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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

20. 3. 2010 - 17:40

Alte Meister, neue Helden

Die Diagonale lehrt: Zombies und Alleinunterhalter sind die Zukunft des österreichischen Kinos. In der Gegenwart herrschen Peter & Peter.

Man kann noch sehr eine Frohnatur sein, irgendwann zwingt dich das Leben in die Knie, meinte ich als Freund des zivilisationskritischen Horrorfilms immer schon gewusst zu haben. Und siehe da, die Diagonale 2010, bereits vielerorts beschrieben als veritable Enttäuschung, schießt mir zeitweise direkt ins Gedärm, schiebt mir den Glauben zurück in mein kleines Hirn, dass es - Hört, Hört! - auch im österreichischen Filmschaffen so etwas wie Bewegung geben kann. Damit meine ich jetzt nicht die allenthalben auf internationalen Filmfestivals, zum Teil zu Recht hofierten Arbeiten von beim Publikum und den Filmfördertopfverwaltern (beides in etwa gleich wichtig) etablierten und beliebten Regisseure Glawogger, Seidl, Hausner, Albert – die, sonst wär’s ja doch nicht Österreich, allerdings auch immer wieder mit der Finanzierung ihrer neuen Projekte zu kämpfen haben. Diese Räder laufen schon, ich stehe auf holpernde Gefährte, come on, deshalb ist man ja auch auf der Diagonale: um Neues zu entdecken, es zu loben und vielleicht dadurch bekannter zu machen, einen kleinen Schubs zu geben.

In den letzten Jahren bin ich vielfach mit gestreckten Waffen wieder in den Zug gen Wien gekrochen, bar jeder Entdeckung oder Überraschung, der Schädel vollgestopft mit nüchtern ausgeleuchteten Altbauwohnungen, knarzendem Fischgrätparkett, existenziell vor sich hin schwadronierenden Jungmenschen, die vor lauter Kunstsinnigkeit auf das Leben vergessen haben. Wäh, wie hasse ich das, die verzweifelt nach Bedeutsamkeit ringenden Dürrenmatt-Zitate, die Siebenschläue der Protagonisten, die über einer Tasse Kaffee das Leben zerreden, die Eitelkeit vieler Jungregisseure, die Godards Hüpfschnitte und Tarkowskijs Langzeiteinstellungen kopieren. Nouvelle ist da dann nix mehr, nur mehr eine vage Vague bleibt übrig, wellt sich in den Filmfriedhof.

In die Welt

Frau, Badewanne

Diagonale

Elefantenhaut

Ruhet in Frieden, denn ich hab Elefantenhaut gesehen: ein kurzer Spielfilm von Severin Fiala & Ulrike Putzer, zwei Filmakademiestudenten, die mir das Gefühl geben, dass aus diesen toten Hallen doch noch etwas Lebendiges hervor kommen kann. Wir sind am Land, echt in der Pampa, ein Nirgendwo mit graugrauen Einkaufszentren, schmucklosen Wohnhäusern und neonlichternen Diskotheken namens "Brooklyn", auf deren verspiegelter Tanzfläche sich die Alltagsmenschen zum treibenden Techno die Lasten vom Körper schwitzen. Die Elfi lernt dort den Alleinunterhalter Ricardo kennen, mit dem sie zuvor bereits auf der Firmenweihnachtsfeier geschäkert hat: er hat die Haare schön, mit Gelmassen nach hinten geklatscht, ein bisserl Vico Torriani, ein Hauch von Frank Sinatra und ganz viel Abgestürzter. Ricardo, verkörpert vom unsterblichen Michael Thomas, kippt die Jägermeister im Minutentakt, schunkelt verloren auf der Tanzfläche und gibt Elfi wieder einmal something called life: Untertags steht sie am Fließband einer Fabrik, abends kümmert sie sich für gewöhnlich um ihre pflegebedürftige Mutter. Aber in dieser einen Nacht streift sie ihre Elefantenhaut ab: Aus Elfi wird eine Elfe, zumindest für ein paar Minuten, bis das Diskolicht die Lügen nicht mehr verbergen kann.

