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Alex Wagner

Zwischen Pflicht und Kür

10. 3. 2010 - 00:52

Jeder wusste es

Nach den Missbrauchsvorwürfen in Deutschland beenden nun österreichische Opfer ihr Schweigen und berichten, wie sie in ihrer Schulzeit Gewalt und sexuelle Übergriffe erlebt haben. Jugendanwältin Monika Pinterits ist dazu live in Connected.

Es gibt eine Vielzahl von Fällen sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche und auch an Internaten oder Schulen. Jahrelang hat die Kirche versucht, diese Fälle zu verschweigen, wie zum Beispiel in Irland, wo im November aufgedeckt wurde, dass Priester der Erzdiözese Dublin mehr als 300 Kinder sexuell missbraucht haben. Die Übergriffe passierten zwischen 1975 und 2004 - frühere Erzbischöfe haben die pädophilen Priester systematisch geschützt.

Seit im Jänner Lehrer am Berliner Canisius-Kolleg bekannt gegeben haben, dass an ihrem katholischen Elite-Gymnasium in den 70er und 80er Jahren ebenfalls Kinder missbraucht wurden, werden immer mehr Fälle von sexuellen Übergriffen auf Minderjährige in Deutschland bekannt, so in der Odenwaldschule in Hessen, im Kloster Ettal und bei den Regensburger Domspatzen. Immer häufiger wagen Opfer darüber zu sprechen, was ihnen angetan wurde, wie sie von Lehrern, Erziehern oder Pfarrern gequält wurden.

Kollektive Katharsis und das Ende der Schweigespirale

Der Drang zur Wahrheit und der Mut zur Aussprache hat nun auch Österreich erreicht. Erst vor wenigen Monaten wurde Bruno Becker Abt des Klosters St. Peter in Salzburg. Gestern, am Dienstag, ist er zurückgetreten. Ein 53-jähriger Mann hat im Ö1 Morgenjournal erzählt, dass er von Becker in den 60er Jahren missbraucht wurde, als sie einen Ausflug mit dem Fahrrad machten. Außerdem hätten ihn zwei weitere Benediktinermönche des selben Klosters jahrelang missbraucht. Als der Mann Ende 2009 Becker mit seinen Vorwürfen konfrontiert hat, hat ihm der Abt 5000 Euro angeboten, wenn dieser keine weiteren Schritte unternimmt. Das Opfer hat das Geld abgelehnt. Bruno Becker, der als Kind selbst missbraucht wurde, hat seine Tat öffentlich gestanden.

Kloster St. Peter

APA / MIKE VOGL/NEUMAYR

Kloster St. Peter in Salzburg

Auch in Vorarlberg werden Missbrauchsfälle in der Klosterschule Mehrerau bekannt. In den 80er Jahren soll ein Schüler von einem Pater sexuell missbraucht worden sein. Als der Bub seinen Eltern von dem Vorfall erzählt, beschließen diese, den Pater nicht anzuzeigen, wenn er die Schule in Bregenz verlässt. Der Pater machte eine Therapie und wurde nach Tirol versetzt, wo er bis heute als Priester arbeitet.

Diese Beispiele werden sicher nicht die einzigen Vorfälle bleiben. Während in Deutschland diskutiert wird, ob man Pädophilie-Tests für Lehrkräfte einführen soll, die Politik an einem runden Tisch Lösungswege diskutieren will und selbst die Kirche eine lückenlose Aufklärung fordert, hat die Aufarbeitung sexueller Übergriffe an Schulen in Österreich gerade erst begonnen.

Missbrauch verjährt nie?

Rechtliche Folgen hat Bruno Becker nicht zu befürchten. 40 Jahre sind seit dem Missbrauch vergangen, seine Tat ist längst verjährt. Bei sexuellem Missbrauch entscheidet die Schwere des Delikts, wie lange ein Täter belangt werden kann. Die Verjährungsfrist dauert zwischen fünf und 20 Jahre. Gezählt wird ab dem 28. Lebensjahr des Opfers. Hätte Beckers Opfer bereits vor fünf Jahren sein Schweigen gebrochen, hätte er Bruno Becker verklagen können. So entscheidet allein die katholische Kirche, wie es mit Bruno Becker weitergeht.

Auf Grund der psychischen Folgen können minderjährige Opfer oftmals nicht über den Missbrauch sprechen. Zudem stehen die SchülerInnen in einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis zum Lehrer. Nur wenige haben den Mut sich öffentlich zu äußern.

Monika Pinterits live zu Gast in Connected

Jugendanwältin Monika Pinterits

APA / ROBERT NEWALD

Monika Pinterits ist heute zu Gast in FM4 Connected. Sie arbeitet seit 1999 als Kinder- und Jugendanwältin in Wien. Sie ist Anlaufstelle, vertritt die Interessen und Rechte von Jugendlichen und weiß, wie schwierig es ist, sexuelle Gewalt an Schulen aufzudecken.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien ist seit November 2006 im Arbeitskreis "Sexuelle Belästigungen/Übergriffe durch Lehrer" vertreten. Dieser Arbeitskreis entwirft unter anderem Fortbildungsprogramme und Schulungen für LehrerInnen, SchülerInnen und DirektorInnen, um in punkto sexueller Missbrauch an Schulen zu sensibilisieren.

Die meisten Missbräuche liegen Jahrzehnte zurück. Doch wie sieht es heute in österreichischen Schulen und Internaten aus? Und welche Erfahrungen habt ihr an eurer Schule zum Thema Gewalt und sexuellem Missbrauch gemacht?

Die Nummer ins Connected-Studio: 0800-226996