Erstellt am: 8. 3. 2010 - 15:05 Uhr
Das Leben danach
von Robert Hummer
Die Bandgeschichte liest sich wie ein modernes Märchen: Im Jahr 2003 gründen die Cousins James und Rab Allan in Dalmarnock im heruntergekommenen East End von Glasgow, unweit des Celtic Parks, gemeinsam mit Paul Donoghue und Ryan Ross Glasvegas. Der Name soll die Industriestadt Glasgow mit dem Glamour von Las Vegas umgeben, wenngleich sich die Protagonisten der Grenzen dieses Wortspiels wohl bewusst sind. 2004 folgt die erste Single, zwei Jahre später nennt sie Oasis-Entdecker und Glasgow-Rangers-Fan Alan McGee »die wichtigste Band der letzten zwanzig Jahre«. In der Folge entspinnt sich um das im Herbst 2008 veröffentlichte Debütalbum ein regelrechter Hype, die Platte geht über 300.000 Mal über die Ladentische und erreicht Platz zwei der UK-Albumcharts.

Sony Music/Steve Gulick
Blumen und Fußballtrikots
Ballesterer
Weitere Inhalte des ballesterer Nr. 50 (März 2010)
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Nicht nur britische Medien regte die proletarische Herkunft des Quartetts zu fantasievollen Zuschreibungen an. Für die deutsche FAZ erweckte die Truppe rund um den »aufmüpfigen Proll-Poeten« James Allan gar den Eindruck, »als wäre die Band für sie die letzte Gelegenheit gewesen, nicht als beste Dartspieler in einem Glasgower Pub zu enden«. Im für den gemeinen Mitteleuropäer kaum verständlichen schottischen Akzent vorgetragen, handeln die von einer gehörigen Portion Sozialrealismus durchzogenen Songtexte von jugendlichen Gewalttätern, wackeren Sozialarbeiterinnen, abwesenden Vätern – und natürlich von Fußball: »Flowers & Football Tops« thematisiert den Mord an einem Teenager, dessen mit dem Niederlegen von Blumen und Fußballtrikots gedacht wird, und beinhaltet eine abgewandelte Variante von »You Are My Sunshine«, wie sie auch von den Celtic-Fans gesungen wird. »Go Square Go« wiederum endet in einer stürmischen, von Breitwandgitarren getragenen Version des Stadionklassikers »Here We Go«.

Radio FM4
Als Fußballfans tragen die Bandmitglieder allerdings unterschiedliche Farben: Während Rab und Paul aufseiten der Rangers stehen, ist James Allan deklarierter Supporter des Stadtrivalen. »Das Einzige, was mich als Kind wirklich interessierte, war, für Celtic zu spielen. Ich habe viele Celtic- und Schottland-Matches gesehen – und Typen wie Andy Walker waren meine Helden«, sagte er gegenüber dem Daily Record. Abgesehen von Spielen des Nationalteams ist ein gemeinsames Fußballschauen mit den Kollegen von der Rangers-Fraktion praktisch unmöglich. Als Sänger hat Allan bei Konzerten die Oberhoheit über das Mikrofon, von der er gelegentlich auch Gebrauch macht. Im August letzten Jahres erklärte er im Vorprogramm von U2 dem ausverkauften Hampden Park, auf welcher Seite der Old Firm er steht. Der Gig hatte für den stets schwarz gekleideten Glasvegas-Frontman eine ganz besondere Bedeutung, war es doch auch eine Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte.
Sieben Tore für Queen’s Park
Aus dem Bubentraum, irgendwann mit den grün-weißen Querstreifen aufzulaufen, wurde zwar nichts, allerdings kam ihm James Allan näher als viele andere. Mehrere Jahre war der mittlerweile 30-Jährige im bezahlten Fußball aktiv. Seine Karriere begann in den späten 1990ern bei Falkirk, wo er sich nicht durchsetzen konnte, und führte ihn über Cowdenbeath, East Fife, Queen’s Park, Gretna und Stirling Albion nach Dumbarton. Dort hängte er 2005 seine Fußballschuhe an den Nagel, nachdem ihm seitens der Verein klargemacht hatte, dass er als Kaderspieler allerhöchstens sporadisch zum Einsatz kommen würde. Seine beste Zeit erlebte Allan als hoffnungsvoller Mittelfeldmann bei Queen’s Park, wo er es in der Saison 2002/03 auf 35 Pflichtspieleinsätze und sieben Tore brachte. Mit seinem Siegestor gegen die Berwick Rangers schoss er Schottlands ältesten Verein, der seine Heimspiele in Hampden Park austrägt, sogar ins Halbfinale des Challenge-Cups.
Whyler Photos/Stirling Albion FC
Nach Ende der aktiven Laufbahn war Allan »on the dole«, also arbeitslos. Während dieser Phase hörte er Unmengen alter Platten und schrieb viele der späteren Glasvegas-Hits. Ironischerweise war das Ende der bescheidenen Fußball- der Anfang der vielversprechenden Musikkarriere. Glaubt man seinem Cousin Rab, dann ist dem britischen Kick ein mit großem Kämpferherz ausgestatteter Spieler verloren gegangen, der wie kaum ein anderer in die Zweikämpfe ging. Demgegenüber erzählte James dem Schweizer Tagesanzeiger, dass ihm als Kicker neben seiner Unkonzentriertheit auch noch andere Dinge im Weg gestanden seien: »Ich war schon als Fußballer immer unpünktlich, und gesund gegessen habe ich auch nicht.« Dass er dem Beruf letztlich den Rücken zuwandte, hatte aber auch mit der leidenschaftslosen Einstellung vieler Kollegen zu tun. Sein Resümee über die Jahre als Profi fällt ähnlich scharfsinnig wie viele seiner Songtexte aus: »Fußball ist meilenweit von Rock ’n’ Roll entfernt. Die zwei Sachen passen einfach nicht zusammen. Golf und Fußball, teure Autos und Fußball – das passt zusammen.«