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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

9. 3. 2010 - 15:27

Oh, L'Amour! (Die Maschine läuft zu gut)

Die Live-Inkarnation des englischen Synthie-Duos La Roux demonstriert im johlenden Gasometer die perfektionierte Pop-Professionalität: Höchst erbaulich und sehr super, wenig erschütternd, ohne Haken und gleich wieder vorbei.

Im Foyer erhält man von einer wohlmeinend aus den Lautsprechern trötenden Stimme die Auskunft, dass das Konzert dann jetzt in zehn Minuten beginnen wird. Bei Pop-Konzerten einer gewisssen Größenordnung und der Erwartung eines möglicherweise etwas gesetzteren Publikums mag das durchaus nicht unüblich sein, oder aber vielleicht im Gasometer selbst bei Auftritten der Bloodhound Gang schlicht eine nicht unangenehme Hausgebräuchlichkeit. Bis einem derlei Service aber in der Wiener Arena, wo das Konzert von La Roux ursprünglich angesetzt war, widerfährt, dürfte die Popgeschichte noch so einige Paradigmenwechsel erleben müssen.

Das Prickeln, das schon der rein athmosphärische Clash zwischen La Roux und Arena, zwischen exaltiertem Synthie-Glam und Authentizitätsdogma im Ziegelbau, versprochen hätte, muss man aber auch hier nicht missen. Trotz burgtheaterhafter Saaldurchsage versprüht das Gasometer nach wie vor die ranzige Aura von Vorstadtdisco "Queen Anne" und einer im Vorbeigehen hingestellten Heimwerkermesse. Das Publikum lässt sich davon wenig betrüben. Selten hat man bei einem Konzert Menschen antreffen können, die auf höflichere Weise aufgekratzt gewesen wären, als beim gestrigen Auftritt von La Roux. Euphorisch, aber wohl erzogen, optisch zwischen "Irgendwie schon noch Indie" und Mainstream mit Mut zum optionalen Abenteuer angesiedelt und den Zuckerkick im ganzen Körper. Kindliche Vorfreude, teenagerhafte Gefühlsschwankungen, gerötete Backen, nervöses Herumgetrippel, schnell noch mal schauen ob in den letzten fünf Sekunden noch eine SMS reingekommen ist.

fm4 ondrusova

Kein Chance, hinter der Schattenwand anonym zu bleiben: La Roux

Das Londoner Duo La Roux hat im vergangen Jahr mit seinem ebenfalls "La Roux" betitelten Debüt-Album ein nahezu perfektes Pop-Album aufgenommen. Elly Jackson, die ihre Haartolle mittlerweile in herrliche Dimension gezwirbelt hat, und der in selbst gewählter Anonymität stehende Ben Langmaid greifen dabei auf klassischen 80er-Synthie-Pop der Schule Yazoo, Eurythmics, Erasure oder Bronski Beat zurück, wobei sich bei La Roux dieser Rückgriff eben nicht in einer hohlen Geste des Zitats oder öde augenzwinkender Persiflage erschöpft wie bei so mancher Retro-Angelegenheit. Obwohl die beiden Menschen von La Roux noch so jung sind, dass der Soundtrack ihrer Teenager-Jahre eher von Zoot Woman stammen dürfte als von The Human League, hat man bei La Roux nicht den Eindruck, dass hier versucht wird, eine Wiederentdeckung des "schlechten" Geschmackes in die geschmackvollste Stilsicherheit umzucodieren und daraus einen coolen Distinktionsgewinn einzufahren. Bei La Roux kommt die Musik wie das selbstverständlichste Handwerkszeug daher, nicht wie ein Verweis. Ein Revival, das länger dauert als das Jahrzehnt selbst: La Roux verdeutlichen, dass eine der Ästhetiken der 80er ja auch schon längst eine der Ästhetiken der Jetzt-Zeit geworden ist, La Roux sind Pastiche und Original in einem.

