Erstellt am: 16. 3. 2010 - 16:07 Uhr
Tanz den DNS, ganz ohne Links-Populismus
Da sage noch einmal einer, "die Jungen" würden sich nicht für Politik und gesellschaftliche Entwicklungen interessieren. Gestern abend taten sie es, deutlich merkbar, zumindest in Deutschland.
Teil 2 von Die Grenze läuft heute abend auf Sat 1. Die Website dazu, samt Polit-O-Meter für den Selbsttest.
Die heilige Messlatte, die unhinterfragte Fernseh-Quote, bescherte dem ersten Teil des Zweiteilers Die Grenze den Tagessieg im jungen Segment.
Was selbstverständlich nichts über die tatsächliche Wirkung des Programms aussagt - aber alles über das Marketing und die Erwartungs-Haltung. Was der Kolportage-Thriller seinen Zuschauern inhaltlich wert war, wird sich erst heute abend, bei Teil 2 zeigen.
Diese (absichtlich falsch interpretierte und bewusst so eingesetzte) Gleichsetzung zwischen Marketing und Inhalt ist dem Populismus der Medienhäuser geschuldet - aber der ist nicht weiter interessant; dieser Schmäh hat sich durchgesetzt, gegen diesen Trugschluss gibt es keine Mittel mehr; selbst im Rezipienten-Denken ist dieser Schwachsinn tief verankert.
Meck-Pomm als Versuchsanordnung
Viel interessanter ist der Umgang mit dem politischen Populismus, der in "Die Grenze" der unumstrittene Hauptdarsteller ist.
In dieser politischen Fiktion geht es um den von einer plötzlichen Wirtschaftskrise samt Massenarbeitslosigkeit angeheizten Landtags-Wahlkampf Mecklenburg-Vorpommern, dem wirtschaftlich strukturschwachen Ostsee-Bundesland, das seit Jahren durch offensive Ostalgie, Xenophobie und Neonazismus auffällig geworden ist.
Eine rechtspopulistische "Bewegung" und eine erstarkte neue Linke kämpfen um die Hauptstadt Rostock, wo alles kuliminiert, es kommt zur Aufschaukelung, zur Teilung, zu bewaffneten Konflikten. Und alles ist durchaus so inszeniert, dass es letztlich nur ein paar wenige Minuten in die Zukunft gedacht ist.
Da greift dann die Thriller-Handlung ein: der Verfassungsschutz und/oder Geheimdienst schleust einen V-Mann ein, der den Führer der DNS (deutsch, national, stolz) kompromittieren soll. Gemeinsame Vergangenheit, familiäre Verstrickungen, eine problematische Liebschaft und derlei Pipapo machen den Film dann auch jenseits der politischen Ebene konsumierbar.
Aber es bleibt eine verblüffende Botschaft übrig.
Lechts und rinks sind unvelwechserbar
Denn die Film-Bundesregierung (unter Führung einer deutlich im Merkel-Style gekleideten Kanzlerin) beschließt Parteiergreifung fürs kleinere Übel: man unterstützt (heimlich) die Neue Linke, schießt ihnen Geld für Sozialprogramme zu und nimmt sogar eine Abspaltung von Meck-Pomm als Deutsche Sozialistische Republik in Kauf. Motto: die wären wirtschaftlich abhängig und kontrollierbar. Was hingegen nach einer Machtübernahme der Rechtspopulisten passieren würde, erschiene als zu großes Risiko.
Nun ist die Darstellung der "Neuen Linken" eher an schneidigen Gewerkschaftern (die Atmosphäre am Hafen erinnert eher an die Solidarność als an Gysi/Lafontaine) orientiert und die der Kellernazis deutlich holländischen/österreichischen Vobildern wie Fortuyn oder Haider nachgeschneidert. Und natürlich menschelt es auch da. Auch in der klassischen Unvereinbarkeit zwischen klassisch rechten und klassisch linken Positionen, die in "Die Grenze" fast ein wenig daherkommen, als wären die 50er noch am Köcheln.
Trotzdem bezieht der Film Stellung: besser ein kleiner Rückstoß in alte sozialistische Muster als das Risiko des Nationalsozialismus.
Klar an Haider orientiert
Die Reaktionen, auch schon jene vor der Ausstrahlung, sind nun in vielerlei Hinsicht geteilt - eines ist aber ganz klar. Am grundsätzlichen Konsens (Anti-Nazi) rüttelt niemand.
Das ist deswegen interessant, weil das hierzulande in jedem Fall komplett anders wäre. Das, was "Die Grenze" da in einem kollektiven Schulterschluss der Selbstverständlichkeit und des Anstands als sakrosankt hinlegt, wäre in Österreich nicht möglich. Hierzulande würde ganz klar aufgerechnet werden, die entsprechenden Kronenzeugen dieses Landes würden (nie selbst erlebten) Real-Sozialismus mit (tatsächlich erlittenem) Nationalsozialismus vergleichen und sich wohl - wie es der heimische Kontext aktuell klar vorgibt - ebenso klar für das andere "kleinere Übel" entscheiden, die fiktive Regierung der TV-Sendung würde sich seufzend dem sanften Zwang der veröffentlichten Meinung zu ein bisserl Faschismus beugen.
Denn die Darstellung des rechtextremen Führers Schnell ist optisch zwar eher an Ronald Schill orientiert, wirkungstechnisch steht aber deutlich Jörg Haider Pate.
Und so einer Vaterfigur kann sich Österreich bekanntlich nicht entziehen.
Die österreichische Lösung: ein bissl Deutschnationalismus
Interessanterweise ist also Deutschland, dessen Ost-Teil praktische Erfahrung aufweisen kann, viel weniger hysterisch anti-kommunistisch als Österreich, wo diese Bedrohung immer nur als Popanz aus der Mottenkiste geholt wurde.
Und interessanterweise hält Österreich seine selbstaufgepäppelte stramm rechtspopulistische Politlandschaft für gänzlich harmlos, weil ja schon seit ewigen Zeiten (nicht erst seit Lueger und dem Deutschnationalismus) existent und defintionsmächtig.
Deshalb tut es ganz gut, eine Problematik, die sich - würde sie in Österreich abgehandelt werden - in lächerlicher Probvinzialität verstricken, so vergleichsweise kühn und weltläufig abgehandelt zu sehen. Auch im Hinblick auf so etwas wie eine europaweite, ja globale Verantwortung.
Etwas, was hierzulande mit dem Dauer-Hinweis auf den "Feind" EU nicht möglich ist.
Außerdem deckt hierzulande der Rechtspopulismus auch beide Fraktionen zugleich ab - die stramm rechte der Kellernazis und die sozial engagierte der "Gegen euch da oben!"-Entrechteten. So bringt die Abwesenheit eines effektiven Links-Populismus Österreich um die Gelegenheit einer umfassenden Reflexionsarbeit; die in Deutschland durch einen stinknormalen Kolportage-Zweiteiler in völliger Unaufgeregtheit ganz ohne Schaum vorm Mund abgeführt werden kann.