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FM4 Redakteurin Lisa Rümmele

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Lisa Rümmele

25. 3. 2010 - 16:41

Auch Deutsche unter den Opfern

Und ein Österreicher. Falcos zehnter Todestag ist eine von fast 60 Geschichten im neuen Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre.

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Um Benjamin von Stuckrad-Barre ist es lange still gewesen. Zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass sein Debütroman "Soloalbum" erschienen ist. Dieses Buch hat ihm damals zum Durchbruch verholfen und ihn auf den Thron der deutschen Popliteratur gesetzt. Nach mehreren Wohnsitzwechseln und einem Drogenentzug veröffentlicht Stuckrad-Barre nun sein neues Buch "Auch Deutsche unter den Opfern". Es sammelt fast 60 Geschichten rund um deutsche Eigenheiten aus Politik, Gesellschaft, Kultur, Sport und allem, was uns in dieser Welt so begegnet. Die Kolumnen sind in den letzten zwei Jahren in der Zeitung "Die Welt" und im "Rolling Stone" erschienen.

Kiepenheuer & Witsch

"Auch Deutsche unter den Opfern" ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Die Geschichten dieses Buches spielen fast alle in Deutschland. Während der letzten zwei Jahre ist Benjamin v. Stuckrad-Barre quer durchs Land gereist um seine Geschichten einzufangen und dabei hat er keine Berührungsängste. In einer Geschichte steht er vor einer Autopresse in Berlin und erkundigt sich nach der Abwrack-Prämie. Er geht mit Till Schweiger ins Kino oder stattet der Scientology Zentrale in Berlin einen Besuch ab. Ein paar Seiten später sitzt er dann in einem Zugabteil Angela Merkel gegenüber.

Man schaut ihr ins Gesicht, ein kurzer Augenkontakt. Hallo, Frau Merkel! Ihr Augen passen farblich gut zur lila Jacke, an deren linkem Ärmel einer von vier Knöpfen etwas lose sitzt. Draußen ein Maisfeld, der Zug fährt grad sehr langsam. Säße man nicht der Kanzlerin gegenüber, würde man jetzt wahrscheinlich auf die Bahn schimpfen.
"Wie war die Thüringer Wurst, Frau Bundeskanzlerin?"
"Ging so."
"Kalt?"
"Kalt war se nich. Aber, ich sag mal zu stark gewürzt."

Solche Erzählungen sind schon sehr lustig, an manchen Stellen weiß man dann auch nicht so genau: Hat der das jetzt erfunden, oder hat er das wirklich erlebt? Tatsächlich sind alle Geschichten echt. Stuckrad-Barre bedient sich an dem, was ihm die Gesellschaft und das Leben an sich so bietet. "Und das ist wirklich genug, da braucht man gar nichts zu erfinden." erzählt er im Gespräch. Etwas mühsamer wird es dann bei den Geschichten um deutsche Lokalpromis - da kann man aus mangelndem Interesse ruhig ein paar Seiten überfliegen. Die Wirtschaftskrise aber betrifft uns alle, Stuckrad-Barre denkt beim Zahnarzt darüber nach:

Die Wirtschaftskrise ist da, vielleicht aber bald schon wieder weg; ein paar meiner Freunde sind neuerdings arbeitslos, jedoch nicht ohne Beschäftigung, das Amt setzt ihnen ordentlich zu, auch ohne Migrationshintergrund versteht man die Formulare nicht, sie müssen allerhand beweisen - und wenn sie in eine andere Stadt fahren, sich irgendwo "vorstellen", müssen sie dafür beim Amt Urlaub beantragen, wegen der Versicherung. Was sie beantragen sollen, wenn sie wirklich mal in den Urlaub wollen, aber keine Urlaubstage mehr übrig haben, weil sie sich so oft irgendwo vorgestellt haben, konnte man ihnen nicht sagen.

Ali Kepenek

Benjamin v. Stuckrad Barre wurde 1975 in Bremen geboren und lebt in Berlin. Bekannt wurde er vor zehn Jahren mit seinem Debütroman "Soloalbum"

Auch Deutschlands 17. "Bundesland" Österreich hat es in das Buch geschafft. Zum zehnten Todestag von Falco ist Benjamin von Stuckrad-Barre nach Wien gekommen und wundert sich:

Zwei Dinge beachtet der Wiener Erinnerungsfanatiker grundsätzlich: Er spricht erstens von "Hansi", denn Falco hieß bürgerlich Hans Hölzel, und der Erinnerungsfanatiker möchte so - ganz beiläufig - darauf hinweisen, dass er kein Falco-Fan war, sondern, ein Freund, ein Hansi-Freund, ein enger, ein guter, ein besserer zumindest als die meisten anderen infrage kommenden Zeitzeugen, die der Wiener Erinnerungsfanatiker zweitens mit immenser Boshaftigkeit und intrigantem Geflüster zu desauvieren liebt: Mit dem haben S' g'sprochen? Des wissen S' aber scho', dass der .. - dann folgt irgendetwas Ungeheuerliches, zumindest Semi-Justitiables, und man wundert sich, dass der zuvor genannte Informant nicht längst im Gefängnis sitzt.

Benjamin von Stuckrad-Barre erzählt von der Wirklichkeit und ihren grotesken Eigenheiten. Das gelingt ihm recht gut. Ein passendes Buch für die Badewanne oder zum zwischendurch Hineinschmökern.