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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

24. 3. 2010 - 05:45

Verklagen und beschränken

Die Unterhaltungsindustrie führt seit Jahrzehnten einen Kampf gegen die Lebensrealität ihrer Kunden.

  • Digital Restrictions Management - In der seit Jahren andauernden Debatte rund um drakonische Kopierschutzmaßnahmen hat zuletzt ein Vorfall rund um Videospielehersteller Ubisoft Aufsehen erregt.

Die Zukunft sieht düster aus: Durch die neuartige Technologie und hemmungsloses Kopieren steht das unweigerliche Ende nicht nur der Musikbranche, sondern der Musik selbst bevor. "Eine klanglose Zukunft ist das Menetekel. Wenn die Musikindustrie ihre wirtschaftlichen Probleme heute und morgen nicht zu lösen vermag, wird es übermorgen bei aller Super-Technik kaum mehr produzierte Musik geben, die überspielt werden kann", berichtet der deutsche Spiegel von einer technischen Innovation, die die Musikindustrie nach eigener Einschätzung in ihrer Existenz bedroht.

Es geht in dem Spiegel-Artikel jedoch nicht um Filesharing. Es geht um die Musikkassette. Das Erscheinungsjahr des Artikels ist 1977.

Jammern, drohen, klagen

Zu den Videos: Mit Witz kontern Dan Bull (oben) und die Serie "The IT Crowd" (unten) dem Alarmismus der Unterhaltungsindustrie.

Das Verhaltensmuster der Unterhaltungsindustrie hat sich im Lauf des Jahrzehnte währenden Kampfes gegen jede technische Neuerung nicht gewandelt. Zuerst wird lautstark der Untergang jedes Kunstschaffens beklagt, dann wird eingeschüchtert und kriminalisiert: "Raubkopierer sind Verbrecher"-Kampagnen, die Mafia, Kinderpornografie- und Terrorkreise werden als Drahtzieher und Profiteure behauptet, Schauprozesse geführt. Dann wird durch intensives Lobbying politisch beim Gesetzgeber interveniert. Erst als allerletzter Schritt wird die neue Technologie umarmt - und neuer Profit generiert: Musikkassette, Video, DVD und jetzt Downloadmodelle haben die Unterhaltungsindustrie von Rekordumsatz zu Rekordumsatz geführt. Gelernt hat man daraus nichts.

Stattdessen fällt man immer wieder auf die eigenen Statistiken herein. Die Zahlen über den "Schaden", den das diabolische "Raubkopieren" anrichtet, behauptet die Rechteindustrie einfach so lange, bis sie nicht mehr hinterfragt werden: Die seit Jahrzehnten (!) kursierenden Horrorzahlen von 200 Milliarden US-Dollar Verlust pro Jahr und 750.000 verlorenen Jobs durch Rechteverletzung in den USA sind etwa frei erfunden - trotzdem werden sie gebetsmühlenartig wiederholt.


Kampf dem Kunden

Der Kampf richtet sich gegen die eigene Kundschaft; da nützt es auch nichts, dass Studien vielfach belegen, dass "Piraten" mehr kaufen als andere Gruppen. Zahlende Kunden sind dabei die Dummen: Nur Käufer von Original-DVDs müssen minutenlange Drohvideos ohne Option zum Weiterschalten über sich ergehen lassen. Nur Käufer von Original-Musik-CDs handeln sich unter Umständen Root-Kits ein, die sich von Viren nur unwesentlich unterscheiden. Nur Käufer von Originalspielen werden vom Kopierschutz zu immer absurderen Verrenkungen gezwungen und können ihre Spiele weder weiterverkaufen noch verleihen. Der Grund, warum "raubkopiert" wird, liegt nicht nur in der angeblichen Gratismentalität: Die Piraten liefern das, was die Kunden eigentlich kaufen wollen - das schnörkellose Produkt.

modernhumorist.com

Seit dem Aufstieg digitaler Medien ist DRM (Digital Rights Management) der eine Teil der Doppelstrategie, um der "Raubkopie" beizukommen. Daneben setzen die Rechteverwerter auf gesetzliche Verschärfungen. Zimperlich ist man dabei nicht: Wiederholt haben sich Antipiraterie-Lobbys für bürgerrechtlich äußerst bedenkliche Gesetze stark gemacht, von Vorratsdatenspeicherung über Netzfilter bis hin zur Totalüberwachung. Die in Österreich seit diesem Jahr geltende umstrittene Vorratsdatenspeicherung etwa soll auch die Verfolgung von Piraten ermöglichen, wenn es nach Industrie und Justiz geht.

