Erstellt am: 22. 3. 2010 - 13:19 Uhr
Immer der Nase nach
Beine breit, tief in die Hocke, nur wenn unbedingt notwendig atmen. Jetzt auf gar keinen Fall die Wände berühren. Und erst recht nicht den Boden. Das ist nicht einfach. Der Raum misst ca. einen Meter Breite und einen Meter Tiefe, dunkle Flecken ziehen sich über das fensterlose Gemäuer.
Das Kernstück des Raums ist ein Loch, so groß wie zwei Füße und von einem Gitter bedeckt. Das zementierte Bodenquadrat, in dem es mittig liegt, fällt trichterförmig leicht zu ihm ab. Diese kaum wahrnehmbare Neigung dient als Pinkelhilfe, auch wenn nicht als besonders gute. Es handelt sich bei dem Raum um die Toilette des Panini, einem Hotspot im Nachtleben der togolesischen Hauptstadt Lomé.
anständiges Klo = im UN-Fachjargon: „Improved Toilet - a flush toilet or an improved pit latrine.“ Ergo nahezu alles, das über ein Loch im Boden hinausgeht.
Zugegebenermaßen haben Nachtclub-Toiletten einen schlechten Ruf, auch in den so genannten "entwickelten" Ländern. So ist auch das Klo im Panini ein besonders übles Exemplar afrikanischer Toiletten, aber Anlass genug, ein dringendes Thema anzuschneiden. Dringend deshalb, weil es rund 2,6 Milliarden Menschen weltweit gibt, die keinen Zugang zu einem "anständigen" Klo haben.
Das bedeutet, weit mehr als ein Drittel der Menschheit scheißt und pinkelt in Straßengräben, hinter Büsche, an die Hauswand des Nachbarn oder die eigene, oder aber in und um Klos, die hygienischen Mindeststandards nicht entsprechen.
Anna Majumi Kerber / Radio FM4
Zur Veranschaulichung: Man nehme eine Gemeinde mit 10.000 Einwohnern. Ein Mensch produziert täglich rund 150 Gramm Fäkalien. Wenn ein Drittel des Dorfs keinen Zugang zu Sanitäranlagen hat, sind das täglich 500 Kilogramm, die ungefiltert die Natur erreichen. Das sind wöchentlich 3,5 und jährlich 182,5 Tonnen menschlicher Kot!
In afrikanischen Städten südlich der Sahara liegt der Anteil unzureichend Versorgter weltweit am höchsten: Rund 45 Prozent haben keinen Zugang zu Toiletten, die einem Mindeststandard entsprechen. Das zu ignorieren, fällt Augen und vor allem Nase schwer. Der beißende Gestank von Urin ist ein treuer Begleiter, nicht immer anwesend, aber verlässlich zurückkehrend.
In Touba einem Knotenpunkt des senegalesischen Transitverkehrs, wo der süß-säuerliche Mief abgestandener Pisse in einem dichten Nebel aus Abgasen und Staub über den Straßen hängt. In der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou, wo, wenn die Luft schließlich um ein paar Grade abkühlt, aus dem noch aufgeheizten Boden das penetrante Odeur aus dem Boden dampft. Im malischen Djenné, wo der stechende Gestank aus den "Regenrinnen" in den engen Gassen auf Zweckentfremdung schließen lässt.
Am Straßenrand, entlang Hauswänden, zwischen Marktständen, auf Busbahnhöfen, in ausgetrockneten Bachbetten, drängt sich der Fäkalgeruch auf. Ganze Seitenstraßen werden zu Freilufttoiletten umfunktioniert, einzelne Viertel präsentieren sich als öffentliche Klos.
Anna Mayumi Kerber / Radio FM4
Hotels und überdurchschnittlich teure Restaurants verfügen zumeist über moderne Sanitäranlagen. Doch selbst was optisch noch harmlos wirken mag, ist gelegentlich für den Geruchssinn unerträglich. Die Hitze trägt ihren Teil dazu bei. In Kaye, einer Stadt im Osten Malis beträgt die Durchschnittstemperatur im April 42° Celsius. Im Dusch-Klo-Kämmerchen mischt sich der Gestank beißenden Urins mit dem metallischen Geschmack abgestandenen Wassers aus rostigen Rohren schnell zu einem schwindelerregenden Luftgemisch.
