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Lukas Tagwerker

Beobachtungen beim Knüpfen des Teppichs, unter den ihr eure Ungereimtheiten kehrt.

13. 3. 2010 - 17:44

Protestbibliothek: Uni brennt - das Buch

318 Seiten (Selbst-)Kritik, Utopie, Reflektion, Analyse, Subversion, Forderungen, Reden, Interviews, Stellungnahmen und Chronologie der Proteste.

Bist du schon einmal Menschen begegnet und wusstest nicht, worüber du mit ihnen reden solltest? So geht es mir ständig. Zum Beispiel sitze ich in der Mensa der Universität Wien und starre auf meinen Teller, um den langweiligen Gesprächen über den Unialltag auszuweichen. Du kannst mir fehlende Neugierde oder auch Arroganz vorwerfen, aber mal ehrlich, worüber soll ich noch reden?

Vielleicht über meine belegten Kurse, die mich einerseits überhaupt nicht interessieren, jedoch in der Voraussetzungskette festgeschrieben sind? [...] Darüber, dass ich dir gerne einen Platz neben mir auf den Stufen freihalte?

Den Ennui der studentischen Lebenswelt in Zeiten von Effizienz- und Konkurrenzideologie bringt Rahel Sophie Süß, Studentin der Politikwissenschaften und Mitherausgeberin des Sammelbands UNI BRENNT hier auf den Punkt.

Die Textsammlung bietet sowohl Neueinsteigenden in den fahrenden Zug der Protestbewegung Greifbares, bereits gereisten Passagieren einen guten Überblick über die aufständische Bildungslandschaft, sowie zügigen ProtestwissenschaftlerInnen griffiges, kompaktes Heizmaterial gegen allfällige intellektuelle Erstarrungserscheinungen.

So findet sich hier z.B. der Text Bildung - Kampfbegriff oder Pathosformel? des Bildungsforschers Erich Ribolits, der auch in dem Reader Jenseits von Humboldt enthalten ist. (hier als PDF)

Er analysiert die neoliberalen Grundsatzziele der Politik auf EU-Ebene und schreibt:

Man erhofft sich, auf diese Art die Effektivität der Bildungseinrichtungen in ihrer Funktion als Humankapitalveredelungsbetriebe zu steigern. Dazu gehört, dass Schüler_innen und Student_innen in einen permanenten Kampf jede_r gegen jede_n gebracht sowie ihre Leistungen permanent getestet und verglichen werden. Der ökonomische Krieg erfordert die totale Mobilmachung im Sinne der Konkurrenzideologie, alle Reserven müssen aktiviert werden.

Bologna-Bashing auf hohem Niveau ist hier genauso zu finden wie Stellungnahmen aus Universitätsrektoraten oder dem Wissenschaftsministerium. Johannes Hahn ist der Einladung des HerausgeberInnen-Teams, seine Gedanken zu Papier zu bringen, nicht nachgekommen. Dafür konnte der Text der Rede, die Marlene Streeruwitz im Audimax gehalten hat, abgedruckt werden (hier die Vollversion).

buchcover des Buches "Uni brennt - grundsätzliches, kritisches, athmosphärisches"

verlag turia+kant

Das, was an Gesellschaftlichkeit von der Effizienzideologie der alles durchdringenden Verwirtschaftlichung in der Folge des endgültigen Endes des kalten Kriegs übrig gelassen wurde, wurde das, weil es dieser Effizienz dienlich ist.

Dieser Rest an Gesellschaftlichkeit stellt mit Mühe noch die Sprachen zur Verfügung, in denen Effizienz gesprochen werden kann. Die in den Geist eingewanderte Effizienz.
(Marlene Streeruwitz: Revolution in Zeiten der Effizienideologie)

So wird von künstlerischer, wissenschaftlicher und journalistischer Seite die vielfache Problemlage benannt, begreifbar gemacht, angeprangert. Der Beitrag von Kollege Blumenau (hier) trägt den Titel "Die Angst vorm Handeln ist der schlimmste aller Fehler."

Der Soziologe Paul Kellermann warnt vor technischen Katastrophen wie Bhopal oder Tschernobyl und einem normativen Menschenbild, das mit einem instrumentellem Bildungsbegriff derartige Katastrophen zu verschulden hätte. Dem stellt er emphatisch entgegen:

Sollen Menschen zu menschlich handelnden Personen heranwachsen, sich entwickeln und entfalten, muss verstanden werden, dass Menschen Subjekte sind, also an Bildungsprozessen intransitiv und interaktiv beteiligt sein müssen. Das gilt allgemein, aber insbesondere für wissenschaftliche Bildung, sofern sich im Studium neben professionellem Wissen und Können auch kritisches Denken in gesellschaftlichen und natürlichen Zusammenhängen, Verantwortungsbewusstsein und der Situation angemessenes Handeln entwickeln sollen.

Ein Schild hängt an einer Tür: Schlafen gehen! Wir brauchen euch alle noch länger!