Sänger

Diagonale

Elefantenhaut: Michael Thomas als Ricardo auf der Firmenweihnachtsfeier

Fiala & Putzer arbeiten sozialrealistisch, obwohl dieser Begriff im Zusammenhang mit ihrem organischen Film zu stählern und altmodisch wirkt: soll aber heißen, dass sie mit Menschen drehen, weniger mit Schauspielern, dass sie dorthin gehen, wo keiner hinwill und keiner hinschaut, wo aber die besten Geschichten zu Hause sind. "Elefantenhaut" ist trotz seines ernüchternden Themas kein Niederschmetterfilm: das Leben ist eben nicht tragisch oder komisch, sondern beides. Dann lacht man und ist gleichzeitig traurig und bewegt. Go, go, go, ihr jungen Menschen, so ein Kino sollt ihr machen. Geht’s raus in die Welt, raus aus euren fadgasigen Buden. Der österreichische Film braucht das.

Liebe und Tod

Mann, Monster

Diagonale

Monster auf dem Rücken: Rammbock

Oder Rammbock: ein knapper Sechzigminüter vom Wiener Marvin Kren, gedreht in Berlin, finanziert vom Zweiten Deutschen Fernsehen, von der Redaktion "Das kleine Fernsehspiel". Fast in, fast out lautet da die Devise: Michael (what a character: Michael Fuith) reist seiner alten Flamme Gabi hinterher, in die Stadt an der Spree, die just im Moment der Wahrheit von einer Horde Virenerkrankter, Kren nennt sie "Wütende" durchaus im Sinn von Danny Boyle, dessen "28 Days Later" eine Inspirationsquelle war, in die Hölle geschickt wird. "Rammbock" ist virtuos in Szene gesetzt und abgedreht in nicht einmal zwei Wochen: Michael und ein junger Handwerker, der in Gabis Wohnung grad am Heizkörper rum geschraubt hat, sind gefangen auf engstem Raum: draußen klopfen die Monster, drinnen klopft das Herz.

Mit dem Rammbock aus dem Titel stoßen sie durch in eine andere Wohnung, die feine Nah-Dran-Kamera immer dicht hinter ihnen: am Ende steht ein zarte Utopie inmitten der ganz großen Zerstörung. "Das Ende ist nah!" plärrt ein Graffiti durch die Straßen von Berlin. Für Kren wird "Rammbock" aber hoffentlich die Auferstehung als Jungregisseur: bezeichnend, und vermutlich besser für ihn, dass ihn die Wiener Filmakademie abgelehnt hat, er dann in Hamburg die Media School besucht hat. Die beiden Diagonale-Vorstellungen wurden heißblütig beklatscht: die Zuschauer sind geil auf solche Erfahrungen. Alle österreichischen Produzenten mit Hirn schaut hin und lernt aus euren Fehlern: krallt euch diesen jungen Mann und lasst ihn arbeiten. Endlich wieder Hoffnung für das heimische Kino.

Ein leises, feines Säuseln

Mann

Peter Schreiner

Peter Schreiner

Ein bisserl bin ich mir den letzten Jahren ja schon auch immer vorgekommen wie einer fest hängende Schallplatte, wie ein Internetwerbefenster, das immer wieder aufspringt, obwohl man es schon so viele Male geschlossen hat. Wieso? Weil ich von den Diagonalen nur die alten Meister, die bekannten Regisseure, denen ich schon vor dem Festival verfallen gewesen bin, mitgenommen habe. Aber das ist auch in diesem Jahr wieder Teil meiner Freude, und wie! Man kann sagen, ich gehe hier in Graz, umspielt vom Frühling auf in der totalen Peter-Verehrung: damit meine ich zum einen P. Schreiner, der hier in Graz mit einer festlich besuchten Personale (in der allerdings zwei seiner Filme fehlen!) gewürdigt wird und darüber hoffentlich, oh ich wünsche es mir so sehr, zu einer Fixgröße nicht nur beim Branchenvolk sondern auch dem ein oder anderen Kinofreund wird.

Der Schreiner fängt in den Achtzigern an, Filme zu drehen. Schon früher, als Kind, filmt er seine Familie, etwa beim Weihnachtsfest, auf 8mm, später dreht der Fotografiebegeisterte und talentierte Kameramann lange Filme wie "Grelles Licht". Man kann sagen, ein Tagebuchfilm, so radikal persönlich und auf den ersten Blick unstrukturiert wirkt diese Ansammlung aus Halbtotaleinstellungen in Schwarz-Weiß, in denen der Regisseur, seine Familie und Freunde bei Alltagssituationen zu sehen sind. Einfach so.

