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Claus Pirschner

Politik im weitesten Sinne, Queer/Gender/Diversity, Sport und Sonstiges.

10. 3. 2010 - 18:40

"Da steht nirgends, dass wir Studiengebühren einführen sollen, um Bologna zu verwirklichen"

Ligia Deca, die Präsidentin der European Students' Union, im Interview

Ligia Deca, du bist die Vorsitzende der Europäischen StudentInnen-Union. Wie siehst du den Bologna-Prozess, was hältst du von den gegenwärtigen Entwicklungen?

Ligia Deca

ESU

Ligia Deca

Der Bologna-Prozess steht an einem Wendepunkt. Am Anfang stand eine bedeutende Veränderung für die europäische Hochschulausbildung, Bologna steht für die Schaffung des europäischen Hochschulraums. Das ist gewachsen und umfasst viele Bereiche, erfreulicherweile auch die soziale Dimension, also die Frage des Zugangs zu Hochschulausbildung. Unglücklicherweise steht es auch für Probleme bei der Finanzierung und Transparenz. Aber alles in allem bedeutet Bologna eine Chance für StudentInnen in Europa ihr aktuelles Bildungssystem zu hinterfragen, um die Orientierung an den Studierenden zu erhöhen. Das ist für mich das Entscheidende: Bologna kann den Studierenden in ganz Europa helfen, ihre Ausbildung ihren Bedürfnissen anzupassen, und nicht unbedingt den Bedürfnissen eines bestimmten Sektors, einer Regierung oder des Arbeitsmarktes.

Viele verschiedene Länder wie Russland, Norwegen, Griechenland, Bulgarien oder Rumänien sind am Bologna-Prozess beteiligt. Wo siehst du Unterschiede in der Umsetzung, wo funktioniert das am besten?

Einige Länder hatten einen Vorsprung, die Strukturen ihres Bildungssystems entsprachen teilweise schon dem, was Bologna fördern sollte, andere mussten bei Grundsätzlicherem anfangen.Sie sind dem Bologna-Prozess zu verschiedenen Zeitpunkten beigetreten, also war die Zeit, die sie zur Umsetzung hatten, sehr unterschiedlich lang. Gemeinsam ist fast allen Ländern, dass der sozialen Dimension zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird.

Was heißt das genau?

Bologna-Prozess

EU

Soziale Dimension im Kontext von Bologna bedeutet im Grunde, wir wollen, dass die Zusammensetzung der Studierenden eines Landes die Vielfalt der gesamten Bevölkerung widerspiegelt. Wenn 50 Prozent der SchulabgängerInnen aus ländlichen Gebieten kommen, aber nur 5 oder 10 Prozent der Studierenden, dann stimmt etwas nicht. Das sind riesige Diskrepanzen, die ausgeglichen werden müssen, wenn wir gleiche Chancen für jeden haben wollen. Aus unserer Sicht heißt das, dass jeder Studierende einen spezifischen Background hat und dass das beim Zugangsprozedere berücksichtigt werden muss. Die soziale Dimension bedeutet auch die Notwendigkeit von vielfältiger Unterstützung, auch finanzieller, ein umfassendes Bekenntnis zu Bildung als einem Recht und weniger als einem Privileg.

Wenn die soziale Dimension vernachlässigt wurde, worauf wurde also mehr Wert gelegt, was wurde tatsächlich umgesetzt?

Ich denke, die einzelnen Länder haben vor allem die Struktur des Studiums geändert, besonders mit der Dreiteilung in Bachelor, Master und PhD, das wurde so schnell wie möglich versucht umzusetzen. Auch das ECTS-System und das Diploma Supplement, der Anhang zum Diplom, der etwas davon vermitteln soll, was die Ergebnisse und Leistungen in den einzelnen Fächern waren und wofür dein Diplom steht.

Ist es also heute in Europa leichter, die Universität zu wechseln, gibt es mehr Mobilität aufgrund von mehr Vergleichbarkeit?

Leider nicht, weil diese formellen Veränderungen nicht sorgfältig genug durchgeführt wurden. Zum Beispiel: Das ECTS-System hätte das studentische Arbeitspensum und die Lernergebnisse reflektieren sollen. Viele Institutionen haben das in aller Eile eingeführt und haben einfach den Fächern, die sie für die wichtigsten hielten, die meisten Punkte zugeordnet. Wenn Studierende von einer Universität zu einer anderen wollen, ist das nicht so einfach, die Universitäten vertrauen sich untereinander nicht, die Anerkennung funktioniert nicht so einfach wie sie sollte. In einzelnen Fällen funktioniert es besser, aber es ist recht klar geworden, dass die formellen Strukturen nicht unbedingt die Mobilität erhöhen halfen, obwohl sich da alle einig zu sein scheinen, dass wir das wollen.

Wie sieht die Situation in Rumänien aus, wo du herkommst?

