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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

1. 3. 2010 - 16:55

Olympia-Log: Vancouver 2010, Tag 16.

Long may you run!

Auf einen Blick: Olympia auf fm4.orf.at, alles aus Vancouver auf orf.at und das Olympia-Log.

Das war es also mit Olympia. Dieses bösartige, meinen Lebens-Rhythmus für über zwei Wochen so wüst bestimmtende Ereignis ist mit einer durchaus schönen Schlussfeier zu Ende gegangen.
Die reichte zwar nicht an die brilliante Eröffnungs-Feier (die First Nations! Joni! K.D.!) heran, hatte aber mit dem prophezeiten Kurz-Auftritt von Neil Young zumindest einen Gänsehaut-Moment.

Schon erstaunlich, wie viele Meter eine gut ausgesteuerte Stimme-Gitarre-Harmonika-Unit einer soundbreimäßig durchs Stadionrund wabernden Band-Armada mit nur einem Song abnehmen kann.

Es gab im übrigen ganz nebenbei auch eine cultural olympiad.

Dass unsere kanadischen Freunde, die Arcade Fires dieser Nation nicht dabeiwaren, zeigt nur, dass alles, was nicht Mainstream (wie die diversen Casting-Gewinner) oder kanonisiert ist (wie die alten Helden eben) bei so einem Event keine Chance hat - und wie groß jemand wie Mehmet Scholl ist, der die Hidden Cameras ohne Angst und Zögern reinholt.

Dass sich alle vorort schlussendlich in den Armen liegen konnten, ist einem fast nicht mehr verdienten Overtime-Tor von Sid Crosby zu verdanken (der entscheidende Pass kam nicht zufällig von Jerome Iginla). Und es war wichtig. Denn, auch wenn wir es nicht verstehen können: das was all diesen Kanadiern Eishockey (und damit dieser Final-Sieg) bedeutet ist mit nichts, was wir kennen, vergleichbar.

Selbstbestrafung

Das österreichische Thema lautet - trotz eines insgesamt guten Abschneidens: wie konnten die alpinen Herren nur so versagen?

Die Alpin-Herren, das sind die Donnergötter, die Sailers und Molterers, die Schranzs und Cordins, die Klammers und Hinterseers, die Wirnsbergers und Höflehners, die Maders und Sykoras, die Maiers und Eberharters, die alles aus der Kraft ihrer bergbäuerlich vererbten Ehrgeiz- und Gelassenheits-Gene schöpfen; das sind Rübezahls des Riesengebirges aus dem sie runtergekommen sind, Übermenschen, Wuchtbrummen, Nationalheilige, denen nicht nur Parkstrafen erlassen werden.
Und wenn sie, die Walchhofers und Raichs dann nichts gewinnen, keine Top3-Plätze heimfahren, dann ist das eine Katastrophe, eine nationale

Da nützen die kaum erwarteten Erfolge bei den Damen ebensowenig wie die Erfolge im aufkeimenden Ski-Cross/Snowboard-Dings. Und selbst die recht erfolgreichen Springer bleiben da zurück, von Komibinieren, Rodlern oder gar Biathleten nicht zu reden.

Wer sich jetzt aufs Hirn klopft und "bescheuert!" schreit, dem darf ich zuflüstern: "Selber!". Denn die Einschalt-Quoten sind deutlich - Ski-Herren: 1., 2., 6., 7., 10.; Ski-Damen: 3., 4., 8.: Springer: 5. und 9..

Die Selbsteinschätzung der Wichtigkeit geht also mit der Wertigkeit der breiten Öffentlichkeit konform.

Die jetzt schon auf der Strecke gebliebene Analyse

Weshalb dann auch sofortige Panik ausbricht.
Zuerst bei den gehorsam vorauseilenden Berichterstattern. Die können die sehr sachlich bleibenden Erst-Reaktionen vorort zunächst auf verlorenem Posten. Gewinnen aber das Rennen um die Hysterisierung, weil sie wissen, dass der ÖSV-Chef, ein medial geviefter Taktiker weiß, dass er ihnen ein Opfer hinwerfen muss, von wegen Zerfleischung. Und das folgt am Tag danach.

Damit macht Schröcksnadel eines zunichte: eine öffentliche Ursachen-Debatte. Und zwar absichtlich. Der ÖSV hat keine Lust, dass ihm die Boulevard-Medien reinregieren, wie sie das beim schwächlichen ÖFB und der cartoongleichen Fußball-Bundesliga tun.
Das ist zwar eine strategisch richtige Entscheidung, es bedeutet aber auch, dass der Ski-Verband aus sich selber schöpfen muss, um Veränderungen/Verbesserungen zu erzielen.

Fakt ist natürlich, dass im Ski-Weltcup, der die Saisonleistung besser zusammenfasst als das jeweilige Einzelrennen bei Olympia, einen feststehenden Sieg, drei Führungen, eine okaye Chance und nur einen Bewerb ohne Chance auf den Sparten-Sieg gibt. Das ist besser als bei den Damen.

Kopf-Problem, Struktur-Problem

Fakt ist auch dass es bis auf den Einbruch im Super-G vier Top 6-Ergebnisse gab: drei vierte, zwei fünfte und zwei sechste Plätze. Es war also 4 von 5mal mehr als knapp dran.

Fakt ist natürlich auch, dass es kein Zufall ist, dass sich einzelne, die in ihren Teams klare Leader sind (Janka, Svindal, Bode Miller oder Kostelic, die zusammen gleich 9 Medaillen holten) wesentlich besser auf den Punkt hirnfit für den großen Druck, den diese Veranstaltung nach sich zieht, machen können.
Fakt ist, dass sich die breiter gestreuten Austro-Teams gegenseitig eher Energie entziehen, als sich zu befruchten. Das klappt über eine längere Zeit eher als beim Einzel-Ereignis, bei dem es auf die Spitzenleistung zum genau richtigen Moment ankommt.

