Erstellt am: 1. 3. 2010 - 03:23 Uhr
Paranoia-Polizei
Wo hört Gut auf und fängt Böse an? Was sind das überhaupt für Begrifflichkeiten? Sind es die staatlichen Gesetze, die uns in der Spur halten oder ein längst verwaschener Konsens aus christlichen und sozialen Werten? Oder gibt es tatsächlich so etwas wie ein Gewissen?
Keine Ahnung, ob sich diverse Denkerrunden auf philosophischen Tagungen noch mit derartigen Fragen auseinander setzen. Vielleicht täusche ich mich, und ihr da draußen diskutiert ohnehin ständig über solche Themen.
Ich habe jedenfalls das unbefriedigende Gefühl, dass im Alltag dazu nur erstarrte, verfestigte, eingemeißelte Meinungen dominieren, die aus unterschiedlichen ideologischen Lagern kommen.
Umso schöner, dass das Kino neben der Literatur, eines der letzten Rückzugsgebiete zu sein scheint, in dem Ethik und Moral noch so richtig grundsätzlich verhandelt und hinterfragt werden.
Dabei denke ich jetzt aber gar nicht an strenge Altmeister wie Tarkovsky, Kieślowski, Bergman und ihre potentiellen Nachfolger. Sondern an knallharte Thriller, rabiate Horrorfilme und andere Genrestreifen, die inmitten plakativer Schauwerte auch die Grauzonen von Gut und Böse erforschen.
Centfox
Die Schlüsselfigur für Krimiautoren und Regisseure ist dabei natürlich der Ermittler. Spätestens seit der Ära der Hard-Boiled-Literatur und des klassischen Film Noir bevölkern angeknackste, paranoide, an sich selbst und dem Gesetz zweifelnde Polizisten etliche Romane und Filme.
Von den üblichen kettenrauchenden, deprimierten, grummelnden Inspektoren, die mit dem halbvollen Kaffeebecher über Tatorte stolpern, bis hin zu Abel Ferraras "Bad Lieutenant" ist es aber dann doch ein gigantischer Sprung.
Der ewige Regie-Rebell zeigte Harvey Keitel 1992 als drogensüchtigen, sexbesessenen, korrupten New Yorker Cop am Rande der Selbstdestruktion. Dabei steckte hinter all den Exzessen ein katholisches Drama. Letztlich mündete der Leidensweg des abgefuckten Protagonisten in einem Sühneakt, der radikaler nicht sein könnte.
Als das Gerücht herumschwirrte, dass ausgerechnet dieses Meisterwerk des Körperkinos eine Neuauflage erfahren soll, schüttelten viele klarerweise den Kopf. Aber dann trudelten die ersten hymnischen Berichte vom letzten Filmfestival in Venedig ein, auch von meinem Kollegen Markus Keuschnigg. Und viele Besucher der vergangenen Viennale überschlugen sich ebenfalls vor Begeisterung.
Zu Recht. Es verdankt sich dem deutschen Ausnahmefilmemacher Werner Herzog, dass "The Bad Lieutenant: Port of Call - New Orleans" nicht einmal in Ansätzen ein Remake geworden ist. Oder gar eine gefällige Variante des selben Stoffs. Sondern eine neue Annäherung an ein ähnliches Thema, die auf ihre Weise genauso irrlichternd ausgefallen ist wie das Original.
Centfox
Die Schauplätze, das Umfeld, die Story, alles anders. Nur den übertriebenen Hang zum Rausch, sei es via Drogen, Sex oder beides, teilt der neue böse Lieutenant mit seinem Vorgänger aus den frühen Neunzigern.
Dabei scheint der manische Cop Terence McDonagh, den Nicolas Cage einfach umwerfend darstellt, nicht den Eskapismus zu suchen. Er will einfach nur funktionieren. Seine Devise: Ich hab versehentlich Heroin erwischt, muss aber in einer Stunde in die Arbeit. Hast du noch etwas Koks, Baby?
Wie Abel Ferrara ist auch Werner Herzog kaum an der Kriminalgeschichte interessiert, sondern an einer moralischen Untersuchung. Dabei meidet der deutsche Regisseur, der sich weltanschaulichen Schubladen immer entzogen hat, die religiösen Bezüge, die Ferraras Film eigentlich ausmachen.
Wir erfahren nicht, woher die Restspuren des Anständigen kommen, die tief drinnen im raubenden, mordenden, vergewaltigenden Körper von Lieutenant McDonagh noch schlummern. Herzog verzichtet auch auf die üblichen billigen Psychologismen. Und gerade das macht diesen Streifen so faszinierend und seinen verkorksten Titel-Antihelden wirklich unberechenbar.
