Erstellt am: 15. 3. 2010 - 18:38 Uhr
Licht, Schatten und Liebe
Müsste man der Diagonale onomatopoetisch zu Leibe rücken, dann käme in meinem Fall wohl etwas raus wie: Ratter, rums, zitter, peng, peng, schepper. Ergibt keinen Sinn? Schau nochmal hin. Genug des Erika Fuchs-Gedenkdiensts, auf zu neuen Ufern und das meint an dieser Stelle natürlich die alljährliche knackige, weil konzise Überschau als Mundbewässerungsanlage, die Vorschau auf die Höhepunkte der Grazer Diagonale.
Ruth Ehrmann
Wobei: ganz vieles davon kenne ich natürlich nicht, auch da ich einen natürlichen Abwehrmechanismus aufgebaut habe, der mich beschützt vor manischem Sichten der an Pressevertreter ausgehändigten DVDs zugunsten eines hoffentlich eintretenden Reiz-Reaktionsrauschs direkt am Festival, dort wo alles steigt und fällt. Festival-Direktorin, the Wicked Warden of the Fest, ist wie im letzten Jahr Barbara Pichler, die schon während der Pressekonferenz im BAWAG-Raum anklingen hat lassen, dass es weniger Spielfilme gäbe als in den Vorjahren. Und das, obwohl das Festival obligatorisch all jene Werke noch einmal präsentiert, die im Vorjahr in den österreichischen Kinos gestartet sind.
Diagonale
Krieg, Monster und Zombies
Einige Premieren werden einem aber dann doch zugeführt: mein Körper bebt schon beim Anblick des Szenenbilds, das – in meinem Fall durchaus geglückt – Barbara Eders High School-Movie Inside America, abgeleitet auch von den eigenen Erfahrungen der Regisseurin, bewerben soll: zwei gaunermäßig, aber auch leicht lasziv (eine Interpretationsleistung meinerseits?) dreinblickende Muskelbuben mit gereckten Fäusten und Blingbling um den Hals, die mir aus dem Fotogramm entgegenblicken, zu fragen scheinen: Sex oder Schläge, was willst du? Bis ich mich entschieden habe, streiche ich mir diesen Termin mal an. Jetzt schon unwiderstehlich für mich ist der neue Film von Peter Kern (ich hör den Kulturstadtrat schon fragen: „Gibt der denn nie a Ruh?“), immerhin der zweite innerhalb eines Jahres nach seinem Neonazi-Drama „Blutsfreundschaft“. Kern, ein meisterlicher Filmtiteldichter, nennt ihn schlicht King Kongs Tränen, womit alles gesagt ist zur tragischen Komik des monströsen Werks, in dem sich Kern polemisch, humorig und, eh klar, aufreibend ehrlich mit seinen Kritikern auseinandersetzt. Schließlich noch Rammbock, ein Film mit fetten Bildern, da bin ich mir sicher, handelt es sich doch um den in Deutschland finanzierten Zombiefilm eines jungen Wiener Regisseurs. Und wenn dieses Land etwas braucht im Kinogeschäft, dann ist ein wenig Mut, ein bisserl Ehrlichkeit und haufenweise Blut. Haut den Diskurs in den Müllkübel, ich will Körper sehen.
Diagonale
Bunny Rabbits
Erschlagen vom fetten Katalog, bleibt mir nicht zuletzt aufgrund der teilweise kryptischen Inhaltsangaben oft nichts anderes übrig, als meinen Festivalstundenplan aufgrund der abgedruckten Beweisfotos zu befüllen. So weiß ich, kein Freund des Kurzspielfilms, schon jetzt, dass ich Spaß mit Hase schon allein aufgrund des Katalogbilds sehen muss, auf dem ein manngroßes Kuschelkaninchen (oder ein Mann als Kuschelkaninchen) mit wundervollen googly eyes (Danke Christopher Walken aka Gott) durch ein Waldstück hoppelt.
