Erstellt am: 12. 3. 2010 - 18:52 Uhr
Change in Zeiten der Katastrophe
Der neue Präsident hat sich seine Amtseinführung wohl ein bisschen anders vorgestellt. Anstatt einer ruhigen Übergangsphase, in der er langsam in seinen neuen Job rübergleitet, wurde Chile von einem schlimmen Erdbeben mit Hunderten Toten und Schäden in Milliardenhöhe heimgesucht. Und gerade zum Zeitpunkt der Inthronisierungs-Zeremonie gab es in kurzen Abständen drei heftige Nachbeben. Doch genau diese Ereignisse werden die vierjährige Amtszeit von Sebastian Piñera prägen. Nun geht es um den Wiederaufbau eines nicht nur seismologisch erschütterten Landes.
Der ewig grinsende Milliardär
Der Wahlsieg des umtriebigen Milliardärs gilt als Paradigmenwechsel der noch jungen Demokratiegeschichte des unfassbar langen und gleichzeit ganz schön schmalen Landes an der Pazifikküste. Zum ersten Mal seit dem Ende der Militärdiktatur im Jahr 1990 hat der Linksblock die Wahl verloren und ein Vertreter der rechten Parteien wird nun für vier Jahre an den Schalthebeln der Macht sitzen. Der Wahl vorausgegangen ist ein mit Piñeras Privatkapital finanzierter Wahlkampf, in dem der als farblos geltende Herausforderer Eduardo Frei an Medienpräsenz kaum mithalten konnte. Dies liegt aber nicht nur am Charisma des ewig grinsenden Harvard-Absolventen Piñera. Er hat sich seine Berichterstattung großteils selbst gemacht. Der Fernsehsender Chilevision, der ihm zu hundert Prozent gehört, war selbstverständliches Sprachrohr für die Reformideen des neuen Präsidenten, die sich vor allem auf ein Thema konzentrierten: Noch mehr Aufschwung, noch mehr Privatisierung.
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Zwar hat er sich schon früher als viele andere konservative Politiker vom Pinochet-Regime distanziert, wirtschaftspolitisch will er allerdings die Politik der sogenannten Chicago Boys fortsetzen, die zur Zeit Pinochets die wichtigsten Ministerien besetzten. Die damals jungen Absolventen der Universität von Chicago haben die unter dem gestürzten Präsidenten Salvador Allende sozialistisch ausgerichtete Wirtschaft des Landes in ein Musterbeispiel des frühen Neoliberalismus verwandelt. Dies hatte zweierlei Folgen: Chiles Wirtschaftsleistung steigerte sich jährlich ohne Unterlass, den ärmeren Bevölkerungsgruppen ist es allerdings unmöglich geworden, eine halbwegs passable Bildung oder Krankenversorgung zu bekommen. Dieses System ist auch heute noch spürbar. Zwar ist Chile nach dem Währungscrash in Argentinien zum ökonomischen Vorzeigeland des Kontinents geworden, von den Vorzügen des Wohlstands profitiert allerdings nur die finanzstarke Oberschicht (für eine halbwegs gute Grundschule sind z.B. rund 500 Euro pro Monat fällig. Eine ärztliche Untersuchung kostet um die 100 Euro).
Für seine Amtszeit hat Piñera versprochen, den Fernsehsender an eine Non-Profit-Organisation zu übertragen. Deren Gründer und Chef heißt übrigens Sebastian Piñera. Neben zahlreichen Beteiligungen an Kreditkartenfirmen und der größten Airline des Landes besitzt er noch 13 Prozent des Fußballclubs Colo Colo, dem mit Abstand beliebtesten Verein des Landes. Auch diese Anteile werden nicht veräußert, schließlich gilt es, die Copa Libertadores nach Chile zu holen, wie er im Wahlkampf angekündigt hat. Hat es vor der Wahl noch geheißen, er würde auch seine sonstigen Firmenbeteiligungen verkaufen, ist bisher wenig passiert. Der Aktienwert ist nach demWahlsieg sprunghaft angestiegen und wenn etwas verkauft wurde, dann meist nur von einer Firma in Privatbesitz an die andere. Der Vergleich mit Silvio Berlusconi wird nicht zuletzt durch die außerordentlich sichtbaren Schönheitsoperationen genährt, die dem 60-Jährigen ein spitzbübisches Aussehen verleihen.
