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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

5. 3. 2010 - 10:19

Heavy Rain

Sag niemals Spiel zum interaktiven Drama. "Heavy Rain" stellt die alten Gewohnheiten, was ein Videospiel ist, auf die Probe.

Der "Heavy Rain" Bus auf dem Potsdamer Platz in Berlin.

PlayStation Deutschland

Es ist 14 Uhr als ich überpünktlich am Zielort ankomme. Der "Heavy Rain"-Bus steht wie geplant am Parkplatz des Potsdamer Platz in Berlin bereit. In dunkel-düsteren Farben gehalten und mit einem nachdenklichen Blick der attraktiven Hauptdarstellerin Madison Paige bemalt, bietet er eindeutige Referenzen zur Geschichte des Spiels. Der technisch herausragend inszenierte Thriller um den sogenannten "Origami Killer", exklusiv entwickelt für die PlayStation 3, ist seit über zwei Jahren ein Vorzeigeprojekt nicht nur für den Exklusivvertrieb Sony, sondern für die gesamte Games-Branche, Fachjournalisten und Kulturredaktionen über Landesgrenzen hinweg.

Hochgesteckte Ziele

Die Promotion zu "Heavy Rain" ist aufwändig und umfangreich. So umfangreich, dass ich beim Probespielen im Bus Anfang Februar sechs der insgesamt rund 50 Szenen des Spiels im Laufe der letzten Monate bereits gesehen oder gespielt habe, bevor ich eine Woche später endlich das Testmuster in Händen halten werde.

Das exzentrische französische Entwicklerstudio Quantic Dream als auch Sony sind sich einig: "Heavy Rain" soll jede Aufmerksamkeit bekommen, die das Budget hergibt. Es geht nicht bloß um aggressives Promoting, sondern darum, die Hoffnung in jene Beziehung zurückzuholen, die bis dato meist höchst durchwachsen war und längst zu einem schlechten Klischee verkommen ist: die Verschmelzung von Film und Spiel. "Heavy Rain" soll nach all den Fehltritten der letzten 20 Jahre nun endlich den Trick schaffen, die aus Filmen bekannten komplexen Spannungs- und Dramaturgieverläufe zu übernehmen und sie mit einer homogenen Spielmechanik zu verbinden.

Spielfigur Ethan Mars auf einer Straße stehend, im Hintergrund Gewitter und Regen.

Quantic Dream / Sony

Ich spiele wie ein Gamer

Die Journalistenkollegen und ich spielen im Bus zunächst die oft gezeigte Überfallszene, wo der Privatdetektiv Scott Shelby - ein weiterer der vier Protagonisten - einen Raub verhindern muss. Wir können uns wahlweise anschleichen und dem Täter eine Flasche über den Schädel ziehen oder die Situation durch Diplomatie lösen - falls man doch zu laut war. Der Kollege vom Spiegel schafft es nicht, die Hände hochzuhalten und wird angeschossen. Ich hingegen bringe den Räuber dazu, seinen Plan sein zu lassen. Keiner von uns hat die Szene richtig oder falsch gespielt. Wir sehen nach unseren jeweiligen Handlungen bloß unterschiedliche Konversationen und leicht veränderte Verläufe der Story. Das ist das Prinzip von "Heavy Rain": Es ist ein interaktives Drama, das dem normativen Leistungsfetisch von Computer- und Videospielen den Kampf ansagt. Wie akkurat die verlangte Tastenakrobatik tatsächlich umgesetzt wird, ist nebensächlich. Wichtig sind Empathie und Involviertheit.

Doch so einfach kriegt man sie nicht weg, die alten Konventionen. Die versammelte Herrenrunde im Bus zeigt sich begeistert von meinen Überredungskünsten und dem "richtigen" Weg, die Szene zu lösen. Ich bin geschmeichelt und weiß schon jetzt, dass ich den Controller nicht einfach mal so aus der Hand legen werde, wenn ich ein paar Tage später das komplette Spiel durchleben werde: Im Auto gegen die Fahrrichtung, im Faustkampf gegen Gangster oder bei der Verfolgungsjagd in der Markthalle - ich will alle sogenannten "Quick Time Events", also das rechtzeitige Drücken der richtigen Tasten, das herzhafte Schütteln und Ziehen des Controllers, gut und richtig erledigen, das wohlverdiente und "korrekte" Finale sehen. Dabei gibt es über 20 verschiedene Möglichkeiten, die Geschichte enden zu lassen. Es gibt kein "Game Over".

Gesplitteter Bildschirm während der "Überfallszene" von "Heavy Rain".

Quantic Dream / Sony

Den Knoten lösen

Obwohl ich die jahrelang eintrainierten Geschicklichkeitstests in Spielen nicht von der einen Minute auf die andere so locker nehmen kann, zieht mich "Heavy Rain" dennoch in seinen magischen Bann. Der so lange sehnsüchtig gehegte, nahezu utopische Wunsch, einen Film zu spielen, wird Wirklichkeit. Sowohl Figuren und Settings als auch Kameraführung und Dialoge sind zu jeder Zeit überzeugend - eine immens hohe Leistung für eine Unterhaltungsindustrie, die erstens nicht über die Erfahrung professioneller Drehbuch- und Regiezusammenarbeit verfügt und anderseits nie das interaktive Element außer Acht lassen darf.

"Heavy Rain" ist bereits exklusiv für PlayStation 3 erschienen. Die Zusatzszene "The Taxidermist" ist demnächt als Download auf PlayStation Network erhältlich.

"Heavy Rain" sieht sich trotzdem der Kritik vieler Fachjournalisten ausgesetzt, kein Spiel im eigentlichen Sinn zu sein. Dabei ist es bemerkenswert, wie behutsam hier abstrakte Symbole der Spielmechanik - Pfeile, Buchstaben und Zeichen - in die jeweilige Szenerie integriert werden, ohne einen starken Bruch hervorzurufen. Im Gegenteil: Die "X"s und "O"s, die man drücken muss (oder auch nicht), zittern und zappeln, wenn die Situation brenzlig wird. Der Spiel-Controller fliegt fast durch den Raum, wenn du mit dem Auto innerhalb von Sekunden die Spur wechseln musst. Und irgendwann weißt du nicht, wie du plötzlich sieben Tasten gleichzeitig drücken sollst - aber immerhin willst du ja auch einfach mal so durch tödliche Stromgeneratoren durchschlüpfen.

Flucht aus dem brennenden Auto.

Quantic Dream / Sony

Endlich verliebt

Die lange Beziehungsarbeit zwischen Film und Spiel hat sich gelohnt. "Heavy Rain" war in der Entwicklung ein fast schon penetrant aufgeblähtes, sündteures Projekt und ist tatsächlich zu jener Pionierarbeit geworden, den sich alle Beteiligten erhofft haben. Ausnahmsweise freue ich mich schon jetzt auf Copycats und Nachahmungen. Es wäre zu schade, wenn dieser mutige Versuch in den kommenden Jahren nicht Schule machen würde. Müssen dazu ja nicht immer eigene Busse angemalt werden.