Rumänien hat sich den Leitlinien von Bologna angenähert, mehr oder weniger wie jedes andere Land, es wurde versucht, das so gut wie möglich umzusetzen, aber wie alle anderen Länder, muss auch Rumänien erneut prüfen, was die Lerneffekte sind, und auch das ECTS-System, wie das von den Intitutionen und den Studierenden verwendet wird. Es gibt deshalb ein Misstrauen, was diese Instrumente betrifft, weil sie nicht richtig erklärt und diskutiert wurden. Deshalb müssen nicht nur die Dinge, bei denen wir nachhinken wie bei der sozialen Dimension des Zugangs oder der Mobilität, nochmal überprüft und langfristig verbessert werden, sondern auch jene, von denen wir glauben, sie bereits erreicht oder umgesetzt zu haben. Sonst entsteht die Art von Unzufriedenheit, die wir zum Beispiel in den deutschsprachigen Ländern sehen können.

Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Studierende aus Osteuropa dem Bologna-Prozess in ihren Ländern wohlwollender gegenüberstehen als Studierende aus Westeuropa. Stimmt das?

Ich würde nicht sagen, dass es so eine regionale Trennlinie gibt. Es hängt davon ab, wie die Regierungen die Umsetzung von Bologna vermittelt haben, ob es klar war, worum es da geht, woher das kommt, was die Ziele sind. In manchen Ländern wurde das vermischt mit der eigenen politischen Agenda und gesagt, wir müssen das tun wegen Bologna. Zum Beispiel Länder, in denen Studiengebühren zugleich mit Bologna-Reformen eingeführt wurden, da wurde manchmal gesagt, wir tun das, weil wir damit Bologna folgen. Das stimmt nicht, da steht nirgends, dass wir Studiengebühren einführen sollen, um die Ziele von Bologna zu verwirklichen. Mit solchen Aussagen haben Regierungen Studierende und Lehrende veranlasst, sich von dem Prozess abzuwenden oder ihn überhaubt als etwas Negatives zu betrachten. Sobald man versucht zu erklären, worum es bei Bologna überhaupt geht und wie das System aussehen soll nach der Umsetzung, ist die Unterstützung da.

In Österreich gab es Proteste gegen die Situation an den Universitäten, auch gegen Bologna, die Protestbewegung sagt "Bologna brennt". Wie schätzt du die österreichische Hochschulpolitik ein?

Ich denke, die österreichischen Studierenden haben einen kritischen Punkt erreicht, sie haben einige schlechte Entwicklungen im Hochschulsystem erlebt und sie assoziieren das auch mit dem Bologna-Prozess. Einzelne Leitlinien von Bologna, so wie sie die österreichische Regierung implementiert hat, waren nicht zugunsten der Studierenden, sie sollten schneller sein, besser "employable", einsetzbar am Arbeitsmarkt. Man hat auf ein paar Aspekte fokussiert, dabei haben wir immer davor gewarnt, nur einzelne Punkte herauszupicken und andere zu vernachlässigen, dass einem das dann um die Ohren fliegen wird. Bologna ist nicht dafür gemacht, selektiv umgesetzt zu werden.

Diese Woche findet in Wien und Budapest die Konferenz zu 10 Jahre Bologna statt. Wird es da Entscheidungen geben, konkrete Zukunftspläne oder ist das mehr eine Show?

Wenn in der Abschlussdeklaration der Konferenz steht, dass nicht alles in den letzten zehn Jahren richtig gemacht wurde, und dass man bereit ist die Fehler zu korrigieren, wenn man die Rolle der Studierenden und Lehrenden in der Umsetzung des Prozesses und die Proteste anerkennt, dann ist es ein großer Schritt vorwärts, dann ist das eine Ehrlichkeit der BildungsministerInnen und wir können auf weitere zehn Jahre mit mehr als leeren Versprechungen hoffen.

FM4 Schwerpunkt

Bologna-Tage auf FM4 – FM4 zu 10 Jahre europäischer Hochschulraum
Vor einer Dekade wurde der Bologna-Prozess eingeläutet, um einen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Zum Jubiläum treffen WissenschaftsministerInnen zu einer Konferenz in Budapest und Wien aufeinander, VertreterInnen der Studierenden halten eine Tagung in Wien ab und unibrennt-AktivistInnen rufen zum Gegengipfel. Auch auf FM4 werden unterschiedliche Aspekte des Bologna-Prozess beleuchtet, jeweils in Reality Check und Connected, von Mittwoch, 10.3. bis Freitag, 12.3.2010. Hier gibt es das FM4 Programm im Detail.

Zum Anhören: Bologna - in Norwegen eine Studierendenreform

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Während es in einigen europäischen Ländern mit der Umsetzung des Bologna Prozesses nicht so gut klappt, scheint in Norwegen alles glatt zu laufen, auch aus der Sicht der Studierenden. Die Änderungen werden sogar als "Reform der StudentInnen" bezeichnet. (Claus Pirschner)