Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die wahrhaftige Hingabe"

Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

2. 3. 2010 - 18:50

Die wahrhaftige Hingabe

Selbstaufgabe, Schreibblockade und dunkle Hotelzimmer. Rocky Votolatos neues Album ist ein Klagelied-Reigen der Extraklasse.

Etwas mehr als zwei Jahre ist es jetzt her, dass Kollegin Barbara Matthews in ihrer Decemberlist auf den bei uns immer noch relativ unbekannten Rocky Votolato und sein bereits sechstes Solowerk "The Bragg And Cuss" hinwies. Rocky Votolato begegnete mir selbst in den letzten Jahren immer wieder, jedoch nicht mehr oder weniger als es andere stille Songwriter getan haben: von William Fitzsimmons und Gregory Alan Isokov über Iron & Wine, Damien Jurado und City & Colour. Doch mit seinem neuen Album wird sich das ändern.

Aufgewachsen in der provinzialen Umgebung einer Kleinstadt in Texas, lernte Votolato seine Anfänge in der Indierock-Band Waxwing mitten in Seattle, der Metropole des Grunge. Das Genre mag ihm nie wirklich gelegen haben, zu still sein Auftreten, zu dezent sein Songwriting. Dass dieser Mann mehr als nur ein Geheimtipp sein sollte, beweisen nicht nur große Alben wie "Suicide Medicine" oder "Makers", sondern auch seine neueste Veröffentlichung, die die wahre Hingabe bereits im Namen trägt: "True Devotion". Der Zyklus aus zehn Songs ist nicht nur das stimmigste und wohl wichtigste Werk, das Votolato je veröffentlicht hat, es könnte auch zu einem der besten Folkalben des Jahres werden.

"You broke my heart with a glass from the bathroom mirror"

Rocky Votolato - True Devotion

Barsuk

Rocky Votolato: True Devotion (2010), Defiance Records

"True Devotion": Das ist Selbstaufgabe, Schreibblockade, Depressionen, Alkohol, Isolation, Suizidgedanken, Selbsterkenntnis. Das Album beginnt mit der kitschigsten Instrumentierung der Hoffnung: mit Streichern. Danach werden aber sofort die Scherben aufgesammelt, die das Leben sooft hinterlässt, wenn es Träume abfackelt und Hoffnungen wie Ameisen zertritt. Das Album erzählt von Votolatos eigener Isolation: Für ein Jahr hat sich der Ehemann und Vater von zwei Kindern vom Rest der Gesellschaft abgekapselt, um seine Depressionen und Alkoholsucht zu verarbeiten. Es blieb viel Zeit zum Nachdenken, zum Lesen philosophischer Lektüre und für den Umgang mit den eigenen Dämonen.

Rocky Votolato

Barsuk

Was übrig bleibt, ist einerseits Mythos, andererseits eben die wahrhaftige Hingabe. Der "hard working man", der mit seiner Wandergitarre aus Depressionen große Songs gebiert, ist nur das Abziehbild für ein Leben, das manchmal lediglich Ohnmacht zurücklässt. In Songs wie "Lucky Clover Coin" oder "Fragments" lässt Votolato Glück gegen Schicksal antreten und gibt Letzterem den Vorzug: "Egos running wild/Monsters hiding behind the smoke ring eye/The harder you fight the tide/The less likely you´ll survive". Verpackt in beinahe zurückhaltende Texte, die etwas Zeitloses beinhalten, schafft es Votolato auf "True Devotion" Natürlichkeit und oft notwendigen Pathos für Menschen mit viel zu großen Kopfhörern in die urbane Umgebung zu retten und sie trotzdem dabei wie auf Wolken und mit einer authentischen Bitterkeit vorzutragen. Wahre Lebenslieder eben.

"But now i finally see what waited for me"

Bis jetzt dürfte herausgekommen sein, dass "True Devotion" keine einfache Kost ist. Und der Zyklus, der sich vom ersten Geigenton bis zum letzten streckt, beinhaltet ein ganzes Spektrum an menschlichen Abgründen, die aber in gewisser Weise auch zur Selbsterkenntnis führen können: "I was lost and blind but now i finally see what waited for me". Dazwischen perlt das Piano kurz auf oder lässt eine Mundharmonika durchblitzen. Aber gleichzeitig wird hier die authentische Inszenierung des leidenden Songwriters so sehr durch den eigenen Mythos zerfressen, dass hinter den stillen und zurückhaltenden Stücken ein brutal ehrliches Werk wartet. In all seiner Ehrlichkeit auch manchmal etwas pathetisch, etwa wenn da an einer Stelle das Herz mit der Scherbe eines Badezimmerspiegels zerschnitten wird. Mit "Where We Started" endet der Zyklus wie er angefangen hat: mit Streichern. Ein berührendes Album, das für die ausgelutschte Bezeichnung "Meisterwerk" eigentlich schon zu gut ist.

Rocky Votolato

Barsuk

Mehr über Rocky Votolato und "True Devotion" gibt es heute in der Homebase (19-22h) zu hören.

Rocky Votolato kommt im Mai auf ausgedehnte Europa-Tournee, jedoch vorerst noch ohne Österreich-Termin. Da der gute Mann mit der kratzigen Engelsstimme, die Elliott Smith alle Ehre gemacht hätte, allerdings die Idee der "Living Room Shows" übernommen hat, appelliere ich, dass wir alle zusammenlegen, um ihn her zu bringen. Denn die ganz großen Alben und Themen verhandelt man am besten gemeinsam.