Martin Juen

Eine Fotostrecke von Martin Juen dokumentiert die Unibesetzungen und Proteste im Buch.

Autorinnen und Autoren:

Academy of Refusal (anonymes Kollektiv), Jakob Arnim-Ellissen, Martin Blumenau, Lina Dokuzović, Friedrich Faulhammer, F_L_I_T_Kollektiv (u.a. Elena Barta, Kathrin Glösel, Iris Hajicsek, Angela Libal, Magdalena Schrott) Christian Felber, Christian Fleck, Eduard Freudmann, Stefanie Grutsch, Stefan Heissenberger, Jana Herwig, Leo Hiesberger, Alex Illic (und freunde krisu) Martin Juen, Paul Kellermann, Nathalie Koger, Lukas Kohl, Martin Konecny, Max Kossatz, Hanna Lichtenberger, Konrad Paul Liessmann, Barbara Maier, Eva Maltschnig, Viola Mark, Sigrid Maurer, Veronika Merklein, Robert Misik, Thomas Moldaschl, Elisabeth Nemeth, Herta Nöbauer, Pier Paolo Pasqualoni, Markus Penz, Doron Rabinovici, Erich Ribolits, Michael Scheffenacker, Thomas Schmidinger, Karin Schönpflug, Susanne Schramm, Peter Sniesko, Squatting Teachers, Marlene Streeruwitz, Rahel Sophia Süss, Stefan Tacha, Armin Thurnher, Karlheinz Töchterle, Julian Zwingel.

Die Universität als prekärer Arbeitsplatz wird von Lehrenden wie den squatting teachers thematisiert und wie hier bei Pier Paolo Pasqualoni selbst zum Gegenstand der Erforschung:

Einerseits wird die Rechtsposition der Universitätsangehörigen im Rahmen der Universitätsorganisation und des Personalrechts deutlich geschwächt, andererseits wird ihre Rolle in der Akquisition von Projekten hervorgehoben, ihre Rechte in diesem Bereich werden gestärkt. Es reicht nicht aus, Wissen zu hinterfragen, hervorzubringen und zu vermitteln; dieses soll vielmehr zunehmend auch "verdrittmittelt" werden.

Dem entspricht die Veränderung des Anforderungsprofils für Wissenschafter_innen: in deutlichem Kontrast zum Humboldt'schen Ideal des Universalgelehrten und zum typischen Lehrstuhlinhaber, der tief in disziplinären Statusgruppen mit ähnlichen Interessen verankert war, sehen sich Profesor_innen heute zunehmend mit der Anforderung konfrontiert, von "anachronistischen" Orientierungen abzurücken und sich dem Ideal des modernen Projektmanagers anzunähern.
Im beständigen Bemühen lukrative und prestigeträchtige Projekte "an Land zu ziehen", kommen gleichermaßen Allianzen und Reputation zum Einsatz. Die Handlungen dieses neuen akademischen Subjekts, das auf den höheren Leitungsebenen nach wie vor männlich konnotiert ist, gewinnen vielfach - darin dem Universitätsmanagement erstaunlich verwandt - imperialistischen Charakter.

Die Geschichte und grundsätzliche Kritik des Frauen_Lesben_Inter_Trans_Raums, Berichte aus der Protest-Praxis, aus den basisdemokratischen Erlebnissen, den Arbeitsgruppen Vokü, Presse, Abendgestaltung, sowie umfangreiche Forderungskataloge geben Einblick ins Protestgeschehen.

Und mit einem Ausblick auf Kommendes befasst sich die Kritische und Solidarische Universität (kurz KriSU):

Eine Uni ohne das Ziel der Verwertung, an der jede und jeder teilnehmen kann, wie sie ist und wie er denkt; studieren aus der Motivation der eigenen Neugier heraus; selbstbestimmtes Lernen ohne Stress; Lesen, Reden, Zuhören und ein beständiges Suchen nach Antworten auf Fragen, die das Leben von sich aus stellt.

In dieser Art von Universität sind Hierarchien nichts als Barrikaden, deshalb werden sie eingerissen. Die beständigen Diskussionen, die im Audimax geführt werden, machen diesen Raum lebendig, sodass er wie ein Brutkasten für weiterführende Projekte wirkt. Es ist diese Atmosphäre, worin die Idee einer neuen, emanzipativen Uni an vielen Stellen zugleich zu keimen beginnt.

Stefan Heissenberger und Viola Mark, zwei der fünf HerausgeberInnen des Buchs "Uni brennt"

Katharina Violeta Dressel

Zwei der fünf HerausgeberInnen mit Buch: Stefan Heissenberger und Viola Mark - Foto by Katharina Violeta Dressel

UNI BRENNT. Grundsätzliches - Kritisches - Athmosphärisches, 318 Seiten, ist bei Turia+Kant erschienen und wird am Donnerstag, 18. März 2010, mit einer Diskussion im Depot in Wien präsentiert.