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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

29. 5. 2010 - 20:25

On the edge

Einer der ganz großen Gratwanderer und Grenzüberschreiter des Kinos ist tot. Persönliche Gedanken zum Schauspieler und Regisseur Dennis Hopper.

Wie kann man auf die bestmögliche Weise altern? Und zwar ohne den öden bürgerlichen Begriff "würdig" zu bemühen, der stets eine Aufgabe sämtlicher Leidenschaften und Lüste impliziert, die nicht ins Bild von lieben Omas und Opas passen?

Wenn sich in den letzten Jahren irgendwelche Gespräche diesem Thema zuwandten, dann ist meinerseits sehr schnell ein Name gefallen: Dennis Hopper. Unter allen verehrungswürdigen Pensionisten dieses Planeten war er für mich immer einer der coolsten Hunde überhaupt.

Diese Coolness, die so überhaupt nichts mit der gegenwärtigen Verwahrlosung dieses Prädikats zu tun hat, resultierte aus zwei Faktoren. Zum einen aus dem Leben des Mr. Hopper. Einem maßlosen, wilden, gefährlichen Leben, das uns Zaungäste wohl nur atemlos und oft kopfschüttelnd hinterlassen hat.

Und dann war da die unerhörte Konsequenz, mit der sich Dennis Hopper eines Tages selbst aus dem gähnenden Abgrund gezogen hat, einem schwarzen Loch voller Exzesse, Drogen, flackerndem Irrsinn.

Einer der führendsten Freaks in Hollywood, der rauschhaft die Grenzen zwischen Kunst, Kommerz und Kollaps verwischte, dessen Exzentrizität die omnipräsenten Celebrity-Kasperln noch armseliger wirken ließ, verwandelte sich in einen strengen, extrem stilsicheren, vor Kreativität nur so sprühenden älteren Herren.

Dennis Hopper ist tot

Reuters/Jerry Lampen

Begonnen hat die Odyssee des 1936 geborenen Dennis Hopper in der amerikanischen Provinz, auf einer Farm in Kansas. Mitte der fünfziger Jahre treibt es den Landjungen zunächst ins berühmte Actors Studio in New York und dann nach Hollywood, wo er Komparsenrollen annimmt. Dank einiger Fernsehauftritte schafft Hopper den Sprung auf die Kinoleinwand.

Es ist die Zeit der Rock'n'Roll-Revolution, des Aufbegehrens gegen die satte Nachkriegsgesellschaft. Dennis Hopper taucht ein in die Welt der Motorradgangs, Lederjacken und Elvis-Tollen. Und er freundet sich mit James Dean an, dem prototypischen Rebel without a cause, spielt schließlich im gleichnamigen Film eine Nebenrolle.

Hopper, schon bald als schwieriger Charakter auf dem Set verschrien, treibt sich abseits der Dreharbeiten mit einer Gang junger Schauspieler herum, die durch Hobbys wie Alkohol, Sex und illegale Straßenrennen in die Schlagzeilen geraten.

Nachdem James Dean mit seinem Sportwagen in den Tod rast, zerfällt die Posse. Dennis Hopper wendet sich der Fotografie zu, schreibt Gedichte, raucht zusammen mit diversen Beatnik-Poeten unendlich viele lustige Zigaretten.

Dennis Hopper

Trotzdem, und obwohl immer mehr Regisseure den renitenten Akteur ablehnen, bleibt Hopper präsent. Etliche Nebenrollen und Fernsehauftritte später, wir schreiben inzwischen die sechziger Jahre, lernt er einen Schauspielkollegen kennen, mit dem er auf der selben eingekifften Wellenlänge liegt. Peter Fonda und Dennis Hopper planen ein gemeinsames Filmprojekt, das die Aufbruchsstimmung der Hippie-Ära einfangen soll.

Dabei wird "Easy Rider" (1969) auch gleichzeitig zum Abgesang auf die Utopien von Love and Peace. Mit Schüssen aus einer Redneck-Schrotflinte endet der Traum einer Generation, zumindest im Filmfinale.

