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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 3. 2010 - 15:50

Ästhetische Zumutungen.

2010, Beobachtungen aus dem gekippten Österreich.

Im Vorjahr gab es hier eine Journal-Reihe über Ansätze, Geschehnisse und Vorfälle, die den Verdacht nahegelegt haben, dass die politische Kultur Österreichs anno 2009 gekippt ist; dass sich ein Weg in eine postdemokratische Struktur (ich hab das plakativ "Security-Demokratie" genannt) nicht mehr aufhalten lässt, dass es für einen turnaround zu spät ist.

Kurz ließen die Studentenproteste einen Zweifel aufkommen.

Jetzt ist das nächste Jahr, und der Anfang einer möglichen Reihe hat einen eindeutigen Untertitel: 2010, Beobachtungen aus dem gekippten Österreich.

Nein, die jetzt schon übers Ziel hinausgeschossene und aufgebauschte Diskussions-Parodie um den "Am Schauplatz"-Vorfall interessiert mich eigentlich recht wenig. Auch, weil es da längst nicht mehr um eine seriöse Debatte darüber, was Journalismus darf oder nicht darf geht, sondern instrumentalisiert wird, was das Zeug hält. Das wird sich wohl im heutigen Club 2 fortsetzen.

Interessanter finde ich das, was wohl davor beim Schauplatz zu sehen sein wird, nämlich das Rohmaterial der bewussten Szene am Hauptplatz in Niederösterreich. Und da auch nicht die Tonspur, und auch nicht die verpixelten Glatzen, sondern ganz andere Bilder.
Minutenlang strahlen da junge Menschen HE Strache an, als wäre er der Erlöser; oder zumindest ein Popstar mit einem Hit, der ihre Leben bereichert hat.

Es sind keine jungen Menschen, die man ihm oder der FPÖ oder dem freiheitlichen Lager, oder den Rechtspopulisten per se klischeemäßig zuordnen würde. Das eine Bürschchen mit dem Popper-Haarschnitt, der laut eigener Ansage stolz ist, einem "Vandalen" die Hand zu schütteln (Strache ist ein "Alter Herr" der schlagenden Schülerverbindung Vandalia) ist da die Ausnahme - denn klassisch politisch motiviert ist diese Verehrung nicht.

Ganz normal

Es sind ganz normale Leute, die sich aus den allerverschiedensten Gründen von herkömmlicher Politik-Rezeption verabschiedet haben und sich durch angewandten Populismus, der eine Handlungs-Kraft und Praxis vorgibt, wiewohl er sich in reiner machtpolitischer Verbalerotik begnügt, angesprochen fühlen. In Österreich kommt dieser Populismus (im Gegensatz zu Deutschland, was man jüngst anhand dieses schönen Beispiels durchgespielt bekam) halt ausschließlich von rechts.

Das ist nun auch nichts Neues, aber selten werden diese Szenen in ihrer ungekürzten Eindringlichkeit vorgeführt, und das ist natürlich "besser als die geschönten Beiträge, die sonst über den Bildschirm flimmern.", wie es ein Facebook-Freund in einer kleinen Diskussion zum Thema meint. Denn wenn man derlei selber beobachtet oder mitbekommt, dann traut man sich diese anschauliche Unreflektiertheit und Anführer-Anbetungsseligkeit ja nicht immer gleich hochzurechnen.

In der bereits erwähnten Facebook-Diskussion ging es dann aber noch weiter; glücklicherweise auch hier mehr zum dahinterliegenden Thema. Eine Freundin, Lehrerin in Linz, schrieb da dann etwa folgendes: "bei einigen meiner schülerinnen und schüler ist strache sehr beliebt. gerade bei eher intelligenten UND wohlhabenden. ich glaube, bei diesen eine gewisse wohlstandsverwahrlosung zu erkennen. sie empfinden (arme) ausländer als (geradezu ästhetische) zumutung, so scheint es mir. ausländerfeindliche meldungen fallen mit einer ziemlichen scham- und gnadenlosigkeit. dagegenhalten finden sie kitschig, moralinsauer oder als zeichen der schwäche."

Schicke Villenkids

Das ist ein zentraler Punkt.
Die Grauslichkeiten sind tief in den Mainstream eingedrungen. Österreich mag noch nicht Ungarn sein, wo ganz offen gegen Minderheiten gehetzt wird. Aber Österreich ist mittendrin im vom Populismus aufgebauten Konstrukt einer Gefahr, die von dunklen Mächten ausgeht, für die es dann auch lässige Sündeböcke (Asylanten, Brüssel, Juden, intellektuelle Nestbeschmutzer, you name it...) gibt.

Es sind nicht die lallenden Glatzen, die selbst bei Strache einen merkbaren Ekel auslösen, es sind nicht einmal mehr nur die Modernisierungs-Verlierer und die bildungsfernen Anwärter auf Jobs in der auf uns zukommenden Security-Demokratie postdemokratischer Prägung (siehe dazu auch: 2009, das Jahr, in dem Österreich kippt), es sind mittlerweile die "schicken Villenkids" (wie es ein anderer Facebook-Diskutant formuliert), die ihre Zustimmung zu diesem Weg über ästhetische Kriterien definieren.

Da es auch im Fall dieser Gruppe (ebenso wie bei den beiden anderen erwähnten) keinerlei funktionierende Gegenkonzepte gibt - auch, weil es, wie oben zitiert, tatsächlich als "Zeichen der Schwäche" gilt, sich für Minderheiten einzusetzen - lässt sich die moralische Verrohung (die durchaus immer da war, aber bis vor kurzem noch hinter oktroyiertem Anstand versteckt war und jetzt unbeschränkten Freigang bekommen hat) nicht aufhalten.