Erstellt am: 14. 3. 2010 - 14:45 Uhr
Die Wünschelrute des Kinos
DPA
Dominik Graf, geboren am 6. September 1952 in eine Münchner Schauspielerfamilie, studiert zuerst anderes Zeug, kommt aber schließlich doch an die Münchner Filmhochschule. Später dreht er fürs Fernsehen, feiert 1987 im Kino mit seinem Krimi "Die Katze" (mit Götz George und Gudrun Landgrebe) einen fetten Erfolg, stürzt 1994 mit "Die Sieger" auf den Boden der Tatsachen zurück: ein Flop! Danach dreht Graf schon auch noch fürs Kino (zum Beispiel "Der rote Kakadu"), aber viel lieber fürs Fernsehen, weil er da freier sein und vor allem das Genre bedienen kann, das er über alles liebt: den Krimi.
Regisseure, die über Kino schreiben, sind aus der Mode gekommen: wohl vor allem, da man damit unweigerlich etwas über sein eigenes Kunstverständnis verrät. Früher war das noch ganz anders: die Nouvelle Vague ist ohne das französische Filmmagazin Cahiers du cinéma schwer vorstellbar. Truffaut und Godard schreiben dort in den Fünfziger Jahren über die italienischen Neorealisten und amerikanisches Kommerzkino; ihre Artikel belegen die Cinephilie einer ganzen Regisseursgeneration. Auch viele Filmemacher des Jungen Deutschen Kinos, fest geschrieben und inauguriert mit dem Oberhausener Manifest im Jahr 1968, setzen sich in Texten mit ihren eigenen und anderen Filmgeschichten auseinander.
Das Ende der Geschichten
Heutzutage ist der Münchner Dominik Graf einer der wenigen aktiven Filmemacher, die regelmäßig über das Kino schreiben. Seine sehr persönlichen und intelligenten Texte erscheinen in der FAZ und diversen Magazinen, jetzt liegen viele von ihnen in dem Sammelband Schläft ein Lied in allen Dingen vor.
Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.
Wünschelrute nennt Joseph Freiherr von Eichendorff sein Gedicht, das mit "Schläft ein Lied in allen Dingen" beginnt. Die Poesie ist überall, oft gerade dort, wo man sie am wenigsten vermutet. Dominik Graf liebt das Kino in all seinen Ausprägungen: der Regisseur von Filmen wie Die Katze oder Die Sieger schreibt über italienische Thriller und Steven Spielberg, über französische Filmmusik und Rainer Werner Fassbinder. Dessen "Lili Marleen" ist Thema in einem von Grafs besten Texten, in dem er über den Umgang des deutschen Kinos mit der Geschichte schreibt.
Constantin
Wir müssten jetzt nach diesem peinlichen Niedergang des historischen Kinos eigentlich die eigene Vergangenheit erst mal wieder neu alphabetisieren lernen. Neu entschlüsseln. Und eine Montage wie die, die das Lied "Lili Marleen" mit den sterbenden Soldaten an der Front gegen schneidet – die würde heute wohl geradezu verboten. Das "Ende der Geschichte", die dümmliche Huntington-These von 89 – der deutsche Film hat sie jedenfalls in all seiner Event-Blödheit ernst genommen. (Dominik Graf, Schläft ein Lied in allen Dingen)
Grimme-Preis-Rekordhalter: Schon acht mal wurde Regisseur Dominik Graf ausgezeichnet, zuletzt am 10. März 2010
Graf nimmt sich kein Blatt vor den Mund, er liebt und hasst bedingungslos. Aber niemals ist er rein emotional, immer drückt sich auch sein Intellekt durch. Beim Lesen von "Schläft ein Lied in allen Dingen" rückt man auch dem Künstler Graf näher: als Regisseur, der sich nicht für das Kunstgewerbe, sondern eher für den Krimi und den Thriller interessiert, ist er schnell aus den Fördertöpfen geflogen. Mittlerweile arbeitet er, wie viele gute Genre-Regisseure, nur mehr fürs Fernsehen.
Die geile Suppe des Kinos
Alexander Verlag Berlin
Schläft ein Lied in allen Dingen ist eine unbedingte Empfehlung und beim Alexander Verlag Berlin erschienen.
Vielleicht schlägt sein Herz auch deshalb so für alle Randständigen und Vergessenen des Kinos. Über den deutschen Exploitation-Regisseur Wolfgang Büld (Manta, Manta oder auch Twisted Sisters) schreibt er:
Wolfgang Büld
Während unser offizielles deutsches Kino momentan dazu übergeht, die freudlose Suppe eines neuen Formalismus zu löffeln, sieht man hier geradezu dankbar, dass die menschlich wirklich überraschenden und direkteren Momente wenigstens noch im Genrekino weiterhin entstehen dürfen. (Dominik Graf, Schläft ein Lied in allen Dingen)
"Schläft ein Lied in allen Dingen" ist ein hervorragendes Kino-Buch: ein kursorischer Abriss der Weltfilmgeschichte, pointiert formuliert, intelligent und kurzweilig. Man soll sich durch diese Schatzkiste staunen und wühlen. Gleichzeitig zeichnen die gesammelten Texte aber auch ein biografisches Bild des Regisseurs Graf: er ist offen, verrät seine Leidenschaften und Abhängigkeiten. Leben und Kino verschmelzen in diesem Ausnahmebuch.
Man möchte täglich eine Kerze dafür aufstellen, dass die herrlich schmutzigen Phantasien all dieser Filme – bitte, bitte – vor jedwedem Kanongeschwafel der Filmgeschichtsverwalter geschützt bleiben mögen.
Amen.