Erstellt am: 7. 3. 2010 - 18:30 Uhr
Gender Mercies
Feministinnen im Alltag
"Er ist ein perfektes Symbol für das Filmgeschäft: Ein athletischer Körper, der ein glänzendes Schwert umschlungen hält - aber mit abgeschliffenem Hirn." Diese wenig schmeichelhafte Beobachtung über den angenommenerweise weltweit wichtigsten Filmpreis, mit der all jene, die die Zeremonie Jahr für Jahr mit einer gelangweilten Handbewegung abtun, nur zustimmen werden, wird Frances Marion zugeschrieben.
![© PDH Frances Marion](../../v2static/storyimages/site/fm4/2010039/Frances_Marion_body_small.jpg)
PDH
Marion war Drehbuchautorin in Hollywood, und das seit 1910, also quasi von der Stunde Null an. 1930 und 1932 gewann sie dann auch die Goldstatuette für "The Champ" beziehungsweise "The Big House". Weibliche "autrice"-Filmemacherinnen waren während der Stumm- und frühen Tonfilmzeit keine Seltenheit. Aber dann begann Hollywood, ein ernstzunehmender Wirtschaftszweig zu werden, und spätestens als ab Mitte der Dreißiger dann der nationale Zensurapparat in die Gänge kam, begannen die männlichen Studio-Bonzen, alle, die nicht weiß, männlich, und konformistisch veranlagt waren, aus den operativen Bereichen hinauszudrängen. Einzig Dorothy Arzner, die Katharine Hepburn ihren Durchbruch verschaffte und Ida Lupino, die am Set von "Not Wanted" spontan einsprang, als Regisseur Elmer Clifton einen Herzinfarkt bekam, machten sich über die nächsten 40 Jahre auf dem Radar der amerikanischen Kinowelt als weibliche Inszenatorinnen einen Namen.
Hollywood Boys' Club?
Und so kommt eine Statistik zustande, die einen Zustand beschreibt, dessen Unveränderlichkeit ähnlich wie die Machtverhältnisse in den meisten österreichischen Bundesländern oder die chinesische Dominanz im Tischtennis jetzt schon über so viele Generationen anhält, dass man sich angesichts seines möglichen erwartbaren Durchbruchs erstmal die Augen reiben muss, um das richtige Maß für die historischen Dimensionen zu bekommen: In 82 Jahren hat die Academy of Motion Picture Arts & Sciences nur vier Frauen in der Kategorie "Beste Regie" nominiert, noch nie hat eine gewonnen. Aber, hey, das sind immer noch vier mehr als in der Kategorie "Beste Kamera"! Aber es gleicht sich alles aus, denn werfen wir mal einen Blick auf die Gekürten in der Sparte "Bestes Kostümdesign"...und, hey presto, ja, Ladies wird offenbar das Talent eingeräumt, das darstellerische Personal in bestechende Kleider zu stecken!
![© Guerilla Girls Hollywood Filmplakat](../../v2static/storyimages/site/fm4/2010039/2009-11-09-Unchain_body.jpg)
Guerilla Girls
Pasqualino quattro nomination
Aber im Ernst, wo wir schon mal dabei sind, die erste dieser vier Regie-Nominierungen entfiel 1977 auf die schweizerisch-italienische Fellini-Protégée Lina Wertmüller für deren vor allem für die damalige Zeit extrem verstörende Holocaust - Beziehungsstudie "Pasqualino Settebellezze". Verloren hat sie damals gegen John Avildsen und "Rocky", wobei ich mich hinsichtlich dieser krassesten aller Fehlentscheidungen nur der eloquenten, aus einem Karriere-Rückblicks-Interview stammenden Anmerkung von Sidney Lumet, der in diesem Jahr für "Network" im Bewerb war, anschließen kann: "Boooooo!" 1994 war Jane Campion mit ihrem ätherischen Kolonialismusdrama "The Piano" dran, bekommen hat ihn aber Steven Spielberg für "Schindlers Liste" - da konnte man wohl nicht viel machen. Sofia Coppola wiederum können böse Zungen ihre familiären Seilschaften so oft an den Kopf werfen wie sie wollen, sich von der beißenden Kritik an ihrem Auftritt im dritten Pate-Teil so unbekümmert freimachen zu können, fordert höchsten Respekt. Nur ein ermüdend unübersichtliches Bündnis aus Ents, Zwergen, Elben, Hobbits und anderem Getier hat ihr 2004 den Oscar für "Lost In Translation" vorenthalten können. Das war's aber eben auch schon.
