Erstellt am: 30. 3. 2010 - 17:49 Uhr
Google vs. China
Symptomatischer für die zwei beherrschenden Teile der chinesischen Realität könnte die Nachrichtenlage nicht sein: Im jährlichen Amnesty International-Bericht zu den weltweit exekutierten Todesstrafen fehlt die Volksrepublik, weil es ob der hohen Zahl einfach kein realistisches Zahlenmaterial gibt. Offiziell waren es im Jahr 1.718 Hinrichtungen. (Im Vergleich: in der restlichen Welt wurden laut Amnesty im Jahr 2009 rund 700 Menschen von staatlicher Seite getötet). Die zweite China-bezogene Nachricht des Tages: McDonalds kündigt eine große Expansion an und will die Führungskräfte vor Ort in sogenannten "Hamburger Universitäten" ausbilden.
Politische Repression und Wirtschaftsexpansion, Kritik an staatsterroristischen Methoden und Teilhabenwollen am immer größer werdenden Wirtschaftsdrachen: Das Verhältnis des Westens zum bevölkerungsreichsten Land der Erde (offiziell sind es 1,3 Milliarden Menschen) hat zwei Seiten. Gelegentlich geäußerte Kritik wechselt sich mit immer mehr steigenden Investitionen ab.
"Dont be evil"
Mit dieser Janusköpfigkeit konnte auch der nicht gerade einflussarme Konzern Google (die Verlinkung spare ich mir jetzt) in den letzten Jahren gut leben. Seit 2000 sind sie in China stationiert, 2006 startete die unverzichtbare Suchmaschine. Doch wer in China Geschäfte machen will, der muss sich auch den staatlichen Gesetzen beugen. Und im Falle von Google hat das geheißen: Alle Suchergebnisse müssen zensuriert werden. Anfragen zu Dissidenten, den Vorfällen in Tibet oder gar der einen Sache am Tian'anmen-Platz 1989 führten ins Nichts. Wer sich zu oft damit beschäftigen wollte, landete auf dem Radar der "Great Firewall of China", die im Vergleich zur echten chinesischen Mauer wenig Lücken aufweist. Einerseits war Google also immer noch der Happy-Peppi-Nerd-Verein aus dem Silicon Valley, wo die Mitarbeiter gratis Sushi und Smoothies bekommen, in der Pause ein bisschen "Wii fit"-Training machen und nebenbei einen Milliardenkonzern leiten, und auf der anderen Seite war der globale Riese Teil eines repressiven Zensursystems, das offiziell "die innere Sicherheit" stabilisieren sollte und so nebenbei Jagd auf Dissidenten gemacht hat. Der Credibility des Unternehmens hat das nicht gerade gut getan. Doch seit letzter Woche darf Google seinen Slogan "Don't be evil" wieder ein wenig zynismusfreier rausposaunen.
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Konflikt 2.0
"Goliath gegen Goliath" hat der Spiegel geschrieben. Besser könnte ich es auch nicht zusammenfassen.
Die Hackerattacken gegen das Unternehmen sollen es gewesen sein, die Google zum überraschenden Rückzug aus dem größten Internetmarkt der Welt (!) bewegt haben. Nebenbei will man auch noch ein Statement für die Menschenrechte setzen und kritisiert offen die verlangten Zensurmaßnahmen, die man Jahre zuvor noch im Sinne der Geschäftstätigkeit übernommen hat. Mit dem aktuellen Konflikt wird ein neues Kapitel in der Geschichte des nicht gerade konfliktarmen 21. Jahrhunderts aufgetan. Auf der einen Seite steht ein multinationaler Konzern, der seine Geschäftstätigkeit fast stündlich erweitert. Auf der anderen Seite steht eine aufstrebende Weltmacht, der anscheinend nicht einmal globale Wirtschaftskrisen etwas anhaben können. Dass Firmen gegen Staaten kämpfen, ist keine Erfindung der Gegenwart. Im Gegensatz zur Waffenlobby, den Ölkonzernen und der Lebensmittelindustrie trägt Google diesen Kampf allerdings in die Öffentlichkeit, was den politischen Machthabern ungelegen kommt.
Sowohl die chinesische als auch die US-amerikanische Regierung sind um Deeskalation bemüht und wollen das Thema nicht auf eine politische Bühne heben. Schließlich wollen beide verhindern, dass die immer besser werdenden Wirtschaftsbeziehungen unter dem Konflikt leiden. Da aber viele Firmen keine großen Probleme mit der chinesischen Gesetzeslage haben, dürfte diese Gefahr gering sein.
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Wirtschaftlicher Schaden
Yahoo ist übrigens nach wie vor in China engagiert. Im Gegensatz zu Google werden zensurierte Inhalte nicht einmal gekennzeichnet. Außerdem steht das Unternehmen in Verdacht, Userdaten an die Regierung weitergegeben zu haben. Wie für alle multinationalen Konzerne gilt aber auch für Yahoo die Unschuldsvermutung.
Ökonomisch dürfte der Schaden nicht so groß sein. Ganze zwei Prozent seines Gesamtumsatzes hat Google in China erwirtschaftet. Die Marktanteile lagen bei 20-30 Prozent, weit abgeschlagen vom chinesischen Suchmaschinen-Äquivalent baidu. Da investiert man dann vielleicht doch besser in andere Zukunftsmärkte. Und weil das Hauptgeschäft ohnehin in der Werbung für exportorientierte Unternehmen liegt, die auch auf google.com erscheinen wird, gibt es nach wie vor genug kleine Yen-Beträge. Die Chinesen aber könnten den Rückzug viel stärker spüren. Youtube ist zwar sowieso schon gesperrt, die vielen gmail-Accounts würden aber ebenso wegfallen wie die Google-Applikationen bei Chinas größtem Handy-Anbieter China Mobile.
Menschenrechte
Und wie war das mit den Menschenrechten? So groß wird der Unterschied für die chinesischen User nicht sein, wenn sie jetzt auf die Hongkong-Variante der Suchmaschine weitergeleitet werden. Und wer sich wirklich "brisante" Informationen besorgen will, benützt ohnehin andere Kanäle als die bunte Algorithmus-Schleuder. Außerdem ist nicht jeder chinesische Internet-User ein staatszersetzender Dissident und twittert aus der Gefängniszelle. Vielen scheint der Rückzug von Google egal zu sein, schließlich will ja doch nur wieder einmal jemand aus dem Westen erklären, wie die Welt funktioniert. Und das hört man dort gar nicht so gerne, wie man hierzulande vielleicht annehmen würde.
Credibility
Bei uns begegnet man Google seit letzter Woche allerdings wieder mit ein bisschen weniger Bauchweh. Die in den letzten Jahren stets angestiegene Kritik am Riesen hat eine kleine Konjunkturdelle erhalten. Aber so ernst wird es mit der Kritik ohnehin nicht genommen, wie auch Netzaktivist Thomas Lohninger zugibt: "Es gibt viele Leute, die extrem kritisch zu Google stehen und trotzdem alle Services von ihnen benutzen. Diesen Kuhhandel gehen viele ein. Google weiß das und weiß aber auch, dass eine positive Stimmung in der Community extrem wichtig ist. Einfach deshalb, weil sie davon leben, dass mehr und mehr Menschen im Netz sind. Je mehr Netzbürger es gibt, umso mehr verdient Google auf dem Werbesektor."
Besseres Image bringt also mehr Geld. Eine Logik, die wohl keine Firma so perfekt verkörpert wie die Spaßtruppe aus Kalifornien.