Erstellt am: 27. 3. 2010 - 12:26 Uhr
Ein Hütchenspiel
Der Mann von BBC Leeds hat ihn am Flughafen gesehen. Auf Agenturbildern von Donnerstag war er angeblich in Paris. Das temporär wieder ausgerufene Where’s Pete?-Medienspiel war in Graz schnell geklärt: Direkt vom Flughafen wurde Peter Doherty zum Non Stop Kino am Bahnhof für das erste von zwei angekündigten Konzerten vorgefahren. Ja, das Kino spielt nach wie vor Porno. Und nein, Peter Doherty ist kein scheues Reh. Aber er hat Wimpern wie ein Bambi.
Eineinhalb Stunden spielt der Darling der bunten Blätter mit den großen Bildern vergangene Donnerstagnacht, da ist Zeit für Details. Denn machen wir uns nichts vor: Bei Dohertys Guerilla Gigs wird in erster Linie geschaut. Auf der Kinoleinwand läuft ein Zusammenschnitt von Konzertaufnahmen und Home Video Recording von 2006 im Loop. Selbst während des Konzerts, so will es das Gesetz, denn das Non Stop ist ein Kino und kein Konzertsaal. Da hüpft ein Babyface von Doherty oberkörperfrei durch das Bild, auf der Bühne hängt der dreißigjährige Brite sein Sakko auf den erneut bereitgestellten Thonet-Kleiderständer. Auch der junge Mann in der Kunstuniform ist wieder im Publikum, genau wie vor zwei Jahren, die Koordinaten für das Déjà-vu wären gesetzt. Verändert haben sich aber die Parameter.
Peter - seit der Veröffentlichung von "Grace/Wastelands" offiziell nicht mehr Pete - Doherty ist diesmal Herr seiner Sinne. Das ist erfreulich für alle, die wegen der doch charmanten Solokonzerte gekommen sind, und das sind überraschend viele. Immerhin beehrt Doherty Graz zum vierten Mal innerhalb von vier Jahren. Skandalgenudelt wird diesmal nicht, zumindest bislang nicht. Im Gepäck hat er die alten Hadern, die von "Tell the king" zu "Breck Road Lover" reichen und wenn es im Publikum zu laut wird, spielt Doherty die ersten Akkorde von "Can't stand me now" an. Gelernt ist gelernt, Doherty ist ein Entertainer. Die Aussichten auf eine Libertines-Reunion finden sich dieser Tage für die großen Festivals in Leeds und Reading in Kurzmeldungen.

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Fang den Hut wird nicht mehr gespielt
Der Doherty-Wurlitzer rollt durch das Land. Wie zu Libertines-Zeiten sei die Setlist gereicht, denn es darf durchaus von einer solchen gesprochen werden:
1. New love grows on trees
2. You’re my waterloo
3. Music when the lights go out
4. Can’t stand me now
5. Salome
6. Tell the king
7. Arcady
8. What Katie did
9. You talk
10. Smashing
11. UnBilo Titled
12. This is for lovers
13. Hooligans on E
14. What a waster
15. Don’t look back into the sun
16. Back from the dead
17. France
18. Beg, steal or borrow
19. Fuck forever
20. Breck Road Lover
21. Down in Albion
Töne und Saiten trifft Doherty diesmal alleine. Der mitgereiste General Santana, vor dessen gnadenloser Reggae-Trällerei man sich fürchten muss und der bei vergangenen Non Stop-Gigs den augenrollenden Doherty quasi auf die Bühne gesetzt und ihm die Gitarre in die Hand gedrückt hat, darf nun nur vor Doherty auf die Bühne.
Ein fünfköpfiger Mädchenchor eröffnet mit dem General. Mit Absurdem durfte gerechnet werden, dass sich unter den roten Samt-Kinosesseln ein doppelter Boden auftut und ein Twin Peaksches Figurenkabinett ins Nebelmaschinenlicht tritt, ist eine Begleiterscheinung der Location, über die hinweggesehen wird. Die pädagogisch wertvolle Schlafenszeit liegt mehr als vier Stunden hinter uns, die ersten BesucherInnen tauschen sich über ihren Arbeitsbeginn am nächsten Tag aus. Es ist 23.15 Uhr und an die einhundert Fans warten seit acht Uhr auf "Piiiiihiiiit". Warten ist Teil des Rituals. Einlass und Abendkassa wurden diesmal erst geöffnet, als Doherty sich vor Ort befand. "Fang den Hut" wird nicht mehr gespielt.
Das Bedürfnis, Kleidungsstücke oder sich mit Doherty auszutauschen, scheint verflogen. Wechselten bei den letzten Besuchen noch Hüte ihre Besitzer, so wird diesmal nur "Babyschnaps" Richtung Bühne gereicht. "Billy Jean!" und "Down in Albion" schrillt es aus dem Publikum, für einen kurzen Moment äfft Doherty den Ruf nach den Hits nach. Noch mehr Hits? Geht denn das überhaupt? Von "Grace/Wastelands" sind ganze drei Songs zu hören.

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Hey chabos!
Schwer zu übertönen ist das beständige Stimmensummen am Freitagabend: Vierundzwanzig Stunden nach dem ersten Grazer Konzert der kleinen Österreichtournee, die Doherty auch nach Innsbruck und Wien führen soll, finden sich an die fünfzig Gäste im Foyer des Non Stop Kinos zu einem "exklusiven Gig" ein. Sechzig Euro pro Kopf und Nase haben die Anwesenden an der Abendkassa liegen gelassen. War die Meet-, Greet- und Sing-Along-Stunde 2008 ein Fantreffen, wo junge Frauen ihre Knie mit beiden Armen umschlungen hielten und in den hinteren Reihen Männer das Geschehen still mit Abstand verfolgten, so ist diesmal musikalisch eine Variation des Vortags angesagt.
Wer zahlt, schafft an, und nur weil man sechzig Euro gezahlt hat, muss man noch lange nicht andächtig zuhören. Wieder ist "Billy Jean!" anwesend, es wird lautstark und permanent getratscht. Bittende Blicke der lautlos Mitsingenden und Zuhörenden nutzen nicht. Doherty stoppt mitten in einer Zeile:

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Das ist nun doch ein bisschen schade. Vergebene Liebesmühe, das ist offensichtlich.

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Das Non Stop ist ein Wasteland, so fotogen können Neonröhren nicht leuchten, um die graue Welt im Halbdunkeln zu übertünchen. Mehrfach wird das Bühnenlicht aufgeblendet, Doherty empört sich und selbst das klingt freundlich, das Licht wird gedämpft. Ein Kasten von Security-Mann steht zwischen ihm und den Fans, als er abrupt die Gitarre in den Koffer wirft und von der Mini-Bühne steigt, doch irgendwie ist da niemand, der ihn auf irgendetwas Konkretes ansprechen würde. Viel mehr als "Billy Jean!"-Rufe bekommt er nicht zu hören an den vergangenen Abenden in Graz.
Vielleicht fassen sich die Innsbrucker und Wiener Freunde der Ein-Mann-Show-mit-Gitarre ein Herz. Und antworten auf ein motiviertes "Guten Abend!". Das könnte sich durchaus auszahlen.