Centfox
Dafür liefert der Film mit desolaten Bildern des vom Hurrikan Katrina verwüsteten New Orleans erschütternde Vignetten der Armut und des Verfalls im heutigen Amerika. Diese beinahe dokumentarischen Ansätze treffen in "The Bad Lieutenant" wiederum auf surreale, halluzinatorische Momente.
Überhaupt verblüfft Werner Herzog ständig mit stilistischen Brüchen, genialen Casting-Entscheidungen und seltsamen Wendungen. Am erstaunlichsten ist aber der Humor, der diesen Film durchzieht.
Während Harvey Keitel sich als greinender Schmerzensmann durch ein modernes Passionsspiel quälte, rast Nicolas Cage mit köstlichen Onelinern in die Hölle, diabolisch grinsend an seinem Crackpfeiferl ziehend. "The Bad Lieutenant: Port of Call - New Orleans" ist etwas sehr Seltenes: Ein Feelgood-Movie über Tod, Verfall und Substanzmissbrauch.
UIP
Wenig zum Lachen bietet ein anderer Streifen, der eben angelaufen ist und auch einen heftig herumstrauchelnden Polizisten in den Mittelpunkt stellt. Und noch etwas fehlt diesem Film im Vergleich zu "The Bad Lieutenant": die großen Überraschungsmomente.
Bevor sich das jetzt zu negativ anhört, soll fairerweise erwähnt werden, dass "Shutter Island" mit völlig anderen Erwartungshaltungen zu kämpfen hat. Folgt dieser Thriller doch nicht nur einer gefeierten Buchvorlage des Bestsellerautors Dennis Lehane ("Mystic River"), im Regiestuhl sitzt einer der zentralen Filmemacher der letzten Dekaden, Mr. Martin Scorsese.
Während sich kaum jemand von einem Quasi-Remake eines virtuosen Abel-Ferrara-Films etwas erhofft hat, fieberte die Kinocommunity "Shutter Island" kollektiv entgegen.
Hörte sich doch auch der Inhalt maßgeschneidert für den Regisseur an: Ein von Panikattacken geplagter Cop reist mit einem Kollegen zu einer abgelegenen Insel, wo sich eine Anstalt für geistesgestörte Gewaltverbrecher befindet. Dort angekommen, wird der US-Marshall schnell selber in den Fall einer verschwundenen Patientin hineingezogen. Die Grenzen zwischen Normalität und Irrsinn, Recht und Unrecht verschwimmen.
Wie oft ist hier nicht schon diskutiert worden über das unlösbare Dilemma von Literaturverfilmungen. Nun die gute Nachricht: Martin Scorsese hat Dennis Lehanes finstere Psychostudie unverfälscht und teilweise wortgenau für die Leinwand adaptiert.
Allerdings, und hier kommen etwas ernüchternde News für Kenner der Vorlage, Spannung stellt sich eigentlich nie richtig ein im dunklen Kinosaal, wenn einem sämtliche Wendungen bekannt sind.
UIP
Allerdings ist die Story ja immer nur ein Teilaspekt eines Films. Und wo sich im Mittelteil sogar Längen einstellen, da punktet Maestro Scorsese mit der Besetzung. Vor allem der von Wahnvorstellungen getriebene Leonardo DiCaprio brilliert für seinen Mentor erneut mit maximaler Kaputtheit, aber auch alle anderen Akteure begeistern.
Die wirkliche Klasse von Scorsese zeigt sich aber in der audiovisuellen Umsetzung. "Shutter Island", das ist ein oft atemberaubend in Szene gesetztes gothisches Schauerstück, eine teils stockdüstere, dann wieder grellbunte Komposition aus Kostümen, Dekors und Setdesign.
Die Referenzen geistern in diesem Film-Film herum wie die Dämonen, von denen die Figuren gequält werden. Val Lewton, Otto Preminger, Sam Fuller sind nur einige der Namen, die Cineasten sich zuflüstern werden.
Der wirkliche Star in "Shutter Island" ist aber der Soundtrack. Konträr zu den schundigen Pulp- und Trash-Zitaten, die in den schummrigen Gängen des Ashecliffe Hospital aufflackern, setzt Martin Scorsese auf strenge, verstörende E-Klänge. Und wie die Neue Musik von Ligeti, Penderecki oder Feldman hier mit blutroten Horrorimages kollidiert, das hat es seit "The Shining" nicht mehr gegeben.
Erst im letzten Drittel, wo dann der Inhalt an den furiosen Mix aus Bild und Ton anschließt, wo die Tragik in einen Film Einzug hält, der zuvor eher verführerische Oberfläche ist, läuft der Meisterregisseur zur Hochform auf. Aber ein Martin Scorsese, der ein wenig scheitert, garantiert immer noch einen grandiosen Kinoabend.
UIP