Erstellt am: 19. 4. 2010 - 23:36 Uhr
Projektion und Widerlichkeit
Sie kommen für ein paar Wochen her, wohnen in Hotels oder Wohnmobilen und lassen, wenn's blöd kommt, die Straße, in der man normalerweise immer im Reformladen einkehrt, großflächig abriegeln: International zusammengesetzte Filmcrews.
Rainer Petzold
Wenn sich unter ihnen Stars von einem gewissen Kaliber befinden, so wie der Herr hier zur Rechten anlässlich der Dreharbeiten zu seinem neuen Film "Knight & Day" im vergangenen November in Salzburg, dann tummeln sich zahlreiche Devotées und Schaulustige an den Absperrungen, um die elementare Ausdruckskraft, mit der diese Menschen unser Lebensgefühl verstärken, zu feiern, oder um sich zumindest als Teil eines globalen, völkerverbindenden Verehrerkults fühlen zu können.
Manchmal sind sie am betreffenden Schauplatz auch im Film nur auf der Durchreise, so wie Cruise' Mr.-Miller-Charakter hier, vor nur einer weiteren Postkartenkulisse in einer so globetrotterisch wie möglichen Minimundus-Action-Hatz. Manchmal bleiben sie aber auch länger, weil die künstlerische Vision der Regisseurin, der Produzenten und/oder der Financiers sie bewusst hierher verpflanzt hat, um sie mit einem Phänomen in Beziehung zu setzen, das die Weltöffentlichkeit, oder zumindest sie, gemeinhin mit dieser Location assoziieren. Mit Österreich.
Leo Surth
Das ändert aber natürlich nichts an der Tatsache, dass das ausländische Leinwandpersonal, so tief es an diesem Ort verwurzelt zu sein auch vorgeben muss, am Ende des Drehs in der Regel noch nicht fließend Deutsch spricht, und sich bis zum Schluss über Sekundärquellen an den Geist einer Stadt, eines Dorfes oder einer Landschaft heranfühlen müssen wird. Es ist also ein bisserl eine Travestie. Und wir, die wir hier wohnen und irgendeiner dieser Repräsentationen dann einmal Monate später auf einem Schirm angesichtig werden, können im besten Fall nur darüber schmunzeln, oder im schlimmsten Fall den Kopf schütteln über das, was wir als Klischees oder Stereotypen herauslesen, oder die groben geographischen oder kulturanthropologischen Vereinfachungen und Ungenauigkeiten.
Jim Carnahan
Aber das macht alles gar nichts, weil diese Filme ja auch nicht in erster Linie für uns gemacht sind, sondern für ein angloamerikanisches Publikum, das sich hier nicht wirklich auskennt und dessen Mitglieder sich dann, wenn sie es doch mal hierher schaffen, vermutlich genauso unterfordert fühlen, wie der erstmalige europäische New-York-Besucher, der die einfache, von sich aus unaufdringlich existierende Komposition aus Menschen und Stein nicht auf Anhieb mit der aus der Vorstellungswelt abgerufenen intensiven literarischen und filmischen Referenzflut gleichsetzen kann. Eine Handvoll dieser Werke haben sogar auf mehr oder weniger charmante Art die Selbstwahrnehmung mancher ihrer Betrachter beeinflusst. Oder zumindest der Tourismusindustrie einen Anhaltspunkt gegeben, anhand dessen sich bestimmte hiesige Facetten vermarkten lassen. Wiederum auf mehr oder weniger charmante, plumpe oder skurrile Weise.
FM4 / Albert Farkas
FM4 / Albert Farkas
MGM/UA
Gemeindepartnerschaft 1 / 2: In der 1987er-Ausgabe der Bond-Franchise "The Living Daylights" ist das "Süße Eck" aber gar kein Zuckergeschäft, oder vielleicht ist's doch eins, jedenfalls würde es nicht so heißen, sondern vermutlich irgendwas mit "sladký" und "nároží", behauptet zumindest die erstbeste Deutsch-Tschechisch-Online-Übersetzungsmaschine, die ich jetzt gefunden habe, und hat jedenfalls ein paar plakative kommunistische Insignien auf die Fassade gepappt bekommen, weil Wien hier ja eben nämlich auch nicht Wien ist, sondern Bratislava. Was zur Folge hat, dass die Fahrpläne in den Straßenbahnen überklebt worden sind. Und die Volksoper das tschechoslowakische Nationalkonservatorium ist. Auch am Weißensee treibt sich Dalton später im Film übrigens noch rum.
Warner Bros
Gemeindepartnerschaft 2 / 2: Bei "Amadeus" muss im (nicht exakt reziproken, aber egal) Gegenzug eine Prager Kulisse als Wien herhalten. Für die Darstellung der Uraufführung von "Don Giovanni" stand Regisseur Milos Forman dafür mit der Prager Oper der tatsächliche Originalschauplatz zur Verfügung. Ahahahahahahahahaha!!!!
