Erstellt am: 22. 3. 2010 - 17:44 Uhr
Die Zwischenwelten der Großstädter
Lukas Meschik liest aus seinem neuen Erzählband Anleitung zum Fest und Erwin Uhrmann liest aus Der lange Nachkrieg diesen Dienstag, 23. März 2010, um 19 Uhr, in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur im ersten Bezirk in Wien.
Die Abbildung der Realität wirkt oft ebenso einschläfernd, wie die reine Fiktion. Dem einen ist sie zu konkret, um sich damit identifizieren zu wollen, dem anderen zu abwegig, um überhaupt eine emotionale Verbindung herstellen zu können. Die spannenden Geschichten liegen meist dazwischen. In Welten, in denen Grenzen verschwimmen, festgefahrene Vorstellungen sich aufzulösen beginnen und Helden erst zu solchen werden, indem sie alles hinterfragen, was für sie bis dahin noch als unumstößliches Lebensprinzip gegolten hat.
Als ein Meister solcher Zwischenwelten entpuppt sich der junge Wiener Autor Lukas Meschik, der nach seinem rasanten Debüt "Jetzt die Sirenen" einen Erzählband vorlegt, der mit scharfer Beobachtungsgabe und versierter Sprache das unheimliche Gefühlsgewirr einer urbanen Gegenwartsgeneration offen legt.
"Je kleiner das Leben, desto größer die Angst"
Luftschaft Verlag
In "Ein ortloser Ort" begleiten wir Menschiks Protagonisten auf einem nächtlichen Streifzug durch Wien, bei dem die üblichen Kreaturen gestreift, ihre jeweilige Geschichte imaginiert und seine eigene auf Parallelen abgeklopft wird. Denn diese gilt es schließlich zu vermeiden, hat man doch große Angst vor dem kleinen Leben der anderen, das man um keinen Preis führen möchte.
Vielleicht ist der Nachtspaziergänger deshalb mit einer magisch anmutenden Beobachtungsgabe ausgestattet, die es ihm erlaubt, die von anderen übersehenen Nischen und Zwischenräume zu entdecken. Manchmal sind es kleine Innenhöfe, Tore zu anderen Welten, oft nur ein winziger Riss in einer Mauer, der durch den abgebröckelten Verputz sichtbar geworden ist. Schimmernde Gestalten wohnen in ihnen, Geistern ähnlich, die untertags unsichtbar werden und ihre gescheiterte Existenz nur nachts auszuleben scheinen. Der rettende Anker ist der schlafende Partner, dem jeder Schritt dieser dunklen Erkundung im imaginierten Dialog erzählt wird.
Für den "Tag der Trägheit" wiederum benötigt Lukas Meschik nicht mehr als einen Raum und zwei Menschen. Nach dem Schulabschluss versuchen sie in den letzten, lauen Sommernächten zwischen Rausch und Ablenkung ihre Gefühle füreinander zu definieren, wobei der stetig wachsende Druck, endlich ins Erwachsenenleben eintreten zu müssen, die beiden voneinander entfernt.
Sowohl in der Erzählung "Was uns an Amputation denken lässt" als auch in "Unter der Oberfläche" sind überhitzte Nachtclubs mit ihren blitzenden Diskokugeln der Ausgangspunkt für zwischenmenschliche Bekanntschaften und seelische Komplikationen. Dem hedonistischen Leben der Großstadt wird durch Selbstzweifel, gewalttätige Gedanken und dem Streit mit der inneren Stimme des Selbsthasses Tribut gezollt. Meist bleibt offen, wer aus diesen von falscher Moral und sozialisierten Lügen durchzogenen Kämpfen als Gewinner hervorgeht.
"Speichel ist Datenübertragung"
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Beziehungen in ihrem urbanen Lebensraum scheint das sofort ersichtliche, durchgängige Thema aller Erzählungen zu sein. Höhepunkt ist "Die Kunst des Halbierens", in dem sich zu Beginn ein Mann und eine Frau in einem Café gegenübersitzen. Sie scheint ihn zu interviewen, während er sich die Geschichte eines Liebespaars ausdenkt, um zu erklären, in welchen unverbindlichen Zeiten wir heute leben. Im Verlauf beginnt jedoch das imaginierte Paar die Geschichte des realen Paars zu erzählen und dessen Schicksal weiterzuspinnen. Hier verschwimmen die Grenzen von Fiktion und Realität, die Welten scheinen sich gegenseitig zu beeinflussen, als würde eine Romanfigur das Leben des Lesers bestimmen.
Die Erzählung "Die Neuordnung der Synapsen" fällt mit ihrem surrealen Charakter etwas aus dem Rahmen. Auch "Die Rückkehr der geschändeten Frauen", der wohl deftigste Schlag in die Magengrube. Diese Rückkehr findet in einem Dorf statt, vor dessen Häusern sich ein Heer an von der Pornoindustrie bis zur Werbebranche ausgebeuteten Frauen formiert. Schweigend stehen sie ihren "Konsumenten" gegenüber, um sie daran zu erinnern, dass sie zwar Fantasien auslösen, jedoch reale Lebewesen sind.
Luftschaft Verlag
Erst mit der titelgebenden Erzählung "Anleitung zum Fest" scheint Lukas Meschik einen versöhnlichen Abschuss gefunden zu haben. Wobei auch hier die übertrieben idyllische und auf allen erdenklichen Ebenen hochstilisierte Feier in einem Schloss (oder ist es doch ein Zirkuszelt?) durch eine reflektierende Metaebene ins Wanken gebracht wird.
"Macht Revolution, nur verletzt Euch bitte nicht"
Mit achtzehn Jahren wurde Lukas Meschik unter die Top 10 des FM4 Wortlaut 2006 gewählt. Zu Recht, beweist Meschik mit dem Erzählband "Anleitung zum Fest" einmal mehr, dass er durch seine präzisen, geschliffenen und eigenwilligen Sprachbilder eine innere Bilderflut auslösen kann. Ein einzelner Satz kann dabei oft derart stark sein, dass man sich nur ungern von ihm verabschiedet, um weiter zu lesen. Paradoxerweise entsteht bei Lukas Meschik oft dann eine packende Atmosphäre, wenn er durch stilistisch oder perspektivisch voneinander abweichenden Absätze derselben Geschichte kontrastierende Freiräume entstehen lässt. Denn dadurch ergeben sich auch in den Köpfen der Leser genau jene Zwischenwelten, durch die Meschiks Protagonisten in seinen Erzählungen stolpern.
"Anleitung zum Fest" ist komplex und lesbar zugleich. Die Geschichten führen uns an düstere Abgründe der heutigen Generation und propagieren zugleich Heilung durch überschwängliches Zelebrieren des Lebens in der Gegenwart. Auch wenn Meschiks Figuren durch Einsamkeit oder ihre unkontrollierbaren Triebe viele Verletzungen erfahren und erschöpft am Boden der Realität zu liegen kommen, werden sie nicht müde, immer wieder aufzustehen, um ihre Arme in die Höhe zu reißen und der Anleitung ihres Autors zum Fest Folge zu leisten.