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Roland Gratzer

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22. 3. 2010 - 19:11

Debreziner für die Mitmenschen

In Wien haben fünf Obdachlose einen Würstelstand eröffnet. Neben Debreziner, Käsekrainer und Zwiebel-Senfragout gibt es dort auch eine zweite Chance.

Würstel-Menü

FM4 / Roland Gratzer

Derzeit beläuft sich das Angebot auf die Klassiker des Wiener Würstel-Sortiments. In Bälde soll es aber auch eine vegetarische Variante geben.

Der Chefkoch ist unruhig. Seit einer Stunde wartet er auf eine Getränke-Lieferung, die einfach nicht kommen will. Immerhin der Wurstvorrat ist reichlich vorhanden, Fast minütlich muss er, den seine Kollegen halb ehrfurchtsvoll und halb im Scherz "Generaldirektor Sedlacek" nennen, eine neue Batterie auf den heißen Grill auflegen. Das Geschäft am neu eröffneten Würstelstand am Johann-Nepomuk-Berger-Platz in Wien (gleich vor der Ottakringer-Brauerei) läuft gut. Viele Hungrige verbringen ihre Mittagspause bei einer saftigen Käsekrainer mit scharfem Senf. Auf die Getränke müssen sie zwar warten, der freundschaftlichen Atmosphäre beim "Vinzi-Würstel" kann das aber nichts anhaben.

Endlich kommen Sedlaceks Kollegen Erich Rainer und Stefan Rebel mit einer ordentlichen Menge Durstlöscher. Ganz geschmiert laufen die Abgänge noch nicht. Kein Wunder, schließlich sind die drei Neo-Gastronomen erst seit zwei Tagen offiziell im Geschäft. Nach ein paar Schmähs, die vor allem der gebürtige Deutsche Rebel zu spüren bekommt, ist aber wieder alles in Ordnung.

Vinzi-Würstel-Brater

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"Generaldirektor Sedlacek legt permanent eine neue Batterie Wurst auf den Grill

Der steinige Beginn

Mann mit Handy

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Stefan Rebel ist permanent am Organisieren von neuen Kooperationsmöglichkeiten.

Begonnen hat alles vor ein paar Monaten in der Notschlafstelle Vinzibett, einer Teilorganisation der in Graz und Wien tätigen Obdachlosen-Hilforganisation Vinzi-Gemeinschaft. Sedlacek, Rainer und Rebel sind aus unterschiedlichen Gründen dort gelandet, aber alle haben ein gemeinsames Ziel: Wieder was machen aus ihrem Leben. "Man kann hinfallen, aber man muss auch wieder aufstehen können", erklärt der frühere IT-Manager und studierte Betriebswirt Rebel. Nachdem ihnen der verwahrloste Stand am Verkehrsknotenpunkt in Ottakring aufgefallen ist, mussten sie einige Schwierigkeiten bewältigen, um ihren Schnellkoch-Nahversorger zu eröffnen. "Kredite bekommen wir deshalb keine, weil wir kein Konto haben. Und ein Konto kriegen wir nur dann, wenn wir einen Meldezettel haben", beschreibt Rainer die Negativspirale, die den Startup-Unternehmern im Weg gestanden ist.

Vinzi-Würstel-KundInnen

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Erich Rainer kümmert sich in der Zwischenzeit um die Gäste.

Aber aufgegeben haben sie nicht. Nach zahlreichen Markt- und Zielgruppenanalysen, Verträgen mit Firmen aus der Umgebung (alle Produkte kommen aus dem 16. und 17. Bezirk) hat sich auch die Vinzi-Gemeinschaft überzeugen lassen. "Am Anfang haben sie es nicht leicht gehabt. Wir waren sehr geizig, weil wir unser Geld zusammenhalten müssen. Aber sie haben sich alles erkämpft", lobt Vinzibett-Chefin Hedi Klima ihre engagierten Schützlinge.

Mit einem Darlehen auf Vertrauensbasis in der Höhe von 12.000 Euro aus dem Vinzi-Budget konnte das mittlerweile fünfköpfige Team die nötigen Geräte anschaffen. Das Geld soll aus dem erwarteten Gewinn zurückbezahlt werden. Aber nicht nur das. Mit den Einnahmen sollen auch jene Vinzi-Bewohner unterstützt werden, die nicht mehr arbeiten können.

Das Geschäft läuft

Seit Samstag hat der Würstelstand jetzt offen. Sedlacek und seine Küchenkollegen legen eine Wurst nach der anderen auf den Grill, Rainer und Rebel kümmern sich um die Gäste, erledigen Einkäufe und versuchen, neue Firmenkooperationen an Land zu ziehen. Neben der neuen Lebensaufgabe, die Möglichkeit einer zweiten Chance und sichtlicher Freude am Planen und Koordinieren lernen die Würstelstandbetreiber aber auch einiges voneinander, wie Rebel berichtet: "Seit vorgestern kann ich jetzt eine Debreziner von einer Waldviertler unterscheiden und umgekehrt."

Der Vinzi-Würstelstand

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Der Vinzi-Würstelstand am Johann-Nepomuk-Berger-Platz in Wien-Ottakring hat täglich von 11 Uhr vormittags bis 2 Uhr nachts geöffnet.