Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Audienz beim Voodoo-Papst"

Anna Mayumi Kerber Nairobi

Reportagen und Geschichten aus Ostafrika.

29. 3. 2010 - 12:02

Audienz beim Voodoo-Papst

Warum Wasser zu Gin machen, wenn man den auch so bekommt. Über Liebeskummer, Aids, Sklaverei und Fußball. Daagbo Hounon Houna II gibt sich überraschend geerdet.

Ein Geschenk ist Pflicht. Zur Audienz des Voodoo-Papstes kommt man nicht mit leeren Händen. Das teuerste muss es dann doch nicht sein, eine Flasche Gin für 1300 CFA (etwa 2 Euro) tut es auch.

Ihre Majestät Daagbo Hounon Houna II empfängt in einem Rundhaus. In dem unverputzten Gemäuer mit Wellblechdach, sind Tür und Fenster einfache Öffnungen, der Boden ist mit Sand bedeckt. Ganz in weiß gekleidet, lümmelt der Voodoo-Papst in einem Sessel, die bloßen Füße über die Armlehne baumelnd. Mit einem Schal um den Kopf gewickelt und dem Hut darüber, erinnert er ein wenig an P. Diddy.

anna mayumi kerber

Bevor die Unterhaltung beginnen kann, wird zunächst gereinigt und geopfert. Ein bisschen Wasser auf den Boden, ein wenig Gin hinterher. Dasselbe vor der Türe, man muss die Götter freundlich stimmen. Dann geht ein Zinkbecher mit Wasser reihum. Zuerst ihre Majestät, dann die Besucher. Wer dem Wasser nicht traut, tut zumindest so, als ob er trinkt. Dann ist der Gin an der Reihe. Der kommt in ein Glas und wird (recht großzügig) pro Kopf rationiert. Schwindeln ist nicht drin.

Vodoo ist überall in Benin. Auch wenn sich beim letzten Zensus weitaus mehr Menschen zum Christentum oder Islam bekannten, praktiziert der überwiegende Teil der Bevölkerung Voodoo Rituale. Weltreligionen verfügen hier nicht über Exklusivrechte.

Voodoo Papst

anna mayumi kerber

Zensusdaten von 2002: über 42% Christen (27% Katholiken, 5% Anhänger der Eglise de Céleste, 4% Methodisten), etwa 25% Muslime

Auf zahlreichen Märkten gibt es Fetisch-Abteilungen. Von Affenschädel, über Bisamrattenschwänze bis zu Rinden giftiger Bäume findet man allerlei Sonderbarkeiten. An Schreinen, Tempeln, Statuen, Tischen, Höhlen etc wird geopfert – die Kommunikationsdrähte mit dem Jenseits laufen heiß. Von selbstloser Aufopferung jedoch keine Spur. Man wendet sich mit Wünschen an die Götter und die Geister der Ahnen. Sei es, ob man Rat in Liebesdingen oder Hilfe bei physischen Leiden sucht. Die Palette der Probleme ist endlos.

Wer opfert, darf wünschen. Ein einfaches Prinzip, wie es scheint, die Rituale jedoch komplex. Ebenso, wie eine Übersicht über die Vielzahl der Gottheiten zu erhalten. Es gibt einen für die Sonne, den Regen, die Geschwindigkeit, die Fruchtbarkeit, einen der Tränen und einen der Schlangen, usw. Alle sind sie wichtig, aber einer steht über ihnen. Das ist Mawu, der Übergott sozusagen. Vielleicht trifft es "Zeus, der Göttervater" besser.

„Mawu ist mit Gott oder Allah, oder wie auch immer man ihn nennen mag, zu vergleichen“ versucht Daagbo Hounon Houna II mit sanftem Lächeln zu erklären, seine Zahnlücke zwischen den vorderen Schneidezähnen entblößend. Er weiß mit dem westlichen Zugang zur Spiritualität umzugehen. Als „Voodoo-Papst“ ist er bereits des Öfteren auf die geistige Elite anderer Religionen getroffen. In Paris, Rio de Janeiro, im australischen Melbourne, oder usbekischen Taschkent – seine Reisen haben ihn weit geführt. Immer im Namen des Voodoo, zumeist auf Einladung der UNESCO.

Wenn nicht gerade auf Reisen, lebt Hounon Houna II in Ouidah, im Süden Benins. „Schutzpatron“ der Stadt ist die Pythonschlange. In einem schäbigen Tempel im Zentrum wird regelmäßig 40 Exemplaren gehuldigt. Tagsüber liegen sie zusammengerollt übereinander in einem kleinen Rundhaus, aus dem sie nächtens zur Rattenjagd im Dorf freigelassen werden.

anna mayumi kerber

Ouidah ist aber nicht nur spirituelles Zentrum des Vodun-Kultes, sondern auch ein geschichtsträchtiger Ort. Ein grausamer Teil der afrikanischen Kontinentalgeschichte wurde hier geschrieben. Ouidah verfügte einst über einen der wichtigsten Häfen für den transatlantischen Sklavenhandel.

Zwischen 15. und 19. Jahrhundert endeten über 10 Millionen Menschen in Sklaverei in der „neuen Welt,“ genaue Zahlen gibt es nicht. Mit den Sklaven gelangte der Vodun-Kult nach auch Haiti, wo er sich heute noch großer Beliebtheit erfreut.