Im EU-Parlament regt sich momentan Widerstand gegen ACTA. Auch über 100 zivilgesellschaftliche Organisationen rufen zu mehr Transparenz auf.

Globales Lobbying für das eigene Geschäftsmodell

Der Hattrick soll mit dem seit Jahren hinter verschlossenen Türen ausgehandelten Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA, gelingen, das ein internationales Regelwerk gegen Produktpiraterie und zum besseren Schutz geistigen Eigentums bringen soll. "Three Strikes", also Bestrafung durch Ausschluss vom Internetzugang nach drei Copyrightverstößen, Onlineüberwachung und Grenzkontrollen von Datenträgern wie MP3-Playern oder Laptops will die Rechteverwertungsindustrie durchsetzen - unter anderem gemeinsam mit der Pharma-Lobby, der etwa billige Generika für die Dritte Welt ein Dorn im Auge sind.

Auch gegen die lästige Gratiskonkurrenz wird mobil gemacht: So hat etwa kürzlich der US-Rechtelobbyverband jenen Staaten, die in der Verwaltung auf Open-Source-Projekte setzen, pauschal vorgeworfen, mit dieser Unterstützung das "geistige Eigentum zu bedrohen". Schwellenländer wie Thailand oder Brasilien würden dadurch, dass sie freie Software einsetzen, den "freien Markt angreifen" und "Unternehmen, deren Existenzgrundlage copyrightgeschützte Software ist", schädigen - die internationale Politik wird frech als erweitertes Feld der Wirtschaft beackert.

Radiotipp:

In der FM4 Homebase (Mittwoch, 25. März) beleuchten Christoph Weiss und Robert Glashüttner das Thema Digital Rights Management aus mehreren Blickpunkten und interviewen Firmensprecher, Games-Entwickler und Experten.

Scheingegner Raubkopie

Gegen "Raubkopierer" und auch die Konkurrenz aus dem Open-Source-Bereich soll also künftig gesetzlich noch härter vorgegangen werden - das DRM ist allerdings für die ehrlichen Käufer gedacht. Die Piraterie lässt sich damit nachweislich nicht effektiv verhindern, dafür aber kann man schon zahlende Kunden besser kontrollieren und wiederholt zur Kasse bitten. Das betrifft den Weiterverkauf gebrauchter Spiele, das private Verleihen von online gekauften Filmen oder digitalen Büchern oder das Anfertigen von Privatkopien im Freundes- und Familienkreis - all das soll durch DRM unterbunden werden. Der Kampf gegen die Piraten ist nur der scheinheilige Vorwand, um per DRM die ungeliebten legalen Nutzungsrechte für zahlende Kunden noch weiter einzuschränken. Immerhin gäbe es ja auch nach wie vor das "Recht auf Privatkopie", wegen dem bei jedem verkauften Leermedium und kopierfähigen Gerät wie etwa DVD-Brennern sowieso ein Obolus an die Rechteverwerter fällig ist.

Vielleicht hat die zunehmende Unverfrorenheit der Rechteindustrie aber auch einen positiven Effekt: Das öffentliche Verständnis für den Kampf zur Einzementierung eines Geschäftsmodells vergangener Tage ist am Schwinden, das beweist auch der Erfolg politischer Gruppen wie der Piratenparteien oder die wachsende Popularität von Ideen wie Open Source oder Kulturflatrate. Es liegt aber letztendlich vor allem an uns, den Konsumenten, den Ausgang dieses Kampfes mitzubestimmen. Abgestimmt wird an der Kasse.