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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

9. 3. 2010 - 03:21

Osterhasen im Kristallpalast

Wie das Animal Collective im Guggenheim Museum mit einer Kunstperformance so manchen Rockfan vergraulte.

„What´s going on here?“, wollte der Restaurantbesitzer mit jener Verschränkung aus Neugier und Begeisterung wissen, die einem immer wieder die hohen Lebenskosten New Yorks mit überbordender Lebensfreude rückvergütet. Die Menschenschlange reichte um den Block bis vor den orientalischen Imbiss an der Madison Avenue. Ob hier wohl ganz Williamsburg versammelt war? Vor meinem geistigen Auge tauchte das Unmögliche auf: eine menschenleere Bedford Avenue. Das Animal Collective, die letzten Straßenfeger des zeitgenössischen Rock? Ha!

Animal Collective at Guggenheim New York

Christian Lehner / FM4

Die Abendvorstellung war jedenfalls binnen weniger Minuten ausverkauft. Eiligst wurde eine zweite Show am Nachmittag eingeschoben. Das machte jeweils 1500 Besucher in der Schnecke des Guggenheim.

Manche der jungen Anstehenden hatten großstädtische Kriegsbemalung in Neon aufgetragen. Andere sporteten Tiermasken und schicke Felle. Es war kalt. Doch die Vorfreude wärmte. „The Animal Collective is happening at the Guggenheim!“, klärte eine etwas betagtere Kunstsinnige endlich den Restaurantbesitzer auf. „Happening“, ein passendes Stichwort für das was kommen sollte.

Guggenheim New York

magazinusa.com

Guggenheim New York

Etwas später erzählte die Dame den Nachgeborenen in der Schlange von Andy Warhols Exploding Plastic Inevitable mit The Velvet Underground. Sie erschauderte verdächtig wohlig bei der Erwähnung des als Sado-Tänzer auftretenden Gerard Malanga, der sie unbeabsichtigt mit der Peitsche getroffen hätte. Downtown Mythen.

Zurück in die Gegenwart: Im Rahmen des 50 Jahre Guggenheim Jubiläums hatte das Animal Collective in Zusammenarbeit mit dem Videokünstler Danny Perez vergangenen Freitag zu einer Multimedia-Performance in die Kunstinstitution am Central Park geladen. Jene sollte laut Liner-Notes das Museum in einen „kinetisch, psychedlischen Raum“ transformieren: „The visual work of Danny Perez has been incorporated to turn the environment of an empty museum into a more mysterious hideaway. The core elements and colors ware worked into the piece in order to unite this room of sound with the inside of your brain. We hope you enjoy” …

Animal Collective at Guggenheim New York

Christian Lehner / FM4

Das AC als sardonische Osterhasen

Dass es sich um kein „gewöhnliches“ Animal Collective Konzert handeln würde, ging aus einem weiteren Hinweis im Begleittext hervor. Dort hieß es, dass die Band auschließlich für die Performance komponierte Musik darbieten wird, Musik, die ein Ineinandergreifen großstädtischer Geräuschkulissen mit jenen des Dschungels zum Ziel hatte.

Einmal mehr begaben sich die Hippie-Modernisten aus Brooklyn auf Expedition. Der Zweck: die Erforschung des Ursprünglichen im Artifiziellen. Auch das typisch AC.

Spätestens bei diesem Hinweis dürften die ersten KunstkennerInnen die Nasen gerümpft haben ob dieses dann doch etwas verbrauchten Topos.

Aber ich kenn mich ja nicht aus mit der Arte.

Und eine klassische Rockshow hab ich auch nicht erwartet.

Also rein ins tierische Vergnügen mit brutaler Naivität.

Zunächst strömten wir in die von Perez giftig ausgeleuchtete Rotunda. Empfangen wurden wir im Grundgeschoß von drei sardonisch dreinblickenden Osterhasen, die wie von Donnie Darko höchstpersönlich gecastet wirkten.

Die Bunnies standen regungslos auf drei Podesten. Meine erste Assozation in Bezug auf das Setting: „Nestroy auf Schwammerln: Vor unseren Augen tat sich eine Kristallwelt auf – geformt aus Kunststoffschaum und gläsernen Eiszapfen – irgendwo zwischen Koons und Fionaland.

In den Kostümen steckten die AC-Mitglieder Avey Tare, Geologist und Deakin. Nur der Panda Bear, der demnächst solo beim Donaufestival in Krems auftreten wird, fehlte an diesem Nachmittag.