Gaumont British Pictures
Da geht's dem Wolferl immerhin noch besser als dem Strauß Schani, der in Hitchcocks "Waltzes From Vienna" von 1934 kein einziges Mal an die frische Luft kommt: Neben den hauptsächlichen Innenaufnahmen wurde auch diese singuläre Straßenszene in den Shepherd's Bush Studios in London abgedreht. In der Gesamtbeurteilung seines Werkes maß Hitchcock diesem vorrangig aus Geldnöten heraus inszenierten Film den Stellenwert des "definitiven kreativen Tiefpunkts meiner Karriere" bei.
MGM
Zurück zu Bond: Die Klassikfixiertheit diverser Filmschaffender in Bezug auf Österreich ist wirklich zum Marmorscheißen auffällig. Die Seefestbühne Bregenz ist 007s (inzwischen Daniel Craig) einziger Grund, 21 Jahre später im Zuge von "Quantum Of Solace" nach Österreich zurückzukehren, und den Flughafen Altenrhein in der Schweiz kurzerhand in die Bodenseemetropole zu verlegen.
AVCO Embassy Pictures
"Ah, it's so small!", mag eine der spontanen ersten Eingebungen sein, wenn manche Einwohner großer Weltmachtstaaten zum ersten Mal Österreich auf einer Landkarten ausfindig machen. Kaum ist man mal da, so scheint es, ist man, wenn man nicht aufpasst und den Fuß nicht vom Gaspedal nimmt oder das Gehör von der Bahnhofsansage abschweifen lässt, im benachbarten Ausland. Und zu Zeiten des Kalten Krieges sogar im inoffiziell verfeindeten benachbarten Ausland.
Das ist eine für ausländische Filmautoren so anregend grenzgängerische Konstellation, dass fast ausnahmslos jeder in Österreich spielende Streifen der 60er, 70er und 80er in alle Richtungen mit Militärwach- oder zumindest Zollposten, durch die gerade jemand hinein- oder hinauspassieren darf, oder manchmal eben auch nicht, nur so gesäumt ist. Fast könnte man da ein bisschen kl/austrophobisch werden. Am ständigen Kommen und Gehen beteiligt sich auch Walter Matthau im Agenten-Klamauk "Hopscotch" (1980), der die ganze Spieldauer über Arien von Rossini nachsummt, damit es auch irgendeinen schmalen Alibi-Grund gibt, warum er seinen Schabernack in Salzburg und an der bayerisch-österreichischen Grenze treiben mag, und nicht etwa in Pribylina in der Hohen Tatra.
MGM
Ist für FernstudentInnen am Forschungsobjekt Mitteleuropa ein buntes Sackerl Lakritze möglicherweise die naheliegendste Metapher für das Land? Scheinbar unbeschwert und extravagant-verspielt für die Dauer der Kaiserzeit, danach ausgesprochen scheußlich im Geschmack, der einen schließlich verstört-beklommen zurücklässt? Der hierzulande oftmals seelig weggeschwiegene Mittelteil wurde seit dem Anbruch der Nachkriegszeit jedenfalls zumindest in verschiedenen internationalen Produktionen abgehandelt, wenn auch manchmal aus triumphalistisch-sensationalistischer Sicht, so wie in "Where Eagles Dare" von 1968, einem Film, bei dem die Tatsache, dass seine Handlung im dazugehörigen, zeitgenössischen Making-Of - Feature als "ganz und gar unglaublich und unfassbar" gepriesen wird, vielleicht damit zu erklären wäre, dass sie frei erfunden ist. Nicht im Traum daran denkend, die Zinnen des im Film von den Nazis besetzten Schlosses Hohenwerfen in Salzburg zu erklimmen, soll der schon etwas rotunde Richard Burton laut Co-Star Clint Eastwood selbst fürs Schneestapfen auf Stunt-Doubles bestanden haben.
20th Century Fox
Die Arbeit des verdienstvollen Wiener Nazijägers Ezra Liebermann (Sir Laurence Olivier) wird in "The Boys From Brazil" (1978) von den örtlichen Behörden dermaßen vernachlässigt, dass es in seine Büro-Räumlichkeiten bereits hinein- und auf seine unzähligen Karteikarten hinauftropft. Jaja, genau, und österreichische PolitikerInnen schlagen aus (mal mehr, mal weniger) unterschwelligem Antisemitismus Kleingeld, und Jugendliche aus Ebensee dreschen bei KZ-Besuchen Nazi-Parolen, oder was will Hollywood uns als nächstes aufbinden?
