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Pamela Rußmann

Brennend leben: Das Große im Kleinen erkennen

6. 4. 2010 - 13:27

Blur oder Oasis? Sag ja nichts Verkehrtes!

Der Popjournalist Andreas Bernard hat einen Roman über die Gefangenen im Trendmedienkarussell geschrieben.

Es gibt Berufsgruppen, die neigen dazu, in ständiger Aufnahmebereitschaft für ihren Job zu leben. Journalisten zum Beispiel. Popkulturjournalisten im Besonderen. Alles, was einem in der Umgebung unterkommt, könnte ja Stoff sein für den nächsten Artikel, die nächste Titelstory, die nächste Kolumne! Die Umwelt wird taxiert, Themen werden katalogisiert, Notizen im Kopf angelegt, und irgendwann ist praktisch nicht mehr zu unterscheiden, was Arbeit ist und was ausschließlich private Unternehmung. Gerade Neueinsteiger existieren plötzlich, so scheint´s, nur mehr in einer Art Parallelkosmos. Sie werden relativ rasch in ein neues Milieu katapultiert, das Leben davor scheint tatsächlich wie ein anderes Leben gewesen zu sein. Man bleibt unter sich. Diese hermetische Verriegelung, die mit einer nervös-zittrigen Euphorie einhergeht, mag vielleicht daran liegen, dass man – jung und noch begeisterungsfähig - von einem Tag auf den anderen aus seinem Hobby einen Beruf gemacht hat. Salopp formuliert: Man wird für die Interessen bezahlt, die man ohnehin leidenschaftlich pflegt.

Der Autor Andreas Bernard

Milena Schlösser

Andreas Bernard, 1969 in München geboren, studierte u.a. Neuere Deutsche Literatur an der LMU München und schrieb in den 90er Jahren für das Jetzt-Magazin. 2005 veröffentlicht er seine Doktorarbeit "Die Geschichte des Fahrstuhls. Studien zu einem Ort der Moderne." Heute ist er Autor und Redakteur des SZ-Magazins. Bernard lebt in Berlin. "Vorn" ist sein erster Roman.

Andreas Bernard, Jahrgang 1969, kennt dieses Abdriften, das gemeinhin als Selbstverwirklichung bezeichnet wird, aus eigener Erfahrung (und die allermeisten FM4-ler kennen die Überidentifizierung mit dem eigenen Medium wohl auch; Ausnahmen bestätigen die Regel). Bernard gelang als frisch gebackener Uniabsolvent Mitte der 90er Jahre der Sprung in eine der damals begehrtesten Redaktionen der deutschen Zeitschriftenkultur: dem Jetzt-Magazin, das eine wahrhaftig überlebensgroße Sogkraft besaß.
Das Jetzt-Magazin, schmale Beilage der Montagsausgabe der alten Tante Süddeutsche Zeitung, war das wöchentlich sehnlich erwartete Unisex-Leitmedium für die anspruchsvolle Jugend. Ehrfürchtig wurde das Jetzt aus dem dicken Bauch der SZ gefummelt, andächtig wurde über das Cover gestreichelt – man erzählt Geschichten von bayrischen Jugendzimmern, deren Wände ausschließlich mit Jetzt-Covern tapeziert waren.

Beim Frühstückskaffee wurden die Kolumnen, Rubriken und Kurzporträts inhaliert, für später hob man sich den einen langen Artikel auf. Die enorme emotionale Bindung der LeserInnen ans Heft generierte sich zum Großteil aus dem alltäglichen Zugang zu den Themen. Hier wurden keine Fantasiewelten superlativiert, hier widmeten sich die Texte jenen Erlebnissen und Situationen, die jeder am Küchentisch zu Hause nachvollziehen konnte: von der richtigen und falschen Mixtapes-Beschriftung über Dinge, die das Leben lebenswert machen bis zu einem Sonderheft, das sich der an sich oberflächlichen, hier aber mit zärtlichem Ernst gestellten Frage "Und wie war dein Sommer?" widmete. Gekoppelt wurden die "Ich"-Geschichten mit einer Bildsprache, die man als "The Real in the Twentieth-Century Photography" zusammenfassen kann und diametral dem Supermodel-Wahn in den Lifestyle-Zeitschriften gegenüberstand.

Begleitet aber war die geradezu religiöse Verehrung von einer Ambivalenz: mitunter konnten einen die Coolness, das Selbstbewusstsein und die strenge Stildogmatik der Jetzt-AutorInnen ganz schön nerven. Nach knappen zehn Jahren Lebensdauer wurde das Magazin 2002 unter öffentlichem LeserInnenprotest aus wirtschaftlichen Gründen vom Verlag eingestellt und lebt seither als ein Online-Magazin unter vielen weiter.

Aufbau Verlag

Nun widmet sich das ehemalige Redaktionsmitglied Andreas Bernard in einem als Roman getarnten Erinnerungsstück diesem "Labor einer Generation", wie der Aufbau Verlag es auf der Rückseite des schlichten schwarzen Covers definiert. Und die Ambivalenz von früher kriegt erneut Futter, denn Autor Andreas Bernard beschreibt in "Vorn" minutiös den Alltag des Redaktionsnovizen Tobias Lehnert. Und betreibt damit Selbstbeweihräucherung Galore in einer humorfreien Zone. Auf den ersten 120 Seiten wird ohne Rücksicht auf die Leserschaft das Innenleben einer Stilelite zelebriert. Kritische Distanz – never heard of.

