Erstellt am: 19. 3. 2010 - 13:49 Uhr
Zorn und Ambivalenz
Army of one, Truth of inner skull. Ich mag die martialische Sprache der Lonelady, die schon nach dem ersten Hören von "Nerve Up" in Fetzen hängen bleibt. Ihre Musik erinnert an Dystopien von Echo and the Bunnymen, Gang of Four, The Fall. Eine Epoche der Düsternis, in die ich mich als knapp-nicht-mehr-Kind verliebt habe. Eine Zeit, in der ich in einem kulturellen Ödland namens Villach in die Schule gegangen bin. Heute mag es anders sein, damals war es für mich die Hölle auf Erden. Ein täglicher Alptraum, die Schule: Der Direktor schritt mit blauem Schal um den Hals durch die Gänge, kontrollierte die Einhaltung der Patschenpflicht und die Turnlehrerinnen ließen einen bis zum Umfallen Runden laufen. Zivilisation bedeutete damals für mich ein Fach Schallplatten im Musikfachgeschäft Meki und die Radiosendung Musicbox. Dort hörte ich Musik, die ein Gegengift war. Einer der Herren, der mir damals täglich um 15 Uhr das Gegengift einträufelte, sitzt heute drei Schreibtische weiter. Ich belästige ihn fast schon täglich mit meiner Begeisterung für die LoneLady.
Das, was die LoneLady heute macht, erinnert mich an das Gegengift aus dem Jahre 1989. Nicht nur der äußeren Form wegen, sondern auch in der Konsistenz. Es bringt meine Seele zum Schwingen und das passiert bei Gitarrenmusik nicht mehr allzu häufig. Es fehlt mir etwas, das ich nicht genau bestimmen kann. Herr Blumenau meint, dass die Reminiszenen ein Jahrzehnt weiter zurückreichen als meine Wahrnehmung.
1979 kommt Magret Thatcher an die Macht und es entsteht eine Musik, bei der die Gitarre Hauptabwehrinstrument sozialer Kälte wird. Die Kraft schöpft aus der Verzweiflung über soziale Kälte und als ökonomisches Programm verkaufte staatliche Ungerechtigkeit.
warp
Keine Weinerlichkeit, sondern Zorn - getragener Zorn als Lebenshaltung in Opposition und nicht als inszenierter Tobsuchtsanfall. Vielleicht höre und schätze ich das bei der LoneLady. Laut Plattenfirmentext wuchs die LoneLady in einem der verschissensten Vororte von Manchaster auf: Stripclubs, Industriegelände, verfallene Wohnhäuser, eine Bandbreite der Tristesse. "LoneLady hat ein Album geschaffen, das nichts anderes ist als die Vertonung eines Lebens in dieser einzigartigen, schmutzigen und ambivalenten Stadt. LoneLadys Songs handeln von all den rauen, unverfälschten Wunschvorstellungen und Erinnerungen an die Geschichte Manchesters, wundervoll nackt und verletzlich freigelegt."
LoneLady: Am 4. April 2010 im Kino Ebensee.
Ich war noch nie in Manchester, bin aber große Verehrein von Factory Records. Die LoneLady auch. Sie sagt in Interviews, dass sie sich noch nie im Hier und Jetzt zu Hause gefühlt hat, aber auch keine Retro-Sideshow ist. Sie sagt, dass sie Manchester liebt, weil es ein guter Ort ist, um sich zu verstecken vor der Dummheit und Hysterie des Popbuisness, aber: "sometimes even I get sick of Factory and the burden of it´s history". Alles sehr ambivalent. Ich mag die Getriebenheit und Rastlosigkeit der LoneLady. Das "Ich will weiter und klebe doch am selben Fleck", das mir aus "Nerve Up" entgegen springt. LoneLady ist verantwortlich für Text, Gitarre, Stimme und Arrangements. Guy Fixsen, der mit My Bloody Valentine, The Breeders oder Stereolab gearbeitet hat, hat "Nerve Up" produziert. Nachdem ich das oben zitierte Interview gelesen habe, bin ich Fan und beginne Dinge zu tun, die Fans nun mal so machen. Jede Review lesen. Irgendwer hat aus "Nerve Up" diese Erkenntnis herausdestiliert: „Die LoneLady will mit ihrer Musik drauf aufmerksam machen, wie fucked up things sind.„
Danke. Zu dieser Erkenntnis bin ich mittlerweile auch schon gekommen, dennoch fühle ich mich in der Welt recht wohl – sonst wäre ich warscheinlich nicht mehr hier. Sämtliche Pubertätsalaram-Glocken läuten. Aber nein, ich finde "Nerve Up" weder pubertär, noch meine ich, dass es ein verzichtbares Auf- und Abdeklinieren von britischem Post Punk ist.
"Nerve Up" ist auf Warp erschienen.
Warum mag ich Nerve Up? Weil LoneLady so gut Themen spielt, die von Joy Division sein könnten und darüber singt wie Patti Smith. Weil sie mich an mein Gefühlsspektrum erinnert, als ich eine selbstherrliche zornige Krätze und überzeugt war, die Welt gehöre mir? Sind das die ersten Anzeichen, bin ich Opfer der alterssenilen "Früher war alles besser"-Melancholie? Ein Retroausflug in die eigene Geschichte, der in vermeintlich neuen Kleidchen daherkommt? Aber das ist der Versuch einer Albumreview und keine Therapie Sitzung, deshalb Brunner Over and Out.