Erstellt am: 11. 3. 2010 - 14:55 Uhr
Ihr kriegt mich nicht klein!
Sie wollte schon als Kind Verkäuferin werden, schreibt Ulrike Schramm-de Robertis. Der Traumberuf sei das gewesen. So weit, so gut. Dass sich der Traum Jahrzehnte später in das Gegenteil wandelt, hätte sie nie geahnt. Dass sie sich einem Großdiscounter entgegenstellt und ihre Rechte fordert, wohl auch nicht.
Aber der Reihe nach.
Seit 2001 arbeitet Ulrike Schramm-de Robertis bei dem Discounter Lidl. Zuvor war sie u. a. bei Kik und Plus. Bei diesen Firmen hat sie schon allerhand erlebt, aber alles gar nichts im Vergleich zu Lidl.
Absichtlich wurde zu wenig Personal eingestellt – und selbst das Personal wurde ständig unter Druck gesetzt: Unbezahlte Überstunden, am Sonntag das Geschäft putzen oder Mobbing standen an der Tagesordnung. Am Schlimmsten aber waren für Ulrike Schramm-de Robertis der Umgang der autoritären Vorgesetzten mit den MitarbeiterInnen. "Wenn man nur gedemütigt wird, dafür, dass man unbezahlte Überstunden macht, dann möchte man auch gern mal gelobt werden oder zumindest einen ganz normalen Umgang mit dem Vorgesetzten erleben, ohne immer gleich psychisch fertig gemacht zu werden."
Der Besitzer von Lidl, Dieter Schwarz, galt im Oktober 2009 noch als drittreichster Deutscher.
Dieser Umgang lief bei Lidl nach System, erzählt Ulrike Schramm-de Robertis. Enormen Druck gab es von ganz oben und der wurde systematisch nach unten verstärkt. Kaum jemand hielt die Arbeitsverhältnisse lange aus. Immer wieder hat sie neue Vorgesetzte erhalten, die auch immer wieder den Standardsatz formulierten: "Beweisen Sie sich doch erst einmal."
Beweisen heißt unbezahlte Überstunden machen, heißt, auch im Urlaub jederzeit in den Laden zu kommen, heißt, sich jede verbale Entgleisung der Vorgesetzten gefallen lassen. Aus Angst vor einem Jobverlust haben die MitarbeiterInnen auch all das gemacht. Zusätzlich gab es Kündigung auf Verdacht. D.h., wenn jemand beispielsweise des Ladendiebstahls verdächtigt worden ist, konnte die Person jederzeit gekündigt werden. Selbst wenn der Ladendiebstahl nie bewiesen worden ist. Der Verdacht war ausreichend und verdächtigt wurde, wer etwas an diesen Vorgehensweisen in Frage stellt.
kiwi verlag
Das alles erinnert teilweise an die Undercover-Reportagen von Günter Wallraff in "ganz unten" - oder noch mehr an Unser täglich Brötchen, als Wallraff 2008 undercover für Lidl gearbeitet hat - als Bäcker in einer Brötchenzulieferfabrik. Sie habe Günter Wallraff bei einer Fernsehdiskussion kennengelernt, erzählt Ulrike Schramm-de Robertis, er habe ihr geraten, das Buch zu schreiben - als Bewältigung.
Ein großer Unterschied zu Wallraff ist allerdings - Wallraff wusste, dass er diesen Job nur für eine begrenzte Zeit machen muss. Und Wallraff musste auch keine Angst vor einem möglichen Arbeitsplatzverlust haben.
Das war bei Frau Schramm-de Robertis ganz anders. Die Vorgesetzten haben ihr klar gesagt, was sie von einem Betriebsrat halten: "Sie meinen vielleicht, dass die Wahl eines Betriebsrats nichts Schlimmes ist. Tatsächlich ist das aber eine Misstrauensbekundung unserer Firma gegenüber."
In den ca. 3.500 Lidl-Filialen in Deutschland gibt es 6 Betriebsräte, erzählt Ulrike Schramm-de Robertis.
Aber Ulrike Schramm-de Robertis war mutig und standhaft.
Die Angebote der Firma, es wurden ihr ein besserer Job oder eine Versetzung versprochen, wenn Sie bloß keinen Betriebsrat gründet, hat sie abgelehnt.
Sie wollte weiter in ihrer Filiale mit den gleichen MitarbeiterInnen arbeiten - aber eben zu anderen Konditionen. Also hat sie mit ihren Kolleginnen einen Betriebsrat gegründet.
Ulrike Schramm-de Robertis diskutiert u.a. mit Holm Friebe am Donnerstag, 11. März 2010, im Rahmen der "Quadriga" über die Arbeit und ihren Preis. Beginn der öffentlichen Buchpräsentationsreihe im Parlament ist um 18:30 Uhr. Eintritt ist frei.
Seither sind die Mitarbeiterinnen motivierter, haben ein stärkeres Selbstbewusstsein, ein besseres Arbeitsklima. Und einige Mitarbeiterinnen hätten aus einer geringfügigen Beschäftigung einen richtigen Vertrag erhalten.
Ein mutiger Schritt, den Ulrike Schramm-de Robertis wieder machen würde: "Man sollte am Arbeitsplatz versuchen,die Situation zu verändern. Und nicht hergehen und sich einen neuen Arbeitgeber suchen. Ändert es an eurem Arbeitsplatz und lauft nicht weg!"