Fakt ist, dass die österreichischen Herren im Vergleich zu ihrer Dominanz im laufenden Bewerb bei den Großereignissen immer schwächer abschneiden. Nicht nur schlechter als die gefühltenen Erwartungen, auch schlechter, als das jeweilige statistische Saisonmittel es aussagt.

Das heißt also: es gibt ein Kopf/Psycho-Problem. Wahrscheinlich eines, das durch die Struktur vorgegeben ist. Der ÖSV schafft es zwar die ganze Saison über die optimalen Voraussetzungen für kontinuierliche Leistungen zur Verfügung zu stellen, kann aber bei den Großereignissen nicht dafür sorgen, dass Peeks erreicht werden.
Wie bei den erwähnten Einzel-Herren, wie bei Vonn oder Mancuso. Einzig echte Solo-Beißerinnen, totale Team-Außenseiterinnen wie Liz Görgl durchbrechen dieses Muster.

Positive Energie, negative Energie

Die baut das amerikanische Alleingänger-Modell im Rahmen einer liberalen Team-Ordnung nach, allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. Das, was AmerikanerInnen (oder auch KanadierInnen) an positiver (Ich kann das, weil ich der/die Größte bin. Sagen mir auch alle!) Stimulanz mitnehmen, funktioniert in Österreich über negative Energie (die glauben, dass ich ein Wappler bin - denen zeig ich's!). Weshalb sich, auch bei weniger Talent oder schwächerer Technik, dann auch oft das US-System durchsetzt (das von den Skandinaviern, den Kostelics und zuletzt wohl auch den Schweizern nachgestellt wurde). Selbst die deutschen Damen arbeiten positiv.
Gescheitert sind bloß die kanadischen Herren - die sind am Druck zerschellt (nicht als einzige, auch auf der Bob/Rodelbahn und anderswo gab es Co-Favoriten, die im Druck des Homeruns untergingen).

Die einzigen, die wirklich starken Dauerdruck haben und noch dazu mit der negativen Grundstimmung aus Konkurrenz-Neid und Österreicher-Sein leben müssen sind die ÖSV-Starter. Da müsste der Verband eingreifen. Und ich schätze, dass die Checker auch wissen wo's krankt, aber über einzelne Punkte nicht drüberkommen.
Weil so eine Struktur-Veränderung viel schwerer ist, als alle glauben.

Und deshalb weicht man dort einer breiteren Debatte aus. Wie und vor allem mit wem will man eine solche komplexe Debatte führen? Mit dem Medien-Boulevard oder einer ausschließlich am Oberflächen-Glitzer hängenden TV-Zuschauerschar? Eben.

Nachwuchs-Probleme

Wenn man sich die Geburtsjahre des österreichischen Herren-Teams ansieht, dann fällt auf, wie sehr sich alles zwischen 78 und 83 ballt. Die Herren sind also allesamt um die Ende 20 bis Anfang 30. Nur Romed Baumann (24) und Marcel Hirscher (21) fallen aus der Reihe.

Bei den Damen ist das anders: Görgl und Schild sind im Herren-Alter, Fischbacher und Zettel sind jünger, Brem oder Fenninger noch jünger. Die Altersstruktur dort passt.

Bei den Herren ist es wie im Fußball: da wurden zwei Generationen verloren. Bis auf Baumann und Hirscher ist seit gut fünf bis sieben Jahren nichts mehr gekommen. Kein Druck von hinten oder unten. Und wenn, dann am ehesten bei den Technikern.

Was auch ganz logisch ist: es werden kaum noch Abfahrten oderr Super Gs abseits des Weltcups gefahren. Heuer waren das in der Abfahrt fümf Rennen auf drei Pisten (vier Schweizer Siege, italienische Co-Dominanz, nur ein junger Österreicher am Podest) und drei Super-Gs an zwei Plätzen (wo Stephan Görgl und Schörghofer zwecks Aufbau eingesetzt wurden).

Bei den Frauen gabs gar nur drei Abfahrten und vier Super Gs, dafür waren sie mit gleich fünf jungen Damen Top2 dabei).

Wer sich selber ein Bild machen will: hier sind die Infos zur Junioren-WM der Alpinen und da die Infos zur Junioren-WM der Nordischen:

Es gibt also auch ein Infrastruktur-Problem.
Der Klimawandel wird diese Situation nicht verbessern.

Klimawandel?

Das schlägt sich auch im Abschneiden bei der letzten Junioren-WM nieder. Da ist die Ski-Nation Nummer 1 gleichauf mit etwa sieben, acht anderen. Im Nachwuchs-Bereich hat man auch bereits die Breitendominanz verloren, die den ÖSV aktuell noch die Weltcups rettet. Und kann auch dort nicht die punktuell auf ein Großereignis an den Tag gelegte geistige Fitness garantieren.

Das ist die Zukunft: Österreich als eine von zehn gleichwertigen Alpin-Ski-Nationen. Es sei denn, dem ÖSV fällt für die TalwärtsmitderUhrumdieWettefahrer etwas Ähnliches ein wie damals Baldur Preiml für die Skispringer und in der Folge für andere verrückte Nordische wie den Eso-Müsli-Kräuter-Honigbeeren Felix Gottwald. Long may he run.

Aber das ist eine Geschichte, die mit Olympia schon nichts mehr zu tun hat.