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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

6. 3. 2010 - 12:27

Der weinende Clown

"The Funny German" von Ronald Reng lässt einen innerlich gebrochenen Deutschen in London Witze erzählen. Komik ist Tragik in Spiegelschrift.

Eigentlich beginnt "The Funny German" von Ronald Reng nur mit einer Ansammlung von Klischees, die auf dem ewigen, nicht nur sportlichen Zwist zwischen den beiden Nationen Deutschland und Großbritannien basiert. Aus der Sicht der Briten könnte die Geschichte nicht absurder sein: Ein deutscher Komiker namens Andreas "Andy" Merkel zieht vom ostfriesischen Emden nach London, um das britische Publikum in den Hinterzimmern der Pubs zu unterhalten. Während er tagsüber seinem Brotjob nachgeht, indem er deutsche Fenster in viktorianische Häuser einbaut, verkörpert er abends das Klischee des typischen Deutschen. Mit Nazi-, Bratwurst- und Fußballwitzen ist er in den Augen der Londoner ein absoluter Brüller. Eine Kostprobe: "Mir gefällt es in London, ich muss sagen, London ist eine Stadt mit europäischem Flair geworden. Wie Berlin 1939."

Von einem, der auszog das Lachen zu verlernen

Ronald Reng: "The Funny German"

Kiepenheuer und Witsch

Ronald Reng: "The Funny German" ist 2010 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Die Oberflächlichkeit und Durchschaubarkeit dieser Klischee-Inszenierung wird jedoch recht rasch von einem zutiefst menschlichen Schicksal eingeholt. Nachdem die Fahrradbremsen eines 13jährigen Bubens versagen, fährt Andreas den Jungen mit seinem Auto zu Tode. Schuldlos, wie die Polizei bestätigt. Wieder ein Deutscher, der den Linksverkehr nicht checkt, meinen die Passanten. Dass Andys Komikerkarriere durch diesen Unfall an Aufwind gewinnt, ist das Absurde daran. Kollegen halten das Ganze sogar für einen geschickt eingefädelten Marketing-Gag. Für die, die ihm glauben, wird Andy zum interessanten Freak.

Andy wird zur Fratze seines eigens aufgebauten Klischees. Der Deutsche hat zwar Erfolg und wird zum Stadtgespräch, verliert sich jedoch völlig in der Millionenstadt London. Von Schuldgefühlen geplagt, wandelt er nur noch wie ein Geist durch die Metropole. Und verliert sogar sein Lachen.

London

dpa

Eine moderne Tragikomödie

Die Verschmelzung des Tragischen mit dem Komischen blickt auf eine lange Tradition zurück und vor allem in einer Stadt wie London dürfte sie greifen. Das Besondere an der Millionenstadt, die wie kaum eine andere ihre dunklen Kapitel mit Stolz im Wachsfigurenkabinett ausstellt, ist ihr Umgang mit Humor. Und so verwundert es wenig, dass es in London eine breite und variantenreiche Comedy-Szene gibt, eine ironiebehaftete Abhandlung des eigenen Selbst, die uns sagen will: Wir sind nichts weiter als Küchenschaben hinter einem Kühlschrank genannt Universum, aber wenigstens wissen wir, dass die Antwort 42 ist.

The Comedy Store in London

BBC

Ronald Rengs neuer Roman "The Funny German" ist wieder eine Liebeserklärung an "sein" London. Bereits mit "Mein Leben als Engländer" und "Gebrauchsanweisung für London" zollte er der englischen Hauptstadt Tribut. Dieses Mal kaschiert er allerdings seine Geschichte mit Klischees. Für Ronald Reng ist man als deutscher Komiker in London bereits an sich der größte Witz. Wenn einer Andreas Merkel (!) heißt und Witze über die Pünktlichkeit der Deutschen erzählt, dann steht er in einer Reihe mit "Comedians" wie Cindy aus Mahrzan, Michael "Bully" Herbig, Mario Barth oder Atze Schröder, die aus Klischees billige Lacher rausholen. Doch in diesem Roman werden die Grenzen der Klischees aufgezeigt: Dort, wo der Mensch diese Oberflächlichkeiten nicht mehr ertragen kann. Als es Andy am schlechtesten geht, kommt er aus seiner eigenen Inszenierung nicht mehr heraus.

An einigen Stellen wird aus den banalen Klischees eine feinfühlige Einsicht in die Befindlichkeiten eines deutschen Immigranten in London: Etwa, wenn Andy sich wundert, warum beim Einstieg in die U-Bahn die Fahrgäste nicht warten, bis alle ausgestiegen sind. Oder wenn sich die Fahrgäste in der überfüllten Tube einmal nicht an ihm reiben. Dazwischen wird von einer gebrochenen Seele erzählt: Von einem weinenden Clown, der das Lachen verlernt hat.

Wie die Klischees im Roman ist diese Ironie nur allzu offensichtlich. Das gespenstische Dasein allerdings, das Andy zwischen den grellen Lichtern der Londoner Comedy-Clubs und ihren Hintertüren führt, aus denen er nach seinen Auftritten verängstigt flüchtet, ist ein allzu menschliches Schicksal. Nach James Thurber: Komik ist Tragik in Spiegelschrift.