Erstellt am: 7. 3. 2010 - 12:00 Uhr
Essen gehen ist das neue Ausgehen
Die Ausgehplanung fürs Wochenende hatte diesmal schon sehr früh begonnen, meine im Lauf der Jahre etwas eingeschlafene Ausgehgruppe hatte beschlossen wieder einmal zusammen zu kommen, und das wollte gut geplant sein.
Kinder, Arbeit, Hund hatten die Ausgeh-Euphorie der Gruppe in letzter Zeit immer mehr sinken lassen und wer will da urteilen? Es hat ja schließlich nicht jeder soviel Zeit und Muße wie die unterbeschäftigte, allein stehende Songwriterin und Gelegenheitsjournalistin. Nach einem tagelang währenden exzessiven Rundmailwechsel einigte man sich auf „Essen gehen“. Für mich eine völlig neue Erfahrung, denn als latent prekarisierte Songwriterin und Gelegenheitsjournalistin geht man zwar manchmal zum Imbiss, aber praktisch nie essen und so war ich gespannt in die Szenegastronomie eingeführt zu werden.
Als mir vor etwa zehn Jahren ein damals vielleicht 32-jähriger Freund erzählte, er gehe ja inzwischen lieber essen statt in Clubs, man sitze beim Italiener so herrlich lange am Tisch, trinke dann einen letzen Grappa nach dem anderen - versuchte ich verzweifelt einen milden Gesichtsausdruck aufzusetzen, damit mein Mienenspiel nicht aufwallende Verachtung und Entsetzen verriet. Aber wahrscheinlich war dieser Bekannte ein Trendsetter. Denn wenige Jahre später baute das Berliner Stadtmagazin "tip" sein Heft mit einem absurd großen Gastro-Teil zum Restaurantführer um.
Sage Club
Grill Royal
Jesus Club
Inzwischen hat die Gastroisierung des Ausgehlebens so überhand genommen, dass man längst sagen muss „ Essen gehen ist das neue Ausgehen“. Im Studentenviertel Neukölln trifft man sich in Wohnzimmerrestaurants, der Club "Maria am Ufer" hat einen Ableger „Jesus Club“, in dem zu Musik öffentlich gekocht und auch gegessen wird. Vielleicht ist es die Generation der Einzelkinder, die, immer nur der unheiligen Allianz Vater, Mutter, Kind ausgeliefert, beim Sitzen an langen Tischen, in großer Runde Trost sucht?
Nach langwierigen Mailverhandlungen der Ausgehgruppe fiel die Wahl schließlich auf das „Themroc“, ein spartanisch eingerichtetes Restaurant in der Torstraße in Berlin Mitte. Von der freundlichen Bedienung wurde die Speisekarte - herrlich unkonventionell auf einem DiN A 32 Zettelchen - auf Augenhöhe in die Runde gehalten. Wir wählten zügig, es gibt ja immer nur ein Gericht, das Essen war ganz ok, die Unterhaltung angeregt. An den anderen Tischen saßen Gruppen von jungen Frauen, in einer Art ironischem Nachkriegs-Trümmerfrauen-Schick gekleidet, der wiederum schön mit der alten Anrichte, den hochgestapelten Tellern und einer Fünfziger-Jahre-Küchenwaage korrespondierte.
Mary Scherpe
So ging der Freitagabend harmonisch zu Ende, ich freute mich aber heimlich schon auf Samstag. Der kluge Ausgehmensch baut ja vor, und wenn die eine Ausgehgruppe schwächelt, baut er rechtzeitig eine jüngere, zweite auf. Und mit der konnte man dann tatsächlich noch so richtig Old-School-Ausgehen: Zuerst aufs Konzert, und dann in die 8 mm Bar, ordentlich trinken.