Erstellt am: 1. 4. 2010 - 10:00 Uhr
Moskau, unter Tage
Die Moskauer Metro, in den letzten Tagen als Schauplatz tragischer terroristischer Anschläge in allen Medien, ist nicht irgendeine U-Bahn. Das nach Tokio zweitgrößte U-Bahn-System der Welt ist eine der Hauptattraktionen der russischen Hauptstadt, ein gewaltiges Labyrinth aus Tunneln, prachtvollen, palastähnlichen Hallen und unterirdischen Regierungseinrichtungen. In Zweiten Weltkrieg und in Zeiten des Kalten Krieges wurden die fast 300 Kilometer langen Tunnelsysteme als Luftschutzbunker adaptiert.
Die Moskauer Metro ist eine zweite Stadt, die tief unter Moskaus Straßen liegt, und Schauplatz eines der erfolgreichsten russischen Romane der letzten Jahre: "Metro 2033" von Dmitri Gluchowski. Der düstere Science-Fiction-Horror-Thriller, zunächst als Internetprojekt, dann als Bestseller in über 20 Ländern erfolgreich, liefert ein Setting, das wie gemacht ist für Spiele - kein Wunder, zählte doch die "Fallout"-Serie zu den Inspirationen des jungen russischen Autors.
Und auch ein anderer großer Name der Spielgeschichte drängt sich auf: "Metro 2033", das Spiel, erinnert nicht zufällig an den Endzeit-Shooter "S.T.A.L.K.E.R" von GSC Game World, haben doch die Chefs der ebenfalls ukrainischen "Metro 2033"-Entwickler 4A Games eine gemeinsame, nicht konfliktlose Geschichte mit der Konkurrenz. Ist "Metro 2033" also "S.T.A.L.K.E.R." underground? Nicht ganz.
Postsowjetische Melancholien
Die Gemeinsamkeiten sind da: Wie "S.T.A.L.K.E.R" zeigt auch "Metro 2033" die Welt nach der Apokalypse. Atomkriege haben die Erde verwüstet, Überlebende gibt es nur in den U-Bahn-Systemen der Großstädte, wo sie zusammengedrängt in den U-Bahn-Stationen eine neue Heimat gefunden haben.
Die Außenwelt ist lebensfeindlich, kalt, verstrahlt und von mutierten Monstern bevölkert, doch auch in dem gewaltigen Tunnelsystem ist es gefährlich: Aggressive Kreaturen, Anomalien, Geister und nicht zuletzt rivalisierende Milizen machen das Überleben unter der Erde zur Herausforderung. In der Gestalt des jungen Metrobewohners Artjom macht sich der Spieler auf eine riskante Reise durch die klaustrophobischen Tunnelsysteme, um Hilfe für seine von einer neuen Gefahr bedrohte Heimatstation zu suchen.
4A Games
So richtig lustig geht's in den wenigsten Spielen aus der Ex-Sowjetunion zu. Weitere, zum Teil sehr schräge spielerische FPS-Glanzlichter aus dem Osten: Pathologic (2005), Cryostasis (2008), The Void (2008).
Im Gegensatz zum schwarzen Humor der "Fallout"-Serie dominieren in "Metro 2033" Düsternis und Hoffnungslosigkeit - die leichte Muse blitzt in Spielen aus dem ehemaligen Ostblock scheinbar allgemein nur selten auf. Unter der Erde herrscht härteste Mangelwirtschaft. Die Tunnel verfallen, die Menschen sind gedrückt und trostlos, die rare Munition ist zum einzigen Zahlungsmittel im Tauschhandel geworden. Die an der Oberfläche überlebensotwendigen Gasmasken, für die man immer wieder Atemfilter suchen muss, zerbröseln, das Licht der Taschenlampe muss regelmäßig per Handdynamo wiederaufgeladen werden. Die Verbündeten, mit denen man oft in den Tunneln und an der verwüsteten Oberfläche unterwegs ist, gehen verloren oder sterben: Was Atmosphäre betrifft, gelingt es "Metro 2033" perfekt, eine beeindruckend bedrohliche Endzeitkulisse zu liefern, in der man oft auf den Schutz der Dunkelheit angewiesen ist, um zu überleben.
Die Schienen entlang
Der junge Autor der Romanvorlage, ein ausgesprochener Spielefreund, hat an der Entstehung des Spiels mitgearbeitet, und das merkt man dem Titel auch an: Die trostlose Welt ist detailreich und überzeugend umgesetzt und zumindest die Sprecher der englischen Version zaubern mit russischem Akzent eine beeindruckende Melancholie in die Tunnelwelt - die deutsche Synchronfassung sackt hier mit übertriebener Grimmigkeit etwas ab. Und auch dramaturgisch bietet "Metro 2033" einen spannenden Mix aus Action und Script-Sequenzen, die in Dramatik an das Erfolgsrezept der "Half-Life"-Serie herankommen.
4A Games
Der Preis für die straffe Inszenierung ist aber hoch: Im Gegensatz zu "S.T.A.L.K.E.R." ist "Metro 2033" so linear wie ein U-Bahntunnel, eine freie Erforschung der faszinierenden Welt ist leider unmöglich. Das ist umso deprimierender, weil "Metro 2033" fast verschwenderisch mit beeindruckenden Locations um sich wirft: Die der realen Moskauer Metro nachempfundenen "unterirdischen Palastbauten" sind oft nur schmerzhaft kurz zu sehen, die Orte an der Oberfläche nur zu selten Schauplatz der atemberaubenden Jagd durch die Stadt. Mit etwas Wehmut wünscht man sich, dass die Entwickler ihr Material breiter ausgelegt hätten, denn die haarsträubende Achterbahnfahrt durch die Moskauer Metro ist nach kurzen sieben, acht Stunden bereits am Finale angelangt. Immerhin belohnt ein alternatives Ende behutsame Tunnelforscher.
"Metro 2033" ist vor kurzem für PC Windows und Xbox360 erschienen.
Sonntag, 4. April, berichtet Christoph Weiss in FM4 Connected (13-17 Uhr).
"Metro 2033" ist atmosphärisch dicht, spannend, abwechslungsreich und überraschend eigenständig. Man könnte kritisieren, dass es zu viele gute Ideen für seine kurze Spielzeit bietet, zu achtlos mit seiner Pracht, seinen Spielelementen und seinem Setting umgeht und ohne Multiplayerteil nach ein- oder zweimaligem Bereisen schnell wieder in der Schublade verschwinden wird. Doch eigentlich ist das nur Raunzen auf hohem Niveau: Eine Achterbahnfahrt lebt eben auch nicht von ihrer Länge oder den Wahlmöglichkeiten entlang der Strecke.