Judith Zdesar
Doc Shock
Wie immer bei der Diagonale begegne ich dem umfassenden, übervollen Dokumentarfilmprogramm mit einem gesunden Mittelmaß aus Respekt und Skepsis: die junge Regisseurin Anna Katharina Wohlgenannt, gesegnet mit einem einprägsamen Namen, lockt mich mit einem exotischen und explizit politischen Thema an, nämlich dem von einer Österreichergruppe, die sich 1984 nach Nicaragua aufgemacht hat, um die dortigen linksrevolutionären Sandinistas bei ihrem Kampf gegen die US-Invasoren zu unterstützen. Einmal mehr als nur reden heißt ihr Film, den Titel würde ich gerne unter andere österreichische Filme schreiben. Auch die Herrenkinder des Regiedoppels Eduard Erne und Christian Schneider merke ich mir vor, erzählen sie doch die historische Geschichte der Nazi-Schule „Napola“. Ein weiterer Beitrag zum Zerfall von pädagogischen Utopien von der Berlinerin Julian Großheim: in Die Kinder vom Friedrichshof lässt sie die erwachsenen Mühl-Kommunenkinder über ihre Erfahrungen im gegenkulturellen Feldversuch erzählen.
unafilm köln
Eins und eins und eins macht 3
Für viele professionelle Vielseher bekommt die Diagonale ihre Wertigkeit weniger vom aktuellen Filmprogramm als von den gedankenvoll zusammen gebauten Reprisen, Retrospektiven, Tributen und Personalen verliehen. In diesem Jahr serviert man dem geneigten Filmverrückten eine unheilige Dreifaltigkeit an der Obskurität an heim gefallenen Künstlern. Aus Deutschland reist der Mann an, der Film und Geschichte denkt wie kaum ein anderer, einer, der den teutonischen Schauspieltitanen Manfred Zapatka auf einem Sessel sitzend vor einer grauen Wand Heinrich Himmlers erste Posener Rede recht entfühlt in die Kamera lesen lässt. Gerade über die Coolness und das Unspekulative dieser höchst artifiziellen, also kinematografischen Versuchsanordnung zerschlagen sich die programmierten Gefühlswallungen zum Themenfeld Nazi-Verbrechen, während sich die giftigen Worte der brillanten Rhetoriker tief ins Hirn fressen. Das Himmler-Projekt heißt dieser vielleicht wichtigste Dokumentarfilm (?) der letzten zwanzig Jahre und ist ein Teil der Retrospektive zu Romuald Karmakar. Der Filmemacher wird auch persönlich anwesend sein und die Vorführungen seiner Filme begleiten.
Während Karmakar herausfordert ohne unnötig zu provozieren, ist der Österreicher Peter Schreiner ein Sanftmütiger, gar Weiser des heimischen Filmschaffens: in seinen sieben fertig gestellten Arbeiten zeigt er seine Familie, Freunde und sich selbst (etwa in „Grelles Licht“ oder „Kinderfilm“), lebt ein Jahr lang mit den italienischen Zimbern („I Cimbri“), deren Sprache und Kultur ebenso vom Aussterben bedroht ist wie die der Osttirolerin, die er in „Bellavista“ zurück auf ihren Heimathof begleitet. Lässt man sich ein auf das Schreinerversum, so erlebt man sein blaues Wunder in schwarz-weißen Bildern; der weise Mann lehrt einen die Langsamkeit und Konzentration wieder, Assoziationsketten werden zersprengt, andere angelegt, zurück bleibt bei seinen Filme immer das Gefühl, dass man etwas geschenkt bekommen hat, was einem nur das Kino geben kann. Erfahrungen aus dem Leben von Anderen. Die Triangel der Vergessenen beschließt Mansur Madavi, vergessene Zentralfigur des österreichischen Kinos der Siebziger und Achtziger Jahre, habe ich mir sagen lassen, denn ich kenne ihn und seine Filme nicht. Das wird sich ändern, wie vieles auf der Diagonale 2010. Ich freue mich.