Die Präsidentin der Todsünden
Seine Vorgängerin Michelle Bachelet vom Linksblock ist in fast allen Gesichtspunkten das genaue Gegenteil. "La Presidenta", die nach eigenen Angaben "alle Todsünden Chiles in sich vereinigt" (geschieden, allein erziehende Mutter, Atheistin), musste in ihrer Jugend aus politischen Gründen das Land verlassen. Ihr Vater (vor dem Putsch ein hoher Militär) ist in einem Internierungslager ums Leben gekommen, sie selbst musste einiges an Folter über sich ergehen lassen. Hätte sie diesmal kandidiert, wäre Piñera wohl nicht Präsident, meinen zumindest die Demoskopen. Allerdings muss sie laut chilenischer Verfassung vier Jahre lang auf die nächste Chance warten. Zweimal hintereinander antreten ist nämlich nicht drin. Auch wenn viele ihrer angekündigten Sozialprojekte am Protest der Opposition oder der schlichtweg nicht möglichen Finanzierung und den festgefahrenen Strukturen und dem Einfluss der Privatwirtschaft gescheitert sind, genießt sie vor allem in den ärmeren Bevölkerungsgruppen hohes Ansehen.
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Diese hohe Zustimmung hat in den letzten Wochen allerdings einen leichten Knacks erhalten. Zwar wird ihr Katastrophenmanagement im großen und ganzen gelobt, einiges ist aber nicht so glatt gelaufen. Vor allem die Tatsache, dass die Armee erst drei Tage nach dem Erdbeben ins Katastrophengebiet gekommen ist, liegt für einige Chilenen am anhand der persönlichen Geschichte nicht überraschenden Zögern Bachelets, Soldaten auf die Straße zu schicken. Ein früheres Eintreten der Streitkräfte hätte die beginnenden Plünderungen und anarchistischen Zustände eventuell bereits im Keim ersticken können. Der konkrete Vorwurf lautet: Aus persönlichen Gründen habe sie das Leben vieler Bürger aufs Spiel gesetzt und ist schuld an den schweren Ausschreitungen.
Die neue Mannschaft
Auch nicht hilfreich waren die (bevorzugt über den Piñera-Sender transportierten) Anschuldigungen der Bürgermeisterin von Conception, die ohne Unterlass die Regierung beschuldigte, falsche Maßnahmen zu ergreifen. Die Dame wird für ihr unermüdliches Eintreten übrigens mit einem prestigeträchtigen Regierungsposten betraut.
Auch sonst tümmeln sich in Piñeras neuer Mannschaft einige alte Bekannte. Dabei sticht vor allem der neue Bildungsminister Joaquin Lavin heraus. Bei der letzen Wahl noch ein Gegner Piñeras ist das bekennende Opus-Dei-Mitglied vor allem für seine bizarren Ideen als Teil-Bürgermeister von Santiago bekannt. So hat er unter anderem das städtische Wasserwerk privatisiert, wodurch einige Spitäler mit horrenden Rechnungen zu kämpfen hatten. In punkto Sozialpolitik überraschte er, als er tonnenweise Schnee aus den Anden nach Santiago karrte, damit die armen Stadtbewohner auch einmal erfahren können, wie sich sowas anfühlt.
Ein anderes Land als zuvor
Auch wenn die Kritik am neuen Präsidenten von der aktuellen politischen Minderheit des Landes nicht abebbt, übernimmt Piñera ein anderes Land als das, das es noch vor dem Erdbeben war. "In diesen Zeiten brauchen wir eine nationale Einheit. Jetzt ist nicht die Zeit für einen Konflikt zwischen Regierung und Opposition", so Pinera bei seiner gestrigen Amtseinführung. Und dieser Zustand der vor kurzem noch unvorstellbaren Einheit der politischen Lager wird die ersten Monate seiner Amtszeit prägen. Wie nie zuvor herrscht im Land nun eine patriotische Stimmung, die sich in Fahnen auf Balkonen und Autoantennen äußert. "Fuerza Chile" und "Vamos Chilenos" sind die dem Fußball entliehenen Schlachtrufe, die rechts und links nun inbrünstig ohne Unterlass predigen. Piñera hat jetzt "jahrelang Gelegenheiten (...), wiederaufgebaute Brücken, Schulen und Krankenhäuser öffentlichkeitswirksam zu eröffnen", wie Andreas Fink in der Presse geschrieben hat. Da wird es vielleicht auch nicht allzu schwer fallen, die eine oder andere angekündigte Steuersenkung erstmal ad acta zu legen.
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