Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Vögel pfeifen auf Grenzen"

Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

24. 3. 2010 - 12:35

Vögel pfeifen auf Grenzen

Bis 1989 Todesstreifen - heute Lebensraum für bedrohte Pflanzen und Tiere. Das Naturschutzgebiet "Green Belt Europe" folgt dem Verlauf des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Eine Exkursion zur oberösterreichisch-tschechischen Grenze.

In Leopoldschlag ist im Frühjahr noch Winter. Die Maltsch, die sich hier durch Wiesen und Wälder schlängelt, ist an ihren Ufern stellenweise gefroren. Auf den angrenzenden Weiden lag bis letzte Woche eine geschlossene Schneedecke. Jetzt sind es nur mehr wenige Fetzen davon und Mulden voll Schmelzwasser. Unter meinen Schritten höre ich den Matsch schmatzen, über meinem Kopf die Vögel zwitschern.

So war es an diesem Ort schon immer. Die Jahreszeiten bestimmen den Lauf seiner Natur, von den Zeitenwechseln in der Menschheitsgeschichte scheint er unberührt. Doch was ihm seinen paradiesischen Urzustand bewahrt hat, kostete vielen Menschen ihre Freiheit.

Bis 1989 verlief der Eiserne Vorhang am Rand des Mühlviertels. Auf 26 Kilometern war die Maltsch Staatsgrenze zur ČSSR.

Baum in Fluss

FM4 - Barbara Köppel

Heute liegt Tschechien am anderen Ufer.

Der Stacheldrahtzaun und die beiden Wachtürme lagen 50 bis 500 Meter hinterm Fluss und waren zwischen den Bäumen kaum zu sehen. Selbstschussanlagen, Landminen oder Mauern wie an anderen Abschnitten des Eisernen Vorhangs gab es hier nicht. Möglicherweise schien dem Kreml das unwegsame Gelände als Barriere ausreichend. Den Grenzgängern offensichtlich auch, denn wenn Flüchtlinge aus dem Ostblock aufgegriffen wurden, dann in der Nähe der Bundesstraße.
Einmal wurde ein oberösterreichischer Bauer verhaftet, der am Flussufer seine Flächen mähte. Die tschechoslowakischen Grenzsoldaten wähnten ihn auf ihrem Staatsgebiet, dabei hatte die Maltsch nur ihren Lauf geändert. Dadurch war die Grenzlinie im wahrsten Sinne des Wortes verschwommen. Wenn es wie hier regelmäßig Hochwasser gibt, suchen sich nicht-regulierte Flüsse oft und schnell neue Flussbetten. Zwei Tage später wurde der Bauer nach Hause geschickt.

Grünes Band

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden die Maltsch-Auen Teil des Green Belt Europe, des Grünen Bands Europas, einem Grenzen übergreifenden Naturschutzprojekt, das die wertvollsten Lebensräume des Kontinents verbindet und zur letzten Zuflucht unzähliger bedrohter Pflanzen und Tiere geworden ist.

Der Green Belt reicht vom Eismeer an der Küste Norwegens bis zur Adria und dem Schwarzen Meer. Er verläuft durch 24 europäische Staaten und ist mit einer Länge von über 12.000 km das größte Biotopverbundsystem der Welt. Koordiniert werden die Aktivitäten der einzelnen Naturschutzorganisationen von der World Conservation Union. Schirmherr über das Grüne Band Europa ist Michail Gorbatschow.

In Österreich betreut der Naturschutzbund das Grüne Band. Vom Dreiländereck Böhmen-Bayern-Oberösterreich schlängelt es sich fast 1.300 km über Niederösterreich in die Steiermark, wo es in den Balkan abzweigt, bis nach Kärnten, wo es Österreich in Richtung Adria verlässt. Der oberösterreichische Abschnitt ist 122 km lang.

Verlauf Grünes Band Europa

http://www.naturschutzbund-ooe.at/gruenes.html

Ziel des Projektes ist, bedrohte Arten zu schützen und die bestehenden europäischen Naturschutzgebiete so zu vernetzen, dass sich verschiedene Populationen vermischen und Tiere von einem Habitat ins andere wandern können.

Im Gebiet um Leopoldschlag, wo Wolfgang Sollberger das Grüne Band betreut, geht das Konzept gut auf. Aus den tschechischen Gebieten kommen immer wieder Luchse zu Gast, im Wasser schwimmen Bachforellen aus dem Elbe-Stamm und einmal ist Sollberger sogar drei Elchen gegenüber gestanden. Flussperlmuschel und Fischotter sind hier heimisch.

Fährte eines Rehs in matschiger Erde

FM4 - Barbara Köppel

Das kann nur ein Paarhufer sein! So sieht der Abdruck eines Rehs aus.

Würde ich mich länger auf die Lauer legen, könnte ich bestimmt Tiere entdecken, die ich sonst nur in Naturdokus oder im Zoo sehen könnte, meint Sollberger. Immerhin zieht ein Bussard hoch über uns seine Kreise. Durch den Feldstecher beobachte ich Stockenten. Mit lautem Quaken melden sie, dass wir uns dem Fluss nähern.

Die andern Wald- und Wiesenbewohner haben überall ihre Spuren hinterlassen. Zum Glück ist Wolfgang Sollberger ein erfahrener Fährtenleser. Er zeigt mir die Trampelpfade, wo Hirsche, Rehe und Wildschweine den Fluss queren, die Spuren eines Fischotters im Schnee, wo ein Fuchs ein Mäusenest ausgebuddelt hat und die Gänge, die die kleinen Nager unter der Erde gegraben haben.

Mitmachen

Wolfgang Sollberger, Betreuer Green Belt Gebiet Maltsch

FM4 - Barbara Köppel

Wolfgang Sollberger leitet das Infozentrum Grünes Band in Leopoldschlag.

Für die Wiesenbrüter ist es noch zu früh im Jahr. Wachtelkönig, Neuntöter und Bekassine werden erst im Mai ihre Nester in die Wiesen legen. Wolfgang Sollberger muss zu dieser Zeit besonders aufmerksam sein. Er ist das Bindeglied zwischen den regionalen Grundbesitzern und der Naturschutzabteilung des Landes Oberösterreich. Hört er z.B. einen Wachtelkönig in einem Feld rufen, bittet er den betreffenden Bauern, eine Wachtelkönig-Vertragsfläche daraus zu machen. Gegen eine finanzielle Vergütung lässt der Bauer das Feld dann in Ruhe, bis die Jungvögel ausgeflogen sind. Danach kann er das Feld mähen.

Die Arbeit mit dem Traktor ist dabei oft unvermeidlich. Grundsätzlich wird aber darauf Wert gelegt, die Mahd möglichst schonend zu gestalten. Im Rahmen des Green Belt Camps erledigen das jedes Jahr Freiwillige mit der Sense oder der bloßen Hand. TeilnehmerInnen werden noch gesucht.

Feuchtwiese an der Maltsch

FM4 - Barbara Köppel

Die Feuchtwiesen brauchen Dich. Gemäht wird von 14.-21. August 2010.

Trotz aller globalen Bemühungen und lokalen Projekte schreitet das Artensterben auch in den Green Belt Gebieten voran. Dort, wo das Grüne Band noch nicht zuwachsen konnte, wird es von Autobahnen, Gewerbegebieten oder Kraftwerken zerschnitten. Industrielle Landwirtschaft vertreibt Wildtiere von freien Flächen.

Vor einigen Jahren hat Wolfgang Sollberger noch acht Birkhühner fotografiert. Heute ist es unwahrscheinlich, dass er ein einziges vor die Linse bekommt.