Billige Absteigen halten sich häufig an weniger entwickelte Varianten. So dient ein quadratisches Loch im ersten Stock der Herberge Kita Kouraou den großen Angelegenheiten. Die Dusche daneben dient als quasi Großraum-Pissoir (für beide Geschlechter) und ist mittels Plastikrohr an der Außenwand mit der sandigen Straße verbunden. Vom ausbleibenden Erfrischungseffekt mal abgesehen:
Anna Mayumi Kerber / Radio FM4
Unter dem Millenniumsziel "ökologische Nachhaltigkeit" wurde auch eine Halbierung des Anteils der Menschen ohne dauerhaft gesicherten Zugang zu hygienisch einwandfreiem Trinkwasser (von 65 Prozent auf 32 Prozent) bis 2015 festgehalten. Fünf Jahre vor Ablauf der Frist, gilt die Erfüllung dieses Ziels als gescheitert.
Täglich treffen insgesamt 39.000 Tonnen menschlicher Exkremente ungefiltert auf Land und Wasserressourcen. Was das für die Umwelt bedeutet, soll hier nicht näher ausgeführt werden. Für etwa 5.000 Kinder täglich bedeutet das den Tod. So viele sterben jeden einzelnen Tag an Durchfallerkrankungen, die durch verseuchtes Wasser übertragen werden. Durchfall ist damit die zweithäufigste Todesursache für Kinder, gleich hinter Lungenentzündung. Und auch diese wird - neben Cholera oder Würmern - aufgrund schlechter sanitärer Versorgung übertragen. Rund 1,5 Millionen Menschen sterben jährlich aufgrund mangelhafter hygienischer Zustände.
Die Halbierung der Zahl derer, die keinen dauerhaft gesicherten Zugang zu einwandfreiem Wasser haben - heute sind es 2,6 Milliarden Menschen -, wurde als Teilziel in die Millenniumsziele aufgenommen. Dieses bis 2015 zu erreichen, gilt bereits als ausgeschlossen.
Anna Mayumi Kerber / Radio FM4
Öffentliche Toiletten in zahlreichen afrikanischen Städten sind regelmäßig knöcheltief mit Urin überschwemmt und führen zu olfaktorischen Reizüberflutung. An Tankstellen werden Latrinen als Müllablage zweckentfremdet. Von Plastikflaschen bis abgenagten Hühnerknochen findet sich darin Allerlei.
Welttoilettentag: 19. November
Welttag des Händewaschens: 15. Oktober
2008 wurde von der UN zum internationalen Jahr der sanitären Grundversorgung. Das Ziel: Enttabuisierung von Toiletten und Abwässersystemen
Mangelnde Hygienezustände in vorhandenen Sanitäranlagen wiederum verleiten dazu, einer Straßenecke gegenüber den Vorzug zu geben. An Gebäuden der öffentlichen Verwaltung wird vielfach unter Strafandrohung auf ein Pinkelverbot hingewiesen.
Nicht zuletzt ist sanitäre Grundversorgung auch eine Frage der menschlichen Würde. Privatsphäre bleibt vielfach ein Luxus, sei es aus Mangel an Alternativen oder aus Sicherheitsgründen.
An mauretanischen Bahnhöfen knien wartende Männer im Sand, damit sie sich im Wüstenwind nicht selbst ans Bein pinkeln. Frauen im burkinischen Degougou hocken nächtens am Straßenrand, um ihre Notdurft zu verrichten, weil sie das spärliche Licht der ebenso spärlich vorhandenen Straßenlaternen nicht verlassen wollen. In Lomé urinieren Mädchen im Grundschulalter entlang des Hauptboulevards auf den sandigen Gehsteig. Mit geübten Fingern sorgen sie dafür, dass es nicht in alle Richtungen spritzt.
Anna Mayumi Kerber / Radio FM4
Auf dem Klo des Panini ein paar Ecken weiter glänzt in den frühen Morgenstunden der Boden und die unteren Hälften der Wände im blauen Neonlicht. Zigarettenstummel hängen im Gitter, es haben sich Pfützen gebildet. Während der Besucher diese Zustände naserümpfend unter "abenteuerliche Unannehmlichkeiten" verbuchen kann, kosten diese weiterhin etwa alle 20 Sekunden ein Menschenleben.