Mann mit Zigarette

Peter Schreiner

Peter Schreiner in "Erste Liebe"

Dieser Arbeitsweise bleibt er treu bis in die Neunziger Jahre hinein, als er mit "Blaue Ferne" zum Filmfestival von Rotterdam eingeladen wird, dort beim Publikumsgespräch nach der Vorführung allerdings niemand mehr im Saal ist. Nur leere Sessel bleiben. Schreiner, dessen Filme Teilstücke seines Lebens sind, Versuche zu kommunizieren und zu vermitteln, was sich in Worten nicht formulieren lässt, ist tief verletzt, verkauft sein Equipment, schnitzt Harfen und beginnt eine Ausbildung zum Diakon. 2004 kehrt er zum Kino zurück, weil er, wie er sagt, gar nicht anders kann. "Bellavista" erntet erstes Lob auf Festivals, sein jüngster "Totó" feiert seine Weltpremiere beim Filmfestival von Venedig. Peter Schreiner selbst, ein großer Sanfter des Kinos, ist vom Publikumszuspruch hier in Graz sichtlich bewegt: ich selbst freu mich ungemein, dass die Welt ihn jetzt besser versteht.

Affe im Käfig

Peter Kern

Klaus Vyhnalek

Peter Kern im Wiener Gartenbaukino

Das wird dem zweiten visionären Peter hier in Graz, P. Kern nämlich, so schnell nicht passieren. Sein neuer Film King Kongs Tränen, der hier gestern Abend seine Weltpremiere gefeiert hat, wurde vom Publikum allerdings durchwegs wohlwollend aufgenommen. Es fällt auch schwer, dem für wenig mehr als 100.000 Euro in etwas weniger als zwei Wochen sozusagen aus der Hüfte heraus geschossenen Impulswerk etwas anzukreiden: ganz einfach weil es ein Summa Summarum dieses außergewöhnlichen Regisseurs ist.

Mann

Peter Kern

Peter Gläubiger in "King Kongs Tränen"

Kern verfährt wie immer schamlos poetisch, wenn er mit seinem künstlerischen Ausdruck auf die diversen persönlichen Anfeindungen reagiert, die ihm nach Blutsfreundschaft beinah stündlich ins virtuelle Postkasterl gelegt worden sind. Eines dieser Hass erfüllten Communiqués eröffnet „King Kongs Tränen“, ist Auslöser für ein haltloses Fantasia, in dem ein Schauspieler namens Peter Gläubiger (Peter Kern) am Theater für einen Kurzauftritt als King Kong vorspricht und unaufhörlich gedemütigt wird, bis ihn ein Wirbelsturm an einen besseren Ort trägt: da speist er mit einer afrikanischen Bauernfamilie während sich im Hintergrund die Senfblüten im Spätsommerwind wiegen, da verspeist er schließlich im Heustadl das Hirn seiner schärfsten Kritikerin, löffelt es aus ihrem geöffneten Schädel heraus. Zwischen all dieser Amok laufenden Poesie setzt es heftige Querschläge gegen die politische Landschaft und Österreich im Allgemeinen: etwas anderes war auch nicht zu erwarten von Kern, dem Aussätzigen, der gar nicht anders kann, als für die Übersehenen und Weggeworfen zu schreiben und zu wüten, schon allein, weil er einer von ihnen ist.

Das Glück ist ein Vogerl

Für mich schließt die Diagonale also mit positiven Noten: die Filme, die ich gesehen habe, schenken mir Hoffnung. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich mit der Gestalt dieses Festivals und schon gar nicht mit seiner Programmierung einverstanden bin. Frau Pichler, da gibt es noch vieles zu richten. Die Diagonale muss Signale senden, muss Erneuerungsbewegungen einleiten und darf bitteschön nicht im Allerweltsdiskursmorast versinken. Scheuen Sie keine Kontroverse, eröffnen Sie vielleicht nimmermehr mit einem fein produzierten Thriller, nach dem sich alle auf die Schultern klopfen und zu Harfenmusik Qualitätswein saufen, sondern mit einem Film, der etwas zu sagen hat. Kino muss Kommunikation und nicht bloß fesch sein. Wieso nicht mit einem Schreinerfilm eröffnen? Oder gar mit Kern? Der dann im King Kong-Kostüm auf der Bühne steht und wütet. Aber das würde zu weit führen, so weit muss es gar nicht gehen hier in Österreich. Nur ein bisserl träumen, das wär schön. Ist das zu viel verlangt?