Trotz dieser und anderer desolater Aspekte schließt die Gegenkultur der Sixties den Film ins Herz, macht ihn zum globalen Phänomen und Kassenschlager. Dennis Hopper, der Regisseur und Hauptdarsteller, wird mit kommerziellen Angeboten überhäuft.

Aber er zieht sich lieber ins ferne Peru zurück, dreht dort sein obsessives Avantgarde-Projekt "The Last Movie", für das Universal Pictures eine Million Dollar vorschießt. Über ein Jahr lang dauert der geballte Wahnsinn, es kommt zu Schlägereien am Set, albtraumhaften Drogentrips ohne Ende, Fluchtversuchen vieler Schauspieler.

The Last Movie

The Last Movie

Dennis Hopper ist nach dem kapitalen Flop dieses Films in Hollywood persona non grata. Er verschwindet in einem Strudel aus allen erdenklichen Substanzen und lässt sich nur für gelegentliche skandalöse Auftritte hochspülen.

Andererseits fallen in diese Dauerkrise auch viele legendäre Kinomomente. Hopper ist unvergesslich in Wim Wenders "Der amerikanische Freund" (1977), er irrlichtert als durchgeknallter Fotograf durch Coppolas Vietnam-Epos "Apocalypse Now" (1979), schafft 1980 mit seiner Regiearbeit "Out Of The Blue" ein unterschätztes Stück Punk-Kino, das den fragwürdigen Begriff "Kultfilm" wirklich verdient.

Die Reiseroute des Dennis Hopper wird immer seltsamer und unberechenbarer, bis sie irgendwann fast zu einem fatalen Ende führt. Und dann, 1986, ist er wieder da, der Typ, vor dem sich Hollywood so lange gefürchtet hat.

Von der Tonspur kommen düstere Drones. "Mommy, I wanna fuck you", keucht Mr. Hopper zwischen den Beinen von Isabella Rossellini herumkriechend. In David Lynchs Geniestreich "Blue Velvet" feiert er als psychotischer Gangster Frank ein phänomenales Comeback. Weitere Rollen, die sich in die Netzhaut einbrennen, folgen: im Teenagedrama "River's Edge" (Das Messer am Ufer), in Sean Penns "The Indian Runner" oder, besonders großartig, in "True Romance" von Tony Scott.

Blue Velvet

Blue Velvet

Dabei sahen wir gebannte Zuseher in "Blue Velvet" und allen anderen späteren Filmen mit Dennis Hopper keinen zugedröhnten Selbstzerstörer mehr, der den schmalen Grat zwischen Fiktion und Realität ignorierte.

Hopper, dem die Ausweglosigkeit seiner Situation bewusst wurde, zog einen Schlussstrich. Und er präsentierte sich nicht nur clean und wieder bei Sinnen. Im Laufe der Neunziger lernten seine Fans auch einen charmanten Bohemien kennen, einen scharfsinnigen Denker und Kunstkenner.

Eine Verwandlung vom Saulus zum Paulus, wie sie die kretinösen Klatschmedien so gerne haben, war das dennoch nie. Denn Hopper genierte sich kein bisschen für seine früheren wahnwitzigen Ausbrüche. Bei Bedarf, und er machte das genüsslich in unzähligen Streifen, ließ er den früheren Maniac raus, führte ihn spazieren vor der Kamera, sardonisch lächelnd.

Ich könnte hier noch ewig schwärmen, unpackbare Filmszenen aufzählen oder von den großartigen Fotokünsten des Mannes schwärmen. Aber es schnürt mir beim Schreiben zunehmend die Luft ab.

Weil ich Dennis Hopper, dieser ewige Grenzgänger, irgendwie für unzerstörbar gehalten habe, weil seine Coolness, um das entwertete Wörtchen nochmals ins Spiel zu bringen, fast schon etwas Zenbuddhistisches und ungemein Souveränes hatte. Im Oktober 2009 wurde dann bekannt, dass er einen erneuten Kampf ausfocht, diesmal nicht gegen Heroin oder innere Dämonen, sondern gegen den Krebs.

Coole Hunde mögen zwar besser altern als alle anderen, aber sie sind auch nicht vor Krankheiten und dem Tod gefeit.

Dennis Hopper ist am 29. Mai im Alter von 74 Jahren verstorben.