Erstellt am: 7. 3. 2010 - 12:38 Uhr
"Ich hatte nie ein normales Leben"
Elegant schießt er über die Coping der Halfpipe hinaus, dreht sich dreieinhalb Mal um die eigene Achse und macht dazu noch einen Doppelsalto. Grazil wie eine Katze setzt er auf dem eisigen Untergrund auf und zugleich zum nächsten Sprung an. Der Kalifornier Shaun White hat Snowboarden auf ein bisher unerreichtes Level gehoben. Sprünge wie den Double McTwist 1260 oder den Double Cork 1080 beherrschen derzeit nicht viele Snowboarder, weshalb der 23-jährige fast jeden Contest gewinnt. So auch die Olympischen Spiele 2010.
dpa
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Sowohl im Umgang mit dem Snowboard als auch mit den Medien ist Shaun White ein Profi. In Röhrenjeans und Lederjacke sitzt er beim Interview und beantwortet geduldig jede Frage. Immer wieder streicht er sich mit dem kleinen Finger eine Locke aus dem Gesicht und reißt Witze. Seine Fröhlichkeit wirkt aufgesetzt, einstudiert für Kameras und Mikrofone - das Ergebnis jahrelangen Trainings.
"Ich bin seit zehn Jahren im Business", sagt Shaun White und erzählt wie er mit dem Boarden angefangen hat. Weil es in seinem Heimatort Carlsbad, an der Pazifikküste, keinen Schnee gibt, fuhren seine Eltern jedes Wochenende viele Kilometer in Richtung Berge, denn die Hoffnungen in den damals Sechsjährigen waren groß. Nach ersten Contest-Erfolgen war die Familie White fast nur noch unterwegs und tingelte mit einem kleinen, weißen Wohnwagen quer durch die USA. Die Mühe sollte sich schon bald lohnen. Im Alter von sieben hatte Shaun seinen ersten Sponsorvertrag in der Tasche, mit dreizehn stand er, nach Erfolgen bei den Japan Open und anderen wichtigen Bewerben, voll im Geschäft. Mit sechzehn kaufte er seinen Eltern ein Haus und mit neunzehn, nach seiner ersten Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2006, lächelte er vom Titelblatt des amerikanischen Rolling Stone Magazins - einem Musikmagazin, das normalerweise Stars wie 50 Cent, Pink Floyd und Johnny Depp auf dem Cover hat. "The coolest kid in America", wie Shaun White damals genannt wurde, kann sich noch gut erinnern. "Das war der Moment, als alles völlig verrückt wurde. Ich konnte mit meinen Eltern nicht mehr in den Supermarkt gehen, Leute haben mich im Auto verfolgt, um Autogramme zu kriegen. Aber, ich mag das, die Fans sind cool."
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Shaun White ist der bekannteste Snowboarder der Welt, derjenige, der den Randsport mainstreamfähig gemacht hat. Zehn Millionen Dollar verdient er mittlerweile pro Jahr - mit Sponsor- und Werbeverträgen, seinem eigenen Computerspiel und einer Klamottenlinie. Er hat ein Haus am Meer und einen Lamborghini. Im Grunde hat er ausgesorgt. Doch ein Leben ohne Board kann sich der 23-jährige Megastar nicht vorstellen. "Wenn ich nicht snowboarde, dann stehe ich auf dem Skateboard. Ich versuche überhaupt immer irgendwas zu tun, weil ich schnell unruhig werde."
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Massenhaft Erfolg und Geld gibt Selbstvertrauen, aber macht auch Druck. Kurz vor den Olympischen Spielen 2010 sagte Shaun White in einem Interview für den amerikanischen Sender CBS: "Ich bin bei jedem Contest enttäuscht, wenn ich nicht Gold gewinne. Silber ist zwar eine schöne Farbe, aber nicht für mich. Das ist wohl mein Laster." Genauso wie die Einsamkeit.