![© Patrick Rogel](../../v2static/storyimages/site/fm4/2010039/Fairbanks_-_Pickford_-_Chaplin_-_Griffit_body_small.png)
Patrick Rogel
Noch skandalöser ist ja aber fast der Umstand, dass die Hollywood-Funktionäre, was den Einfluss von schöpferisch tätigen Frauen an ihrem Werdegang und Erfolg betrifft, über die Jahrzehnte hinweg nicht das geringste Geschichtsbewusstsein an den Tag gelegt haben, diese vergangenen Vernachlässigungen zurechtzurücken: Von den 145 bislang fürs Lebenswerk vergebenen Ehren-Oscars gingen auch nur 15 an Frauen - 13 für Leistungen in schauspielerischer Kapazität, sowie je 1 für Choreographie, 1 für Schnitt, und 1 für Verdienste um die Filmindustrie im Allgemeinen (Mary Pickford).
Undoing it for themselves
Jetzt wollte ich diesen haarsträubenden Mangel schon unter Verweis auf die Gewinner-Listen von Venedig, Cannes und Berlin einfach auf den Tinseltown-eigenen Mainstream-Chauvinismus zurückführen, bis es sich mir erschlossen hat, dass es an der Adria, der Côte d'Azur und der Spree in Sachen geschlechtsspezifischer Regiewürdigungen zwar ausgeglichener aussieht - aber nicht um viel. Trotzdem, Eure Vardas, Denis', Jaouis, Dörries und Hausners haben über die Jahre ja einen doch sehr bleibenden Eindruck hinterlassen, und es gibt wohl nichts daran zu rütteln, dass der Mammon natürlich schon die Wurzel allen Übels ist. Die pathologische Abneigung gegen jedwede Form von Risiken ist in den kalifornischen Studiositzen, von denen zur Zeit übrigens ironischerweise sechs von Frauen angeführt werden, so massiv, dass die Bosse jedem zur Debatte stehenden Plot pro forma die Massentauglichkeit absprechen, und sich selbst angehende Vietnam-Filmemacher Mitte der 70er Jahre auf dem Höhepunkt der Medienpräsenz des Themas mit "Wen interessiert das!"-Querschüssen herumplagen mussten.
![© AP Jimmy Stewart & Harvey](../../v2static/storyimages/site/fm4/2010039/harvey-stewart_body_small.jpg)
AP
Die Branche ist und war natürlich immer voll mit kreativen Frauen; die besten Screwball-Komödien wurden von ihnen geschrieben; Kathleen Kennedy war als Produzentin an fast allen von Steven Spielbergs Hits beteiligt, Martin Scorsese vertraut sein Rohmaterial niemand anderem als seiner Schnittmeisterin Thelma Schoonmaker an, David Cronenberg schwört ausschließlich auf weibliches Know-How. Trotzdem beläuft sich der prozentuelle Anteil von Frauen gedrehter Filme an den Top 250 meistgesehenen Streifen Jahr für Jahr im einstelligen Bereich, und männliche Drehbuchschreiber werden in der Regel zehnmal so schnell in den Regiestuhl befördert als ihre femininen Konterparts. Die Paradeausrede dafür orientiert sich offenbar an dem hohen Prozentsatz der 18 bis 25jährigen männlichen Kinogänger am Hollywood-Stammklientel, und besagt, Frauen könnten sich nicht ausreichend in die emotionalen Lebenswelten dieser demographischen Gruppe hineinversetzen. Eine Unverfrorenheit, die ihres gleichen sucht - Hauptsache, dass Männern andererseits genug pangeschlechtliche Empathie zuzutrauen ist, um Filme wie "Thelma & Louise" oder "Sex and the City" zu drehen (das Argument mit der Anwesenheit eines "Frauenversteher-Regisseurs", das dem Engagement weiblicher Partizipation zuvorkommen will, geht bis in die 30er und solche Zeitgenossen wie George Cukor und Joseph Mankiewicz zurück). Und warum die Hokus-Pokus-Romane der gegenwärtig erfolgreichsten Autorin allesamt von Männern adaptiert worden sind, muss mir auch erst mal jemand erklären.
Was müssen, fällt mir in diesem Zusammenhang auch noch ein, Theater-Besucherschaften des 18. Jahrhunderts erstaunt gewesen sein, als sie festgestellt haben, dass auch Schauspielerinnen glaubhafte Julias und Ophelias geben konnten?
The Big Sleaze
Kommen noch die konventionellen Irritationen und Demütigungen hinzu, die man als Frau in Tinseltown über sich ergehen lassen muss, um auf der Klaviatur des Finanzierungs-Networking mitspielen zu können, wenn man mal eine eigene auf die Beine stellen möchte, was über den bescheidenen budgetären Rahmen einer Dokumentation hinausgeht. Die Independent-Filmemacherin Tara Veneruso zitiert den klassischen Besuch im Strip-Club, zu dem sie ein potentieller Investor anstiften wollte, damit er ihr dort beim Sex mit einer der dortigen Eskort-Service-Kräften zusehen könne.
