Stücke wie "One Day You´ll Dance For Me, New York City" erhalten in der Zusammenführung mit dem Rest erst ihre Körperlichkeit, die mit dem Saxophon-Solo in einem New Yorker Jazzclub beginnt und in den norwegischen Wäldern aufhört.
Mehr zu Thomas Dybdahl heute in der FM4 Homebase (19-22h).
So sehr man auch Drake, Buckley oder Cohen heraushören kann, Dybdahl ist hauptsächlich an Jazz und Blues orientiert. Seine Songstrukturen sind immer wieder auf Dekonstruktion ausgerichtet: Kaum fühlt man sich von seinen Melodien wie von einer warmen Decke eingehüllt, hat Dybdahl sie auch schon wieder weggezogen. Die verstörende Percussion in "From Grace" oder das unrunde Ende von "Something real": Durch diese kleinen Ausreißer werden die Songs von Thomas Dybdahl zu besonderen Hörerlebnissen der norwegischen Art.
Thomas Dybdahl