Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Kühle Konstrukte"

Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

29. 3. 2010 - 10:22

Kühle Konstrukte

"Der Kameramörder" setzt auf Distanz statt Emotionen und wiederholt damit alte Fehler des österreichischen Gegenwartskinos.

Ach ja, die Literatur und das Kino. Eines unserer heiß diskutierten Lieblingsthemen hier, bei dem man es scheinbar niemandem recht machen kann. Denn nicht nur die Beschwerden über lieblose Leinwandfassungen großartiger Bücher reißen nicht ab.

Auch wenn ein formidabler Roman wie Denis Lehanes "Shutter Island" von einem Großmeister wie Martin Scorsese werkgetreu verfilmt wird, stellt sich keine kollektive Euphorie ein. Es geht einfach bei der Übersetzung von stringenten Sätzen in bewegte Bilder immer Essentielles verloren, daran lässt sich nicht rütteln.

Umso besser, dachte ich mir deswegen beim neuen österreichischen Film "Der Kameramörder", dass ich mich wieder einmal gänzlich unbefangen nähern kann. Denn weder habe ich die gleichnamige, gefeierte Buchvorlage von Thomas Glavinic gelesen, noch die Bühnenadaption davon gesehen.

Hinein also ins Kino ohne irgendeinen Ballast, der den Zugang verstellt. Höchstens, das gestehe ich, mit einem Hauch von Vorurteilen gegenüber dem heimischen Kino im Kopf, die auch kein Hype um Haneke oder eine Seligsprechung von Christoph Waltz abzubauen vermögen.

Der Kameramörder

lotus film

Dann fällt mir die Diagonale-Kritik meiner Kollegin Maria Motter ein. Die Szenerie hat tatsächlich etwas von einem glatten Werbespot, die typische Ästhetik österreichischer Mineralwasser- oder Mobilfunk-Reklamen kommt mir in den Sinn.

In einem einsamen Designerhaus am Neusiedlersee schlürfen zwei Bobo-Paare edle Weine. Immer wieder mal rutschen kleine Gehässigkeiten in den Smalltalk, aber im Grunde herrscht österliche Ruhe. Eine sanfte Brise weht durch das Schilf.

Aber dann wird der gemeinsame Urlaubsfrieden empfindlich gestört. Plötzlich ist im Fernsehen von einem grausamen Snuff-Video die Rede, das offensichtlich in der Nähe des schicken Seedomizils entstanden ist. Ein mysteriöser Täter verfolgt darin zwei Kinder mit der Kamera, zwingt sie von einem Turm zu springen, filmt den Tod eiskalt mit.

Unter den beiden Pärchen greift Paranoia um sich, die zwischenmenschlichen Konflikte brechen in der abgeschirmten Atmosphäre ernsthaft auf. Könnte vielleicht einer der Anwesenden mit dem Mord etwas zu tun haben? Die Streitereien schlagen in offene Feindseligkeiten um.

Die vier Akteure in diesem Kammerspiel, darunter der zu Recht gelobte Andreas Lust als Paradezyniker, ersticken aber nicht nur an der klaustrophobischen Stimmung. Es ist vor allem die Inszenierung, die ihnen keinen Freiraum zum Atmen lässt.

Der Kameramörder

lotus film

Wie artifizielle Konstrukte wirken die Figuren in ihrer Werbefilm-Kulisse. Wandelnde Klischeebilder von modernen Beziehungsopfern, deren Befindlichkeit bald nur noch grässlich nervt. Wenn es aber keinen Hauch von emotionaler Involvierung gibt, dann ist einem letztlich alles egal als Zuseher.

Man kennt verwandte distanzierte Blickwinkel aus früheren Streifen von Michael Haneke. Auch in "Der siebente Kontinent" oder dem berüchtigten "Funny Games" ist das bürgerliche Personal als stereotype Staffage in Szene gesetzt. Man spürt in diesen Werken nahezu die intellektuelle Verachtung des Filmemachers gegenüber seinen Charakteren.

Ob eine ähnliche Überheblichkeit bereits in der Buchvorlage von Thomas Glavinic auftaucht, kann ich, wie gesagt, nicht beurteilen. Von Regisseur Robert Adrian Pejo kenne ich jedenfalls großartige Dokus über die Gerichtsmedizin ("Der Weg nach Eden") und Extremkünstler ("Rest in Pieces"), die unter die Haut gehen.

Das lässt sich von seinem neuen Film nicht behaupten. "Der Kameramörder" verweigert sich dem offensiven Gefühlskino und der plakativen Medienkritik, will aber partout auch kein spannender Thriller oder ein mitreißendes Psychodrama sein. Zurück bleibt eine kühle filmische Fingerübung, die an keiner Stelle berührt.

Der Kameramörder

lotus film