Aber hier ist die Sache:
Lang kann das alles ja eben sowieso nicht mehr weitergehen. Selbst wenn Kathryn Bigelow den Oscar diesmal abstaubt (und wenn, dann tut sie das auf Kosten des erst zweiten nominierten afroamerikanischen Regisseurs, und noch dazu mit einem Irakkriegs-Drama, und weiß der Himmel, dass uns das westliche Kino dieses Jahrhundertverbrechen noch kein einziges Mal aus der Perspektive der Irakis präsentiert hat, und, ach, die Probleme hören nie auf) - vielleicht wird es nicht mehr 5 Jahre dauern, bis sich die Academy Awards dem Stellenwert der Grammys angleichen. Denn warum sollte sich das nicht einzudämmende Filesharing auf die Filmindustrie anders auswirken als auf die Musikindustrie? Was wir jetzt grad erleben sind die ersten anfänglichen Auseinandersetzungen zwischen den Verleihern und den Kinoketten. Bald wird die Dichotomie zwischen der offiziell von den Studios ausgespuckten Ware und den Independent-Produktionen so extrem sein wie in den 00ern zwischen dem Casting-Pop und, äh, allem andern. Ohne 3D-Brille wird ohnehin nichts mehr gehen, und um die Kohle für die zeitgemäßeste Vexier-Technologie eigenständig zu beschaffen, müsste man dann schon so oft in den Strip-Club gehen, dass einem das Neon-Licht nach und nach die letzte Sehkraft rauben würde.
Würde sich hier eigentlich irgendjemand Avatar ansehen, wenn es als Theaterstück aufgeführt würde? Eben. So viel zum Thema beste Regie 2010.
![© AP Kathryn Bigelow](../../v2static/storyimages/site/fm4/2010039/bigelow_body_small.jpg)
AP
Wahrscheinlich werden Elektrohandelsketten die Filmfinanciers der Zukunft sein, oder Sportartikelhersteller oder Getränkeabfüller oder das Ministerium für Infrastruktur oder Meister Proper. Keine Berücksichtigungen der Bedürfnisse irgendwelcher pickeliger teenage frat boys werden irgendeine Rolle mehr spielen. Sally Potter hat "Orlando" immerhin auch für läppische 4 Millionen zusammenbekommen! Und die dann auf Mainstream-Level ausgebreiteten Arthouse-Produktionen können sich dann einander einen neuen Preis verleihen. Ist doch egal, welchen, Hauptsache es gibt eine Preisvergabe. Im Verständnis mancher hiesiger Dickschädel ist die momentane Studentenbewegung ja auch erst durch die Kür von "Audimaxismus" zum "Wort des Jahres" legitimiert worden, ich verstehe nicht, warum da nicht schon früher begonnen wurde, sich selbst Auszeichnungen in Kategorien wie "karitativstes Grundverständnis", "ausgefeilteste Resolution" und "schmackhaftestes Volxküchengericht" zu verleihen. Solange Brangelina und die Paparazzi vorbeischauen, ist mit der öffentlichen Anerkennung alles geritzt!
Ha, geschafft! Eine ganze Story über weibliche Filmemacherinnen, ohne ein einziges Mal Leni Riefenstahl zu erwähnen!
Und da ist dann noch die seltsame Sache mit Loveleen Tandan, die offenbar auf viel Eigenverantwortung substantielle Second-Unit - Segmente von "Slumdog Millionaire" gedreht hat, aber dennoch von Danny Boyle bei der Oscar-Empfangsrede nicht mal erwähnt, geschweige denn als Co-Regisseurin gewürdigt wurde? Was war da los?
Ottilia e mezzo
Einige (anglophone) Autorinnen-Filme, die, wenn eh auch niemand die mysteriösen Wege der Academy zu ergründen mag, trotzdem unbedingt eine Nominierung als beste Regiearbeiten bekommen hätten müssen:
Gillian Armstrong - High Tide (1987)
Euzhan Palcy - A Dry, White Season (1989)
Sally Potter - Orlando (1992)
Kimberly Peirce - Boys Don't Cry (1999)
Isabel Coixet - My Life Without Me (2003)
Nicole Kassell - The Woodsman (2004)
Jonathan Dayton/Valerie Fairs - Little Miss Sunshine (2006)
Sarah Polley - Away From Her (2006)
Courtney Hunt - Frozen River (2008)
Besucht
noch heute und Montag das Tricky Women-FilmFestival in Wien...
...oder, falls ihr in London seid, das Bird's Eye View - Festival ...
....es ist auch sicherlich nicht verkehrt, auf diese Seite hier zu schauen, genausowenig wie auf diese!