Erstellt am: 15. 3. 2010 - 19:07 Uhr
In der kalten Welt
www.kathrin-roeggla.de
Kathrin Röggla steht auf Katastrophen. Zumindest muss man zu dem Schluss kommen, wenn man sich das bisherige Werk der 38-jährigen Autorin ansieht. Really Ground Zero nennt sie etwa jenen Text, den sie in den ersten Wochen nach 9/11 in New York City schreibt. Ein anderer heißt disaster awareness fair. Spekulativ ist an Rögglas Schriften nichts, die Katastrophen – vom Terroranschlag hin zur Weltwirtschaftskrise – gehören für sie einfach zu unserer Zeit: die Autorin beschreibt sie beiläufig, auch in ihrem neuen Buch die alarmbereiten. Darin versammelt sie sieben Texte, Kurzgeschichten wenn man so will, allesamt formuliert in indirekter Rede, geschrieben unter Verzicht auf Groß- und Kleinschreibung. Ihre Figuren sprechen eben nicht, sie werden gehört.
also wenn das jetzt das ende gewesen sein solle, dann könne er für nichts mehr garantieren. also er wisse nicht, wie er gleich reagieren werde, wenn dies das ende gewesen sein solle, dann fühle er sich nur wirklich verarscht.
Babylon Revisited
Die Figuren in Rögglas Texten haben selten Namen; wenn überhaupt heißen sie „die optimale 14-jährige“ oder „der möchtegern-journalist“. Kathrin Röggla gehört zu den einer neuen Generation von deutschsprachigen Prosa-Autoren: ihr Stil setzt sich zusammen aus den vielen gesprochenen und gehörten Sprachen des Alltags. Manager-Talk und Fernsehdiskussionen, Gespräche mit Psychiatern, Vorgesetzten und Vertrauensleuten: in „die alarmbereiten“ fließt all das und noch einiges mehr zusammen. Röggla gelingt ein Zeitgeisttext, ein unmittelbares Buch, das man auszugsweise oder vollständig, aufmerksam oder nebenher lesen kann. Manchmal erkennt man darin Spuren der Wirklichkeit, etwa im Kapitel "wilde jagd", in dem ein befreites Entführungsopfer durch die Stadt gehetzt wird. Es ist Rögglas Bearbeitung des Falls Kampusch.
sie meine, so lange sei ich weggewesen, und jetzt sei ich wieder da. man habe sich gedacht: „die hat keine chance!“, man werde höchstens noch meine knochen finden, wenn überhaupt.
Selbstgemachte Katastrophen
fischerverlag
Ich bin kein studierter Literaturkritiker, lese wenn ich will, was ich will. Die Röggla wollte ich, ihre Themen machen mich an. Sie kommt stark erkältet zu mir ins Studio am vergangenen Samstag, scheint schon jenen Bazillen und Viren zum Opfer gefallen zu sein, die in ihrem neuen Buch von den Medien zum Angstmachen eingesetzt werden. Sie wirkt wie eine gute Freundin, öffnet sich schnell, erzählt flugs, flink und griffig von Motivationen und Beobachtungen.
"Es ist ja so, dass wir in einer Welt leben, in der Katastrophen zuzunehmen scheinen auf einer realen Ebene beziehungsweise man könnte formulieren, in einer Welt, in der wir immer mehr Katastrophen produzieren. Weil wir machen sie ja. Das ist ja nicht etwas, das vom Himmel fällt."
"Es findet in der öffentlichen Rhetorik etwas statt, wo diese Entsolidarsierung ständig erzeugt wird. Wenn ich mein Gegenüber immer nur als Konkurrenten sehe in meinem Selbstunternehmertum oder als jemanden, der mir etwas weg nimmt, weil er meine Steuergelder mißbraucht, dann werde ich nicht so ein positives Gefühl dem gegenüber kriegen."