Um seinen Mitkonkurrenten voraus zu sein, trainierte der schmächtige Kalifornier letztes Jahr alleine und völlig abgeschieden in den Rocky Mountains. Dort, in über 3.000 Meter Höhe, hat ihm einer seiner Sponsoren eine eigene Halfpipe hingebaut, inklusive Schnitzelgrube. Dafür und weil er generell lieber sein eigenes Ding macht, wurde Shaun White schon oft kritisiert. Offenbar zu oft. Denn im Interview wird er bei der Frage nach dem Vorwurf des Wettbewerbsvorteils zum ersten Mal unentspannt. "Ich versuche mich da immer zurückzuhalten, aber jetzt muss ich echt mal sagen, dass wir doch alle die gleichen Chancen haben. Auch die anderen Boarder haben Sponsoren und hätten eine eigene Pipe haben können. Sie sind halt nicht auf die Idee gekommen. [...] Und, ich hätte meine Tricks so oder so, auch ohne private Halfpipe, gelernt."
Damit hat er wahrscheinlich sogar Recht. "The Flying Tomato", wie Shaun White von Fans genannt wird, ist den meisten Profi-Snowboardern schon lange einen Schritt voraus. Zwar hat er erst in dieser Saison mit dem Double McTwist 1260 einen eigenen Snowboardtrick erfunden, aber seine Sprünge waren generell immer ein bisschen perfekter, als die der Konkurrenz. Einzig der Amerikaner Kevin Pearce konnte ihn bisher in Bedrängnis bringen und ihn bei Bewerben wie den Burton European Open 2008 und 2009 besiegen. Doch der liegt seit einem schweren Sturz im Dezember mit einem Schädel-Hirntrauma im Spital. Die Disziplin Halfpipe scheint also derzeit einzig und allein von Shaun White dominiert zu werden.
Aber auch abseits der Wettkampfbühne steht der 23-jährige eher alleine da. Während sich andere Profi-Boarder nämlich in Gruppen wie etwa FRENDS zusammenschließen und gemeinsam trainieren, bleibt der rothaarige Kalifornier lieber alleine, denn: "Ich glaube nicht, dass du mit jemandem richtig gut befreundet sein kannst, gegen den du in Contests fährst. Wenn der Andere dann mit einer Medaille dasteht, ich aber nicht, kann ich nicht einen auf Buddy machen." Shaun White ist wenigstens ehrlich. Das muss man ihm lassen.
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Wenn man ihn nach seinen Freunden fragt, erzählt er von Musikern, die er durch das Gitarrespielen kennengelernt hat und von älteren Kumpels seiner Schwester, und dass er am liebsten in Los Angeles abhängt. Dort unter all den Hollywoodstars und Musikgrößen hat er nämlich seine Ruhe und wird nicht ständig erkannt, wie in anderen amerikanischen Städten - allen voran seiner Heimatstadt Carlsbad. "Wenn ich da abends in einen Club gehen will und mich hinten anstelle, heißt es: Hey, Rockstar, musst du dich also auch anstellen? Und wenn ich mich dann vordränge, wird genauso geschimpft." Deshalb versteckt der Snowboarder seine rote Mähne meistens unter einem Tuch und seine Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille. Das Leben im Rampenlicht hat eben seinen Preis. "Girltrouble" zum Beispiel, wie Shaun White es unaufgefordert nennt. "Wenn ich ein Mädchen kennenlernen will, passiert es oft, dass sie komisch reagiert, um mir zu beweisen, dass sie eh nicht so Eine ist. So ein Groupie-Typ, und das turnt mich dann total ab. [...] Aber eigentlich habe ich sowieso keine Zeit für eine Freundin, weil ich ständig unterwegs bin."
Heute Vancouver, morgen London und übermorgen Salzburg. Zur Ruhe kommt der junge Superstar eigentlich nie. Umrahmt von seiner Managerin und einem Bodyguard wird er von einem Medientermin zum nächsten gekarrt. Immer ein aufgesetztes Lächeln im Gesicht, denn schließlich muss die Marke Shaun White unter die Leute gebracht werden. Aber muss er einem deswegen leid tun? "Nein", meint Shaun White selbst. "Ich hatte nie ein normales Leben. Das heißt, ich kenne es sowieso nicht anders."