Neben den europäischen Sklavenhändlern tragen auch die „afrikanischen Brüder“ Mitschuld. So sieht man das zumindest in Ouidah. Schließlich waren es die Dahomey-Könige, die die Sklaven „fingen“ und an die Franzosen, Portugiesen, Engländer, Holländer und Dänen verkauften.

Einen „geschichtlichen Unfall“ nennt der Voodoo-Papst das dunkle Kapitel der Sklaverei. „Es hat viele Schuldige gegeben, auf verschiedenen Seiten,“ nimmt er auch die Dahomey-Könige ins Gericht, die ihre Brüder und später auch Schwestern an die Europäer verkauft haben.

Sklavendenkmal

anna mayumi kerber

Der Job ihrer Majestät scheint anstrengend. Sie ist immerhin Anlaufstelle für jeden, „zu jeder Tages- und Nachtzeit,“ wie Hounon Houna II betont. Auch räumlich ist sein Wirkungsbereich nur bedingt begrenzt. Auf einem Sessel vor ihm steht ein kleiner weißer Acer, Travel-Edition. Daneben liegen zwei Mobiltelefone. Eine Sparlampe baumelt an einem Kabel über seinem Kopf. Man ist vernetzt, die Modernisierung Afrikas macht auch vor heiligen Türen nicht Halt.

Als eines seiner Telefone klingelt, entschuldigt er sich dezent bevor er abhebt. Das ist außergewöhnlich in diesem Teil Afrikas. Egal, ob beim Essen, am Grenzposten, beim Greißler, während einer Polizeikontrolle – das Handy geht normalerweise vor. Ebenso bemerkenswert ist es daher, dass wer bei ihrer Majestät auf Audienz ist, zuerst ihre Erlaubnis abwartet, bevor er sein Mobiltelefon abnimmt. Selbst wenn die Lautstärke des poppigen Klingeltons jedes anderweitige Gespräch per se ausschließt.

Je nach Anliegen ist die physische Präsenz eines Hilfesuchenden jedoch unabdingbar. „Das kommt immer darauf an,“ wägt ihre Majestät ab, „ob es sich um ein physisches oder psychisches Leiden handelt. Auf den Schweregrad dessen,“ usw. Vieles ließe sich aber auch auf Distanz lösen. Man müsse nur seine Leiden möglichst detailliert erklären, er werde dann hier für einen beten und allfällige Rituale durchführen. Die monetäre Aufwandsentschädigung weiß er geschickt an anderen Stellen zu erwähnen.

anna mayumi kerber

„Gäbe es nicht für jedes Problem eine Lösung, dann wäre unser Dasein sinnlos,“ erläutert er sein Credo und geht gleich darauf in die Offensive. „Es ist noch nicht lange her, dass AIDS unheilbar war, jetzt leben Menschen lange mit dieser Krankheit.“ Von dem medizinischen Detail abgesehen, dass AIDS nach wie vor nicht heilbar, dessen Symptomatik und die Ausbreitung des Virus aber gewissermaßen kontrollierbar ist, hat er Benedikt XVI etwas voraus. Er scheut nicht davor, sich mit Realitäten auseinanderzusetzen.

Fußball in Benin: Nationalteam: Les Ecureuils (Die Eichhörnchen) Beste Ergebnisse: Qualifikation für den African Cup of Nations (2004, 2008; jeweils in der Gruppenphase ausgeschieden)

Im Allgemeinen beschäftigt er sich mit sehr „irdischen“ Problemen. So ist er etwa auch schon Benins Fußball-Nationalmannschaft zur Hilfe geeilt. „Das Problem hierbei ist,“ setzt er an, um die völlig erfolglose Laufbahn der Mannschaft zu erklären, „dass nicht alle zusammenarbeiten.“ Die Spieler hätten zu große Egos, jeder wolle der Beste sein: Linke Verteidigung wolle die rechte ausstechen, ein offensiver Mittelfelder besser sein als ein Stürmer. Seine ausschweifenden Erläuterungen kurz zusammengefasst: Wenn sich nicht jeder einzeln, sondern das Team als Ganzes mit den Geistern zusammentäte, dann wäre Benin längst Weltmeister. Punkt.

1975 wurde die Republik Dahomey in Volksrepublik Benin umbenannt
Einwohnerzahl:
2008: 8,5 Mio (geschätzt)
2004: 7,2 Mio
1998: 5,7 Mio
Jährlicher Voodoo-Feiertag: 10. Januar

Ein Wunsch? Ja, Holland könne es bis ins WM-Finale schaffen, da ist dann aber von Millionen (CFAs) die Rede. Die paar Tausend Euro müsse der Erfolg der Mannschaft schon wert sein. Was? Nein, Drogba, Eto’o und Adebayor ziehen keine solch langen Gesichter, wenn sie bei ihm um Hilfe ansuchen.

Das Finale ist dann aber das Maximum, für das er sich zu beten anbietet. Ihre Majestät klopft sich vor Lachen die Schenkel, wird dann aber wieder gleich ernst: „Der Pokal muss in Afrika bleiben,“ meint er mit Nachdruck. Ein afrikanisches Team müsse gewinnen. Schließlich finde die WM auf afrikanischen Boden statt. Die Nächstenliebe eines Voodoo-Papstes kennt anscheinend doch Grenzen.