"Egal, ob es um Bands, Filme, Restaurants oder Modeläden ging: Tobias hatte immer wieder das Gefühl, dass die Leute im Vorn sich besser auskannten als alle anderen."

Man ist eben "vorn", zieht geziert die Augenbraue hoch, wenn PraktikantInnen das falsche Mineralwasser am temporären, unterbezahlten Schreibtisch stehen haben, fährt Taxi statt U-Bahn, kauft bei Helmut Lang statt bei Karstadt und die größte Sorge ist, ob man einen Tisch in der Schickeria-Kneipe "Schumann´s" bekommt. Ans Eingemachte geht es, wenn die Jungs der Redaktion auf Brautschau gehen.

"Robert und Tobias hatten eine Titelgeschichte geschrieben, in der es darum ging, das Mädchen so sind, wie sie heißen. In kurzen Artikeln behaupteten sie, dass Annes stets blond und ein wenig arrogant seien, Juttas leicht übergewichtige Stimmungskanonen, Claudias Schönheiten auf den zweiten Blick, deren wahre Faszination sich erst rückblickend erweise, Bärbels durchtrainierte Sportlerinnen mit sensiblem Kern, Julias wiederum strahlende Wesen, in die man sich grundsätzlich verlieben müsse."

Erschreckend ist nicht nur das als originell verkaufte, tatsächlich aber präemanzipatorische Frauen- , pardon: Mädchenbild, das die Wuzzeltischmachos da aufmalen, erschreckend ist auch, dass die Frauen, pardon: Mädchen in der Redaktion von einer dummdreisten Naivität beseelt sind, die einem Gummibandl gleichwertig ist. Parken im Halteverbot – gerne, ich hab ja genug Geld, um die Strafzettel zu bezahlen!
Narzisstisch kreisen die Unterhaltungen, von denen Normalsterbliche, wie etwa die eigene Freundin, ausgeschlossen sind, um den Schreibstil von Kollegen, wahlweise auch gern um den eigenen, und ernsthaft wird die Frage erörtert, ob ein wahnsinnig schlechter Schreiber trotzdem ein angenehmer Mensch sein kann, mit dem man sich abends unterhält.

"Die Atmosphäre war dabei getragen von der Begeisterung über die eigene Arbeit; sie feierten sich selbst."

Bis der Jungjournalist Tobias Lehnert allerdings zu dieser Erkenntnis über seine Kollegen vom "Vorn"-Magazin gelangt, vergehen an die 190 Seiten, auf denen sich Autor Andreas Bernard erschreckend ehrlich einem Medienbetriebspersonal widmet, das sich unschwer erkennbar an den real existierenden Vorbildern orientiert (die allesamt selber mittlerweile mehr oder weniger erfolgreich als Schriftsteller diverse Werke veröffentlicht haben). Aber mit dem schlüsselromanhaften Element, mit dem doppelten Boden auf der Figurenebene, wollen wir uns hier gar nicht aufhalten, das ist nerviger Insider-Kram; interessant ist einzig und allein, ob das Buch auch tatsächlich als das, was es verkauft wird, nämlich als literarischer Roman, Eigenständigkeit erreicht.

"Vorn" von Andreas Bernard ist im Aufbau Verlag erschienen.

Dieses Dilemmas war sich wohl auch der Autor Bernard bewusst, daher bettet er seine autobiografisch motivierte, essayistische Abhandlung über ein Zeitgeistphänomen in eine Liebesgeschichte ein, die aufgrund des Aufgehens in dem neuen Umfeld scheitert. Das Scheitern ist gepaart mit einem psychischen Totalcrash des Protagonisten Tobias, der nach einigen Jahren auf der karrieristischen Überholspur am Pannenstreifen landet und sich mit einer schizoiden Paranoia abmüht.

"Die Erinnerungs- und Assoziationssplitter prasselten auf ihn ein; der Grundverrat, den Tobias in sich fühlte, vervielfältigte sich in unzählige kleine Widersprüche. Er glaubte, amerikanische an britische Bands verraten zu haben, Gitarren an elektronische Musik, die kritische Pop-Berichterstattung im Spex-Magazin an die spielerische im Vorn, gewöhnliches Mineralwasser an Volvic, Erdbeer-Margaritas, die er immer mit Emily getrunken hatte, an die Whisky Sours im Schumann´s, die Chucks von Converse, jahrelang seine bevorzugten Turnschuhe, an New Balance, seinen alten Kleidungsstil an die Journalistenuniform von Helmut Lang."

"Vorn" ist ja der Name des Magazins im Roman. Es gibt aber auch ein echtes Magazin dieses Namens, das findet man hier. Kein Zusammenhang.

Die Sinnkrise kommt allerdings für das Gelingen des Romans zu spät und kann den oberflächlichen Distinktionsgewinnlern keine Tiefe mehr geben. Sie bleiben hängen, am sich endlos drehenden Trendkarussell.

P.S. Die Musealisierung der Zeitschriftenkultur der 90er Jahre trifft zur Zeit noch ein Lieblingsmagazin: Wolfgang Frömberg setzt in "Spucke" der Spex ein Denkmal.