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Jede Hose ist heute schon "Pop" und jeder zweite Politker auch, heute ist schon überall soviel "Pop", das "Pop" ja eigentlich auch schon wieder tot ist, wie kürzlich mal wieder in irgendeiner Zeitungssonderbeilage verlautbart wurde. Da wo von Justin Timberlake und Britney, über Xristina, Pink und Robbie Williams bis hin hin zu Lady Gaga und den Black Eyed Peas so ziemlich jede erdenkliche Mainstream-Musik von dick Blasen schlagender Clubmusik beeinflusst ist und nicht selten von ausgetüftelten Klangkollagen und HipHop getragen wird, und sich gar die letzte Bastion, die Rock-Musik, die fett bouncende Timbaland-Klangwatte umbinden lässt, da sind La Roux noch Pop-Musik in der klassischstmöglichen Ausformung. Knappe Songs, synthethisch zwar, aber vergleichsweise karg produziert, Songs, die sich nicht auf großes Effektgebrumme stützen, sondern die simpelsten, die besten Melodien und große Hooks. Texte, in denen geliebt, vermisst, geschmerzt und gehasst wird, Texte, die keine Postmoderne kennen.

Kann man von einer Gruppe mit gerade mal einem veröffentlichen Album besonders viel erwarten? Sängerin Elly Jackson hat für die Live-Darbietungen von La Roux eine junge Frau und zwei junge Herren rekrutiert, zweimal Synthies, einmal Drums. Ben Langmaid bleibt zuhause und bastelt Beats. La Roux spielen neun Stücke von einem zwölf Stücke starken Album, das auf der französischen und japanischen Version enthaltene "Saviour", und eine schön housige Coverversion des Stones-Klassikers "Under My Thumb". Das Publikum ist zu Recht ständig am Johlen und Kreischen. So gut wie alles klingt hier wie auf Platte, wieviel dabei von Band kommen mag, ist egal. Nach rund 40 Minuten ist mit dem Überhit "Bulletproof" auch schon wieder Schlafenszeit. Eine sehr gute Band spult sehr gute Stücke ab wie eine ein bisschen zu gut geölte Maschine. Dass eine Gruppe, die quasi aus Blog- und wechselseitiger Remix-Hysterie entstanden ist, nicht die Gelegenheit nutzt, die eigene, dafür bestens geeignete Musik hie und da live vielleicht neu und anders zu deuten oder mit Überraschungen anzureichern, ist eine Enttäuschung. Beispielsweise den unmenschlichen Remix von Dubstep-Wunderknaben Skream in "In For The Kill" einzubauen wäre eine vermutlich leichte Aufgabe mit höchstmöglichem Durchknalleffekt gewesen. Mit wohligem Summen im Bauch und Glittter im Kopf hat man das Gefühl, eine Band gesehen zu haben, die die Entscheidung zwischen DIY-Attitude, Bedroom-Produktion und ganz großer Bühne noch nicht getroffen hat und vielleicht ein bisschen zu schnell in der Routine angekommen ist. Kostümwechel möglicherweise das nächste Mal?

fm4 ondrusova

Erhellend war der Abend deshalb, weil die Stücke von La Roux einfach so gut sind. Weil Elly Jackson eine Entertainerin ist, mit ausladenden Posen und Michael-Jackson-Quickstep-Einlagen. Kühler Glamour und echt durchlebte Gefühle. Eine Verwischung der Systeme, die Gewissheit, dass "Indie" und "Mainstream" ohnehin schon lange nichts mehr bedeuten wollen. Musik zum Glücklichsein, zum Tanzen und zum Sich-Erinnern ans Ferienlager. Das ist Musik, die läuft im Flex und bei Pizza Hut. Musik, zu der wir glauben können, die hoffnungsvollste Jugend der Welt zu sein. Es dauert eben bloß nicht immer gar so lange.