Die gehörnten Hasen bewegten gelegentlich die Köpfe und ließen ihre Menschenpfoten über die Oberflächen der Pulte kreisen. Die im DJ-Sinn angedeutete Soundsteuerung war jedoch nur simuliert. Die Musik wurde über einen Rechner im Mittelbereich der Rotunda abgerufen. So passiv und reduziert hatte man das Animal Collective bis dahin noch nicht erlebt.

Aus edelsteinartigen Projektoren, die an Saurons Auge gemahnten, floß pulsierendes Licht den Schneckengang des Guggenheim rauf und runter und warf die Schatten der dort verharrenden Besucher an die rückwärtige Wand. Ein modernes Höhlengleichnis, Und schön anzuschauen war das auch.

Aus über 30 Lautsprechern strömten individuelle Soundcollagen, Bleeps und Echos in den Raum - wohl temperiert, ohne klare Struktur. Gelegentlich war ein Schmatzen zu hören, ein Raunen, hin und wieder eine angezerrte Gitarre, eine fernöstliche Melodieskizze, ein Loop und dann das markerschütternde Brüllen eines Monsters, das bei den Anwesenden für so manche Schrecksekunde sorgte.

Wir waren also nicht in einem Dschungel mit Großstadtgeräuschen gelandet, wir wurden von JJ Abrams Cloverfield Ungetüm verdaut! Wie gemein, wie angenehm aber auch.

Musikalisch passierte nicht viel die nächsten drei Stunden. Die Sounds nahmen gegen Ende immerhin Konturen an und bauten sich zu einem perkussiven Stammeswirbel auf. In einer Art Schlussakt ließ man dann noch einmal alle Klänge der Darbietung wie eine Karavane der Reihe nach ins Off ziehen. Aus.

Und wir? Viele Besucher haben während der Performance am Boden vor den Hipster-Karnickeln Platz genommen. Manche legten sich flach hin, meditieren, plauderten miteinander in bizarren Yogapositionen verharrend oder haben sich knutschend in die zahlreichen Winkel der Rotunda zurückgezogen.

Die einen dösten vor sich hin, die anderen stürmten als Tiere verkleidet das Gebäude rauf und runter. Die tellergroßen und stecknadelkleinen Pupillen mancher AC-Freunde stammten sicher nicht vom Absinth, der an mit Teelichtern drappierten Tischen ausgeschenkt wurde (neben Zuckerbrause, Vino und Gerstensaft).

Das Szenario erinnerte ein bisschen an Kubricks "Eyes Wide Shut" - freilich ohne die erlösende Klimax der Orgie in Fleisch und Musik.

Mit zunehmender Ereignislosigkeit wurden dann auch manche Besucher nervös und ungehalten. Nach gut einer halben Stunde setzte es die ersten Buhhhhs und Bähhhhs.

Viele AC-Freunde vetrollten sich noch vor Ende der Performance, um ihren wütenden Protest in Webforen wie jenem von Brooklynvegan.com zu hacken. Keine Show! Keine Songs! Böse Tiere!

Der penibel in geordneten Bahnen kanalisierte Sinnesrausch der "Transverse Temporal Gyrus" titulierten Performance war definitiv nichts für zornige, junge Männer minus Sinn für arty farty.

Animal Collective at Guggenheim New York

Christian Lehner / FM4

Die zum Teil harschen Reaktionen in den Foren zeigen aber jenseits der legitimen Diskussion über den künstlerischen Gehalt der Darbietung auch eines: selbst das sich vielerrortens gern als das aufgeschlossenste Musikpublikum unter der Sonne feiernde New York fordert von seinen abenteuerlichsten Freigeistern die Trias der Rockreaktion: Leistung für Geld, Berechenbarkeit und "authentische" Musik.Wer glaubt, dass die Rezeptionskultur diesbezüglich weiter ist als zu analogen Zeiten: think again. Warum auch?

Vielleicht hat das Animal Collective ja deshalb in Vorausahnung falscher Erwartungshaltungen das Publikum in den Liner Notes aufgefordert, „auf des Zwitschern der Vögel im Dschungel“ zu achten. Wer weiß, womöglich war in Wahrheit das Brüllen der Affen gemeint.

Ich habe jedenfalls einen großartigen, kontemplativen Nachmittag in der Rotunda am Central Park erlebt. Das Animal Collective hat das Guggenheim temporär in einen wunderbar wunderlichen Menschenzoo verwandelt. Was dagegen ist schon Alice in 3D?

Ob man diese großartige Architektur wohl jemals wieder in so einem popfantastischem Setting erleben wird können?

Miau, Tweet, Roooooar!