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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

22. 3. 2010 - 20:12

Archaische Alleinunterhaltung

Philipp Quehenberger ist Hüter der Experimental-Elektronik und sinistre Showband in Personalunion. Das neue Album: "Hazard".

Es ist mindestens zehn Jahre her, dass ich instrumentalen Avantgarde-Pop in dieser Intensität gehört habe. Philipp Quehenbergers neues Album "Hazard" ist ein kleiner Zeitsprung in die musikalische Vergangenheit der österreichischen Hauptstadt. Mit Beats unterlegte Experimental-Elektronik, verziert und umrankt von analogen Synthie-Verzerrungen, düster wabernden Bässen und disharmonischen Melodieläufen, das waren einige der originären Zutaten der eklektischen Wiener Elektronik-Szene Ende der 1990er Jahre.

Der Musiker Philipp Quehenberger mit ausgestreckten Fingern rechts von seinem Gesicht.

Philipp Quehenberger

Den weichgespülten Lounge-Sound hatte man satt, stattdessen suchte man nach Möglichkeiten, Synthesizer und Drummachines unorthodox zu verkabeln und ihnen die abstrusesten Sounds zu entlocken. Bands wie Epy oder Thilges 3 pilgerten von Clubs in Kunsthallen und Performance-Räume, man kokettierte mit Jazz und Klassik. Mittlerweile längst ausgestorbene österreichische Labels wie Craft oder Sabotage gaben den Ton an und betteten die Musik gerne auch in einen theoretischen Kontext ein.

Idealer Start

Philipp Quehenberger passt perfekt in dieses Umfeld: 1977 geboren, ist er zur Blütezeit der experimentellen Popmusikszene in Wien im idealen Alter, um mitzumischen. Sowohl pophistorisch als auch klassisch sozialisiert, bringt er die kindlichen Erlebnisse aus Papas Tonstudio ebenso mit wie die durchwachsenen Erfahrungen aus dem Konservatorium: Philipps Klavierkünste waren immer schon außerordentlich, aber er kann keine Noten lesen. Außerdem bleibt es nicht bei Bach und Beethoven - elektronischer Punk im Stile von Suicide ist auffallend interessanter.

Der Musiker Philipp Quehenberger live auf der Bühne mit einem Muscle-Shirt bekleidet. Schwarz/weiß Fotografie.

Squsi

Showbusiness

Erste Veröffentlichungen erfolgen auf Mego und Cheap Records. Dabei vergisst Herr Quehenberger aber nie seine musikalischen Wurzeln: Die Klaviatur und das wilde Klimpern auf Synthesizern und Keyboards wird zu seinem Markenzeichen. Neben den notwendigen analogen Gerätschaften sind es vor allem ein Stage-Piano und Philipp selbst, die für intensive Live-Momente sorgen. Harsche Sound-Wände und ausgiebig loopende Drones ergeben ein erfrischend verzerrtes, dekonstruiertes Bild vom Alleinunterhalter, der kurze Zeit sogar zur tatsächlichen Showband wird: In den Anfangstagen von Stermann & Grissemanns "Willkommen Österreich", 2007, steht Quehenberger statt Russkaja auf der Bühne.

Der Musiker Philipp Quehenberger live hinter einem Holzrahmen.

Suzy Qu

Die meisten Elektronik-Musikerinnen und Musiker haben Probleme damit, ihre programmierten Tracks live auf die Bühne zu bringen - bei Philipp Quehenberger verhält es sich genau umgekehrt. Seine Stücke funktionieren nicht als dramatugisch penibel abgestimmte Pop-Tracks. Stattdessen wird das Bestmögliche getan, die Live-Kompenente in Albumform zu destillieren.

Die acht Stücke auf "Hazard" verbindet ein permanentes Spannungsfeld zwischen harschen Experimental-Sounds und räudig produzierter Elektronikmusik. Das jeweilige Wesen eines Tracks muss man immer erst für sich selbst entdecken. Das sei gewollt, so der Künstler im FM4-Interview, man solle sich zunächst nicht ganz sicher sein, worauf das alles hinaus läuft. Ist ein Stück nun schnell oder langsam? Kommt da eine Struktur oder bleibt es abstrakt?

Alte Musik?

Philipp Quehenbergers Album "Hazard" ist bereits auf Laton Records erschienen.

In der Nacht von Sonntag auf Montag (28. auf 29. März) gibt es im FM4 Soundpark das gesamte Interview sowie Stücke aus dem Album zu hören.

Der naheliegende Vorwurf an "Hazard" ist das Hängenbleiben von Quehenberger in seinen frühen Tagen. Die musikalische Landschaft von vor zehn Jahren und wohl auch ein Großteil des Publikuminteresses existiert kaum noch. Und wie überall anders auch gilt das konsequente Weiterführen einer Idee, eines Sounds, ohne Bruch und die Integration zeitgenössischer Elemente als einfallslos und verpönt. Wer so weiter macht wie bisher, hat den Anschluss versäumt, keine neuen Ideen, keine Vision.

Einerseits ist es ja gut, dass Techno und seine unzähligen Nachfahren härter rangenommen werden als Rockmusik, wenn es um Innovation geht. Schließlich ist ein Mando-Diao-Konzert alles andere als lebendige Jugendkultur, geschweige denn im Dunstkreis auch nur der kleinsten subversiven Idee. Und doch stellt sich die Frage, was falsch daran ist, wenn heute 17-Jährige Quehenberger-Tracks für sich entdecken und diese unglaublich super finden. Gut Gereiftes muss ja nicht zwangsweise auch tatsächlich alt sein.