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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

1. 4. 2010 - 15:00

Herumdriften in Los(t) Angeles

"Greenberg" ist berührendes und komisches Neurosenkino für Außenseiter aller Altersstufen.

Es gehört zum guten Ton, sich als Jugendlicher der Welt zu verweigern. Aber was ist, wenn irgendwann der Ernst des Lebens zuschlägt? Wenn sich das Karussell aus Job und Karriere zu drehen beginnt? Wenn plötzlich die Gründung einer eigenen Familie im Raum steht?

Die letzten wirklich unorthodoxen Ausstiegsszenarien für reifere Menschen hat wohl die Achtundsechziger-Generation entworfen. Heute sind davon auch nicht mehr als zerplatzte utopische Seifenblasen übrig. Oder alternative Idyllen, mit ihren eigenen rigiden Gesetzen.

Davon abgesehen wird auch vom einstmals rebellischsten Außenseiter heute nahezu eingefordert, sich als funktionierendes Mitglied in die Gesellschaft einzugliedern.

Roger Greenberg hat seinen vierzigsten Geburtstag bereits hinter sich - und er funktioniert noch immer nicht. Ängstlich und verstört stolpert der gescheiterte Musiker durch den Alltag, einen Aufenthalt in einer Nervenklinik hat er gerade hinter sich.

Greenberg ist aber weniger ein schüchtern verträumter Sonderling, wie ihn amerikanische Indiemovies so lieben. Sondern ein gewaltiger Egozentriker, der seinem einzig verbliebenen Freund nie richtig zuhört, ein Besserwisser, der auf der eigenen Meinung beharrt, ein Querulant, der ständig an diverse Konzerne Beschwerdebriefe schreibt.

Greenberg ist Ben Stiller in einer Schlüsselrolle. Meilenweit weg von modernen Klamaukklassikern wie "Zoolander" oder "Tropic Thunder". Aber dennoch grandios komisch.

Greenberg

Tobis Film

Ausgerechnet im sonnigen LA landet das manisch-depressive Midlife-Crisis-Opfer. Greenberg soll auf das Haus seines erfolgreichen Bruders aufpassen, während der mit Familie in Vietnam urlaubt.

Ganz allein ist der unruhige Einzelgänger in dem schicken Anwesen nicht. Da ist ein melancholischer Schäferhund, der auf den schönen Namen Mahler hört. Und immer wieder kommt die Haushaltshilfe Florence vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.

Florence ist ein eigenes Kapitel. Eine kluge, charmante Mittzwanzigerin, die aber viel zu orientierungslos und sensibel wirkt für die zynische Gegenwart in Los(t) Angeles. Irgendetwas reizt sie an dem verwirrten Kerl mit der seltsamen Frisur, an seinem altmodischen Geschmack, an seinen Allüren. Vielleicht ist es bloß die existentielle Verlorenheit, die Florence und Roger verbindet.

Regisseur Noah Baumbach, dem wir auch den Geniestreich "The Squid And The Whale" verdanken und Drehbücher für Wes Anderson, hat seinen Film "Greenberg" genannt. Er könnte aber genauso gut "Florence" heißen.

Denn gleich am Anfang folgt die Kamera der jungen Frau und will gar nicht von ihrer Seite weichen. Und das ist wunderbar. Denn die Darstellerin der Florence, die Newcomerin Greta Gerwig, bislang nur in der Mumblecore-Szene ein Begriff, sie ist eine stille Sensation.

Greenberg

Tobis Film

Überhaupt, was für ein herrlich trauriger, witziger und manchmal bitterböser Film. Keine saccharinsüße Pseudo-Indie-Komödie vom Reißbrett, kein verhärmtes Altmännerdrama, kein sprödes Midlife-Crisis-Epos.

Eine Hymne an das Verhuschtsein, an die Verschrobenheit, an die blanke Peinlichkeit hat Noah Baumbauch geschaffen. Durchaus verwandt den lakonischen Filmen seines Kumpels Wes Anderson, aber weniger manieristisch und verspielt angelegt.

In den besten Momenten erinnert "Greenberg" an "All My Friends", den besten Song der allerbesten Band der Welt, des LCD Soundsystem. Es geht um das mühsame Altwerden in Hipster-Zirkeln und um Jugendliche, die schon alt auf die Welt kommen.

Passenderweise untermalt dieses Stück nicht nur den Trailer, Baumbach beschwört es auch in Interviews und Mr. LCD himself James Murphy komponierte den wehmütigen Pop-Soundtrack zu "Greenberg".

Und wenn ich hier schon ins Schwärmen gerate: Die traumwandlerische Kamera erinnert an die raue Poesie der New Hollywood der siebziger Jahre. Die Nebenrollen sind fantastisch besetzt, von Rhys Ifans bis Jennifer Jason Leigh. Die Story verzichtet auf überzogene Twists, Wendungen und Botschaften, verhandelt aber ganz beiläufig auch soziale Abgründe im Gegenwarts-Amerika.

"Greenberg" ist ein Film, der so herumdriftet wie seine Hauptfiguren. Berührendes Neurosenkino für Außenseiter aller Altersstufen. Funktionieren, das sollen die anderen.

Greenberg

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