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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

13. 3. 2010 - 01:37

Ohne Maulkorb

Eindrücke vom Gipfeltreffen der Independent Game Developer in San Francisco.

Ich hab's ehrlich versucht. Mich hier auf der "Game Developers Conference", der wichtigsten internationalen Spieleentwicklermesse, in alle möglichen Vorträge gesetzt: Zu Abhandlungen über Künstliche Intelligenz, Augmented Reality, Social Games, Antikopierschutzmaßnahmen und Museen, die sich nun auch mit Spielen beschäftigen. Doch wirklich überzeugt hat mich das alles nicht. Ich bin immer wieder bei den Indies hängengeblieben.

Leidenschaft, Schneidigkeit, Mut zum Ungewöhnlichen

In jedem Vortrag von wütenden Frauen, die sich über die peinlich niedrige Rate an Spieleentwicklerinnen auslassen, Rauschebart-Trägern, die in vollster Zufriedenheit eingestehen, keinen Bock auf dröge Parties und Socialising mit Lächel-Imperativ zu haben und schwedischen Teilzeitwahnsinnigen, die Titten, Punkrock und David Lynch-Fotos auf die Wand projizieren, sprüht zu jeder Zeit Leidenschaft und Aufrichtigkeit von der Bühne.

Eine Pixelgrafik, die die Unterschiede von kommerzieller Computerspieleentwicklung und Indie Games aufzeigt. Darunter stehen die Worte "Competition" und "Love".

Robert Glashüttner

Klar ist es auch ein Klischee, dass es dem Indie-Developer bloß um Liebe und persönlichen Ausdruck ginge und "die anderen" Spielemachenden sich primär durch wirtschaftliche Interessen getrieben in die Schlammschlacht um die meiste Aufmerksamkeit werfen würden. Doch warum, wenn nicht in erster Linie zur Selbstverwirklichung, würden Menschen sonst auf eigene Faust Spiele mit hüpfenden Fleischstücken ("Super Meat Boy!"), webenden Spinnen ("Spider - The Secret of Bryce Manor") und autofahrenden Bären ("Enviro-Bear 2000") entwickeln?

Spieleentwickler Edmund McMillen und Derek Yu sowie Art Designer David Hellman.

Robert Glashüttner

Indie-Gipfel. Von links nach rechts: Edmund McMillen (u.a. "Super Meat Boy!"), David Hellman (u.a. Art Direction für "Braid"), Derek Yu (u.a. "Spelunky").

Kein Grund zur Zurückhaltung

Die Games-Branche leidet vor allem unter selbstauferlegten Restriktionen: Überall, wo viel Geld im Spiel ist, regeln penibel ausgearbeitete Verträge Schweigepflichten, Konkurrenzklauseln und Arbeitsstrukturen die Inhalte, über die geredet wird. Nicht so bei den unabhängigen SpieleentwicklerInnen: Da wird munter drauflos philosophiert, geschimpft, ermuntert und kritisiert. Beim Gipfeltreffel der Szene-Stars lernt man sich auf diese Art gegenseitig kennen, entzaubert durch entblößende Ehrlichkeit so manche Idealvorstellung junger Azubis und inspiriert sich wechselseitig mit persönlichen Geschichten.

Videospielentwicklerin und -theoretikerin Anna Anthropy.

Anna Anthropy

Anna Anthropy

Man spricht über den Bezug zur eigenen Arbeit, der Verarbeitung von Feedback, den Umgang mit Zweifel und Kreativitätsblockaden. Aber nicht nur die eigenen Werke und der Selbstbezug sind Thema, sondern auch das Wesen und die Wahrnehmung von Computer- und Videospielen an sich. Besonders markant ist der Forderungskatalog von Künstlerin und Game Designerin Anna Anthropy. Die selbsternannte Pixel-Provokateurin, Dot-Matrix Dominatrix und Art Dyke hinterfragt in ihrer Kurzrede eingefahrene Begriffsdefinitionen und geht auch mit der Bezeichnung "Indie" ins Gericht:

Über das Wesen der Indie-Games-Szene sind auf diesen Seiten erst kürzlich weitere Gedanken veröffentlicht worden.

"i’m uncomfortable with the 'indie' label and the scenesterism it seems to engender. one of the things i hate about mainstream games is that its language and culture are designed to exclude people, and what i like about game creation outside the mainstream is that it can potentially include everyone." [1]

Spielen statt Schimpfen

Wenn Wut und Selbstkritik aus dem Bauch sind, geht es wieder zu den Spielen an sich. Und egal, ob man die Abgrenzungsmechanismen der unabhängigen Entwicklerszene nun mag oder nicht - die ausgestellten Games des diesjährigen "Independent Games Festival" sprechen für sich. Der Detailreichtum und das gezielte, ausgereifte Ausarbeiten von oft kleinen, einfachen Ideen ist erstaunlich.

Etwa bei "Closure", einem Spiel, bei dem Licht und Dunkelheit zu den zentralen Elementen des Game Design werden: Alles, was beleuchtet ist, existiert. Ist es dunkel, gibt es nur Leere. Durch das Herumtragen, Manipulieren und Verfolgen von Lichtquellen knobelt man sich den Weg durch die zweidimensionalen Levels.

Gästebuch, in dem man Feedback für das Computerspiel "Closure" hinterlassen kann.

Robert Glashüttner

Das Gästebuch zu "Closure".

Es sind eindeutig zu viele interessante Menschen, Ideen, Spiele, Vorträge auf dem "Indie Games Summit" und dem dazugehörigen Festival versammelt, um sie in der kurzen verfügbaren Zeit erfassen und verarbeiten zu können - vom gesamten Programm der "Game Developers Conference" ganz zu schweigen.

Ein weiterer Grund, warum man den Indies erhöhte Aufmerksamkeit schenken sollte: Neben ihrem Hang zum ungewöhnlichen und experimentellen Design sind diese Spiele meist auch frei und Plattform übergreifend verfügbar. So bleibt genug Zeit, die restlichen Tage bis zum Frühlingsanbruch mit dem Ausprobieren neuer Spiele zuzubringen.

Mehr zur Game Developers Conference 2010 gibt es auf der ORF Futurezone zu lesen.

Messestand des Independent Games Festival bei der Game Developers Conference 2010 in San Francisco.

Robert Glashüttner

Anspielstationen beim "Independent Games Festival".