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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

27. 3. 2010 - 10:56

"Dass sie will, was sie soll"

Lange vor Simone de Beauvoir und Judith Butler bezeichnet die Wienerin Rosa Mayreder (1858-1938) Weiblichkeit und Männlichkeit als Kulturprodukte. "Zivilisation und Geschlecht" versammelt ihre radikalsten Schriften.

Rosa Mayreder war feministische Theoretikerin, Malerin und Schriftstellerin. Obwohl sie sich eher als Einzelkämpferin verstand, engagierte sie sich in vielen Aktivitäten der Frauenbewegung.
Sie mitbegründete den "Allgemeinen Österreichischen Frauenverein" und die "Kunstschule für Frauen und Mädchen", und gab die Zeitschrift "Dokumente für Frauen heraus". Gemeinsam mit Bertha von Suttner wurde sie auch in der Friedensbewegung aktiv.

Während man Männlichkeit und Weiblichkeit in ihrer gegenwärtigen Gestalt aus ursprünglichen und primitiven organischen Bedingungen zu erklären strebt, übersieht man, dass sie in vielen wesentlichen Stücken bloße Kulturprodukte sind, also nichts Feststehendes und Abgeschlossenes, noch auch etwas allgemein Zutreffendes.

Diese Zeilen schreibt die Frauenrechtlerin Rosa Mayreder schon 1905 und nimmt damit im Grunde die Gender-Debatte vorweg.

Statt "die Frau" als den immergleichen Abzug eines durch Kultur und Erziehung geformten Rollenbilds der Frau als Ehefrau und Mutter zu sehen, fordert sie für jeden Menschen "die unbeschränkte Freiheit der individuellen Entwicklung". Unabhängig von jeder geschlechtlichen Determinierung. Das gilt auch für jeden Mann.

500 Schilling Banknote, auf der Rosa Mayreder abgebildet ist.

http://www.oenb.at/de/ueber_die_oenb/geldmuseum/oesterr_geldgeschichte/schilling/vom_schilling_zum_euro.jsp

Rosa Mayreder war auf der Vorderseite des letzten 500-Schilling-Scheins abgebildet. Auf der Rückseite der Satz: "Die beiden Geschlechter stehen in einer zu engen Verbindung, sind voneinander zu abhängig, als dass Zustände, die das eine treffen, das andere nicht berühren sollten."

Zum Beweis, wie willkürlich es ist, das biologische Geschlecht eines Menschen zur Grundlage seiner Persönlichkeit zu machen, zitiert sie, was die großen Denker ihrer Zeit für die Natur des Weibes halten. Je nach Interesse beschreiben die Herren Schopenhauer, Lombroso oder Nietzsche die Frau an sich als unterordnungsbedürftig oder herrschsüchtig, sanftmütig oder zornig, tugendhaft oder kriminaloid, verstand- oder gefühlsbetont. Mayreder tut nichts weiter, als die Widersprüche aneinanderzureihen. Lässig und gleichzeitig argumentativ präzise nimmt sie z.B. einem Otto Weininger, den Wind aus den Segeln. Der meint, dass "auch der tiefstehendste Mann noch unendlich hoch über dem höchststehenden Weibe steht", und dass das Weib seelenlos sei, "kein Ich und keine Individualität, keine Persönlichkeit und keine Freiheit, keinen Charakter und keinen Willen" habe. Überhaupt hätten die Frauen "keine Existenz und keine Essenz, sie sind nicht, sie sind nichts."

Solche Extreme bestätigen und perpetuieren die gesellschaftliche Normvorstellung, dass die Frau minderwertig sein muss, weil sie statt Penis, Hoden und Samenleiter, Vagina, Eierstöcke und Gebärmutter hat.
Was soll sie schon können, außer Kinderkriegen?

"Dass sie will, was sie soll."

Rosa Mayreder analysiert und kritisiert die "Domestizierung des Weibes zur Mutter", nennt die gängige Familienliteratur, die weibliche Stereotype fortschreibt, Terrorismus, und die körperliche Belastung von Schwangerschaft und Geburt eine biologische Ungerechtigkeit.
Mütterlichkeit ist für sie kein Wesenszug des weiblichen Geschlechts. Umso schlimmer, dass die Aufgabe der Kindererziehung selbstverständlich den Frauen überlassen werde.

Die Mütterlichkeit nimmt unter den sozial approbierten Eigenschaften der spezifischen Weiblichkeit den ersten Rang ein, und die bloße Abschwächung der ihr zugrunde liegenden Instinkte gilt als Entartungssymptom, während die Väterlichkeit in der männlichen Psyche weder durch die Erziehung noch durch die allgemeinen Anschauungen irgend eine Förderung erfährt, und die gänzliche Abwesenheit der ihr dienenden Instinkte das Individuum in keiner Weise herabsetzt.

Unter diesen Vorzeichen stellt die Frauenrechtlerin die Frauenfrage, die auch über 100 Jahre später mit Kindergeld und Väterkarenz nur alibihalber gelöst ist: Wie ist Familie mit Frauenarbeit - die gerade vor und während des ersten Weltkriegs stark zunimmt - vor allem aber mit der intellektuellen und persönlichen Entwicklung der Frau vereinbar?
Die Herren der Schöpfung, allen voran Vater Staat sollten für gerechte Bedingungen sorgen. Schließlich sei Väterlichkeit "gar nichts anderes als die männliche Form der Mütterlichkeit."

Mit dieser Ansicht widerspricht Mayreder nicht nur dem Männerbild ihrer Zeit, sondern auch Tendenzen innerhalb der Frauenbewegung, die die Rolle der Frau als Mutter propagieren.

"Es gibt nichts, außer der Liebe."

Zivilisation und Geschlecht ist im Mandelbaum Verlag erschienen.

Mandelbaum Verlag

Das Buch versammelt Texte aus den Essaysammlungen "Zur Kritik der Weiblichkeit" (1905) und "Geschlecht und Kultur" (1923).

Unangepasst ist die Feministin nicht nur in ihren Schriften, sondern auch in ihrem Leben. Mit 18 legt sie das Korsett ab, lernt lieber Griechisch und Latein statt Hauswirtschaft, bleibt kinderlos und beschränkt ihre erotischen Gefühle nicht allein auf ihren Ehemann.
Rosa Mayreder hat während ihrer Ehe zwei mehrjährige Affären, die sie ihrem Mann nicht verheimlicht. Diese Erfahrungen schlagen sich auch in ihrem Werk nieder. Sie macht den sexuellen Anspruch der Frau geltend, indem sie über die "herrische Erotik" und "primitive Männlichkeit" schreibt, und stellt das Prinzip der Individualität gerade in Liebesdingen über alles. "Jeder liebt auf seine Weise, ganz nach der inneren Notwendigkeit seines Wesens", schreibt sie. Neben der Doppelliebe verteidigt sie auch die gleichgeschlechtliche Liebe:

Die Liebesbeziehungen der Homosexuellen untereinander sind das genaue Abbild der Heterosexuellen - von den schönen und edlen Ideen des seelischen Einheitsstrebens über alle Illusionen und Täuschungen, über Eifersucht, Liebesschmerz und Abhängigkeitsgefühl bis zu den Ränken und Winkelzügen, an denen die heterosexuellen Beziehungen so reich sind.

Die Radikalität dieses Gedankens wurde von Mayreders Zeitgenossen entweder verteufelt und belächelt oder schlichtweg nicht erkannt. Er und ihre Thesen zu einem androgynen Menschheitsideal, Prostitution, Krieg und Zivilisation wären durch zwei Weltkriege fast verloren gegangen.