AVCO Embassy Pictures
Wir hatten Opernliebhaber, wir hatten Nazis, psychotische Beziehungen hatten wir zwar noch nicht, dafür kommt davon später noch mehr, in Liliana Cavanis "Il Portiere di Notte" von 1974 aber jedenfalls haben wir das alles zusammen, hurra! Trotzdem könnte die Handlung thematisch genauso gut irgendwo anders, oder zumindest irgendwo anders im deutschsprachigen Raum, angesiedelt sein. Die ehemals in Buchenwald internierte Ehefrau eines Soprans (Charlotte Rampling in ihrer Durchbruchsrolle) verliebt sich zehn Jahre nach ihrer Befreiung in Wien in ihren ehemaligen Peiniger und nunmehrigen, äh, Nachtportier, gespielt von Dirk Bogarde.
Universal Pictures
Und hier schneit gerade Sherlock Holmes höchstpersönlich herein. Im Kostümkuriosum "The Seven-Percent Solution" (1976), dessen Drehbuch von Nicholas Meyer, dem Autor der beliebten frühen Star-Trek-Filme, geschrieben wurde, und das, obwohl fast ausschließlich alle Cast-Mitglieder oscargekrönt sind (oder es zumindest einmal in Zukunft sein werden) die Anmutung eines rumpeligen Fernsehstücks hat, lockt Watson (Robert Duvall) den Meisterdetektiv (Nicol Williamson) nach Wien, damit dieser sich dort von einem jungen Siegmund Freud seine Kokainsucht austherapieren lässt. Der Südtrakt der Hofburg spielt den Westbahnhof, und die Berggasse ist offenbar irgendwo im Ersten, aber das vergisst und vergibt man angesichts der surrealen Handlungswendungen gerne augenblicklich.
Rank
Die Psychoanalyse treibt auch den Mann nach Wien, dem Paul Simon es zu verdanken hat, dass er in den 1960ern keinen Regenschutz gebraucht hat. Theresa Russell schmeißt sich dem von Art Garfunkel verkörperten Uni-Professor an den Hals, doch der treibt sie mit seiner Herzenskälte und Kommunikationsunfähigkeit an den Rand des Wahnsinns. In einer Schlüsselszene kommen beide vor dem Kuss von Klimt zu stehen. "They look pretty happy, don't they?", sagt sie. Doch der lockenköpfige Clown killt jeden aufkeimenden romantischen Zauber unverzüglich: "That's because they don't know each other well enough yet." Schlechtes Timing.
Castle Rock Entertainment
Aber wenigstens Julie Delpy und Ethan Hawke finden in diesem ultimativen Fremdenverkehrswohlfühlfilm wenigstens für ein paar Stunden ihr Glück. JedeR von uns kennt ihn, wenn ihn auch nicht alle von uns wirklich (bis zum Ende) angeschaut haben mögen, viele kennen sogar (zumindest über Ecken) jemanden, die oder der selbst mitgespielt hat. "Before Sunrise" lässt seine beiden Hauptdarsteller durch ein wahres Wiener Wunderland taumeln, wo die Gässchen noch bis 5 Uhr in der Früh belebt sind, Barkeeper frisch verliebte Pärchen spontan auf eine Flasche Wein einladen, und unter jeder Brücke ein verschmitzter Poet haust.
Ich für meinen Teil bin persönlich enttäuscht, dass sich von all den erstbesten Passanten, die ich auf all meinen Städtereisen nach Vorbild dieses Films jemals einfach so angesprochen habe, noch nie jemand als Tex Rubinowitz, oder jemand von zumindest einem Zehntel soviel Genialität entpuppt hat.
Die im Abspann im Zuge einer ausschweifenden Danksagung erwähnte, überschwänglich großzügige Unterstützung sämtlicher städtischer Amtsstellen lässt sich bei so einem Resultat ebenso leicht nachvollziehen wie eine zu erahnende Verweigerung der selben Stellen gegenüber eines Projekts, in dem einer der Protagonisten ihre Heimatstadt als "elendes Scheißloch" bezeichnet, und "diese Hölle" nur mit Hilfe von Prostituierten und einem Haufen Drogen überstehen kann. Was die Förderung dieses Schmuckstücks hier durch den flämischen Tourismusverband nur umso verblüffender macht.
Castle Rock Entertainment
London Fim/Selznick International Pictures
FM4/ Albert Farkas
FM4 / Albert Farkas
FM4 / Albert Farkas
FM4/ Albert Farkas
Wie bemitleidenswert doch im Gegensatz dazu die TourenführerInnen in Salzburg mit ihrem cineastischen Aushängeschild sind.
20th Century Fox
Wenn sie zig Ami-TourstInnen Tag für Tag mit stumpfsinnigen Anekdoten über diese dümmlich-absurde Schmonzette begütern müssen.
Naja, aber immerhin müssen sie sich dabei nicht die Nase zu halten.
20th Century Fox/MGM/UA/Castle Rock/Rank
Eine gute Seite für alle "Wo ist hier?"-FragerInnen.
Und, welche Lieblingsorte hast du schon in Filmen wiederentdeckt, der Geist welcher Stätten ist auf Zelluloid genauso authentisch wie in echt, und welche geographischen copy-paste-Fehler haben dir schon Tränen in die Augen getrieben?